- Darwintag 2023 - 12. Februar 2023
- Sonderheft “Gott” – nicht nur eine theologische Frage - 19. Oktober 2022
- Das Universum – Wissen und Staunen - 31. Januar 2020
Warum sollte in einem interdisziplinären Forum wie diesem ein Sonderheft empfohlen werden, dem es um ein vermeintlich rein innertheologisches Thema geht? Die Antwort liegt in dem erstaunlichen Befund, dass sich die aktuelle Spezialausgabe der Herder-Korrespondenz “G*tt – Mehr als eine Frage” auf breitester Linie an den Naturwissenschaften abarbeitet. “Gott” ist mit 1300 Einträgen zwar allgegenwärtig – immerhin -, ansonsten führen naturwissenschaftliche Einträge die Statistik an (130 Stellen), Gendertheorie und Sozialwissenschaften scheinen mit 30 Einträgen statistisch eher abgeschlagen, obwohl das Gendersternchen im Titel höhere Erwartungen wecken mag.
Allen Beiträgen dieses hochinteressanten Heftes gebührt entsprechende Wertschätzung, thematisch beschränke ich mich an dieser Stelle jedoch auf die Bezüge zu den Naturwissenschaften. Zur Vertiefung habe ich an manchen Stellen Inhalte dieses Forums verlinkt.
Das Heft kann hier käuflich erworben werden.
Ein interdisziplinärer Gewinn
Eine islamische Theologie der Natur
Wenn Hakan Turan “Allahs philosophierende Quantenphysiker” (24-26) vorstellt, erwartet man nicht nur Interdisziplinäres, sondern auch Interreligiöses. Nicht jeder und jedem dürfte geläufig sein, welche Chancen der Dialog mit Physik und Biologie im Islam hatte und hat. Zwar werde “die Evolutionstheorie in der islamischen Welt … mehrheitlich abgelehnt”, aber ein “integrierende(r) Trend verstärkt sich” auf einem so hohen Niveau, dass geradezu von einer “new generation” gesprochen wird. Dabei handele es sich vor allem um “hochkarätige Physiker mit außerordentlichem philosophischen, theologischen und bildungspolititschen Niveau”, die unterstützt von moderner Koranhermeneutik dazu beitragen, dass “keine tieferen Konfliktfelder” mehr übrig bleiben. Mehr noch: Sie blieben nicht bei Konfliktvermeidung durch “nonoverlapping magisteria” (NOMA, Begriff geprägt vom Evolutionsbiologen Stephen Jay Gould) stehen, sondern gingen integrativ weiter bis zu islamischen “Theologien der Natur” (nicht natürlichen Theologien!). Turan konkretisiert diese Integrationsversuche an drei großen islamischen Strömungen, die zahlreiche Berührungen mit christlichen Grundfragen aufweisen.
(Mehr von Hakan Turan: Von Adam, Evolution und den Gewohnheiten Allahs)
Altbekannter neuer Atheismus
Katharina Peetz will mit guten Gründen den “neuen Atheismus” noch nicht zum alten Eisen zählen, auch wenn in einem Nachbarbeitrag des Heftes (31-33) mit ebenso guten Gründen anders geurteilt wird. Dort spricht Sebastian Ostritsch von den “schlecht informierten Versuchen des Evolutionsbiologen Richard Dawkins und anderer ‘New Atheists’, die traditionellen Gottesbeweise zu widerlegen”. Nun weiß keiner besser als Peetz, die über das Thema promoviert hat, dass die Welle den neuen Atheismus “nichts bahnbrechend Neues” war, dass die Welle auch wieder versiegt und Dawkins mit seiner “harschen religionskritischen Stoßrichtung” selbst innerhalb der neuatheistischen Szene nicht unumstritten ist. Was Dawkins allerdings auszeichne, sei “die Einbettung seiner Religionskritik in eine originelle Deutung der Evolutionstheorie”. Nicht nur deshalb will Peetz nach wie vor “von der Provokation profitieren” (42-43), wie der Titel ihres Beitrags lautet. So sieht Peetz im Blick auf die Entstehungskontexte des Neuen Atheismus, die u. a. im evolutionsleugnenden und fundamentalistischen Kreationismus US-amerikanischer Provenienz liegen, eine bleibende Aktualität. Gerade in der derzeitigen Weltlage, in der das Religiöse nicht nur in Russland und den USA diskriminierend und kriegstreiberisch missbraucht werde, forderten “die Neuen Atheisten … die Theologie daher heraus, zu begründen, warum der Gott des Judentums, des Christentums und des Islams kein Gott der Gewalt ist und welche Bilder und Vorstellungen das je größere Geheimnis ‘Gott’ bewahren.” Solche Gottesbilder hätten sich auch zu bewähren an Dawkins’ faszinierenden Überlegungen zur “Durchlässigkeit der Mensch-Tier-Grenze”, was beispielsweise konvergiere mit Julia Enxings Perspektivenwechsel hin zu einer “multispeziessensiblen Schöpfungstheologie”. Es gehöre also zum “Kerngeschäft der Theologie”, dass die neoatheistischen Herausforderungen “immer wieder in den öffentlichen Raum hinein vermittelt werden”.
(Interview mit Katharina Peetz und kritische Kommentare: Diskussion des Dawkins-Diskurses)
Unsere nichtmenschlichen Verwandten
Wenn die genannte Julia Enxing die “Durchlässigkeit der Mensch-Tier-Grenze” auch theologisch durchbuchstabiert, erklärt sich der rätselhafte Titel “Your Kin-Dom come” (47-49). Klassisch seien mit dem ‘Ebenbild Gottes’ und dem “Herrschaftsauftrag” asymmetrische Machtverhältnisse im Spiel, bei denen es Herrschende und Beherrschte gibt. Was wäre, so fragt Enxing, wenn das bereits unter uns angebrochene Reich Gottes (‘Your Kingdom come’) kein Königsreich, sondern ein “Gemeinschaftswerk aller Geschöpfe ist, ein Werk von Verwandten – ein Kin-Dom” (engl. kin = Verwandtschaft, Freundschaft), und wenn “unsere Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen auch nichtmenschliche Relationen umfassen”? Dann ist “Imago Dei nicht exklusiv auf den Menschen bezogen” und aus der “Repräsentanz” wird eine “Resonanzbeziehung”. Weil die schöpferische Kraft Gottes “jedem Geschöpf immanent” sei, hinterfragten “deep theologies” den “Anthropozentrismus westlicher Theologien; sie wagen es, Transzendenz in Immanenz, das Jenseits im Diesseits (an-)zu-denken, ohne dabei einem beliebigen Animismus zu verfallen”. Solche Ansätze lebten von der “Vision einer Zukunft, die der Prophet Jesaja als Spezies übergreifendes Friedensreich beschreibt (Jes 11, 6-8)”.
Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus.
(Jes 11, 6-8)
(Siehe auch Simone Horstmann und eine neue Theologie der Tiere)
Ein vertieftes Bild der Natur
Godehard Brüntrup geht es ebenfalls um das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz, konkret um die Frage, wie Gott in der Welt handelt. Der Titel des Beitrags, “Der Ermöglicher” (17-20), enthält bereits programmatisch die Antwort auf diese existenzielle Frage. Existenziell ist die Frage deshalb, weil der christliche Gott ein Handelnder ist, von den biblischen Zeugnissen angefangen bis hin zur gläubigen Hoffnung, dass Gebete erhört werden. Brüntrup sieht nun die Vorstellung eines handelnden Gottes einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt.
Im Kontext dieses Beitrags von besonderem Interesse ist die erste Bedrohung durch den Fortschritt der Naturwissenschaften und deren Einblick in die wirkursächlichen Zusammenhänge. So scheint die physische Welt (vereinfacht gesagt) kausal lückenlos geschlossen zu sein, und die Energieerhaltungssätze schließen zudem aus, dass etwas von außen ins Universum einwirkt. Damit liege der Schluss nahe, “dass das vorherrschende naturwissenschaftliche Weltbild keinen Platz für das Handeln Gottes hat”. Eine Lösung deutet sich für Brüntrup an den Grenzen dieses Weltbildes an. Das materialistische System kann nämlich Bewusstsein nicht als Produkt der Materie erklären. Dann aber gehöre “Bewusstsein zu den Grundelementen des Universums”, es ist als Vorform “die innere Natur der Materie selbst”. Um aber auf Bewusstsein einzuwirken, bedarf es keiner physischen Energie, sondern Information, ähnlich wie “eine Idee uns anzieht”. Dann wirke Gott “nicht als mechanischer Beweger, sondern als geistiger Attraktor”, nicht als Wirk-, sondern als Form- und Zielursache. Er wäre nicht “der Widerpart der Naturgesetze, sondern derjenige, der sie allererst ermöglicht, weil er der Natur eine geistig-mathematische Ordnung anbietet, die sie in Selbstorganisation ergreift”. Brüntrup weiß sich hier übrigens in einer bewährten Tradition. Schon Karl Rahner sprach von der “‘Selbstüberbietung’ der Natur und sah Gott als ihren metaphysischen Garanten”.
Untrennbar damit hängt die zweite Bedrohung zusammen, die Theodizeefrage. Wenn Gott – was oben ausgeschlossen wurde – wirkursächlich in die Welt eingreifen könnte, stellt sich sofort die Frage, warum er dann nicht öfter eingreift. Dagegen wirkt Gott nach Brüntrup “in der Welt durch seine Appelle an die Freiheit der Kreatur und an die Selbstorganisation der Natur: nicht ohne diese, vielmehr durch sie und in ihr”.
(Siehe auch Brüntrup: Materie als gefrorener Geist)
Gott als Hirnprodukt
Wenn Brüntrup gezeigt hat, wie die Naturwissenschaften eine Revision des Gottesverständnisses katalysiert haben, so fragt Michael Blume unter dem Titel “Vom Gottesknopf zur Emergenz” (29-30), wie die Hirnforschung unser Gottesbild verändert hat. In Verbindung mit Evolutionsforschern konnten Neurowissenschaftler feststellen, dass Religion und Spiritualität evolutive Wurzeln haben und nun tief im Gehirn verankert sind. Sind sie damit kein Produkt einer transzendenten Wirklichkeit, sondern von Evolution und Gehirn? Gibt es gar einen “Gottesknopf”, eine Hirnregion, die religiöse Erfahrung auslösen kann. Dem erteilt Blume eine klare Absage: “Religiosität wie Spiritualität entfalten sich im Gehirn eher wie ein ganz individuelles Konzert verschiedener Hirnregionen”, denn das Gehirn funktioniere nicht als Maschine mit Knöpfen, sondern als “dynamisches, sich ständig veränderndes Netzwerk”. Dazu komme noch das soziale Netzwerk: So “wird ‘Gott’, wie etwa ‘Recht’ und ‘Sprache’, nicht in isolierten Gehirnen wahrgenommen, sondern über gewachsene Traditionen, Medien und Gemeinschaften”. Die Vernetzung von Einzelteilen lassen neuartige Systeme entstehen (auch Religionen), bei denen das Ganze mehr ist als seine Teile (Emergenz). Wer religiöse Traditionen verstehen will, “darf also biologische und kulturelle, individuelle und soziale Faktoren nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss ihren Wechselwirkungen interdisziplinär nachspüren”. Neuro- und Evolutionsbiologie könnten zwar zum Verständnis von Religion beitragen, es werde aber “auch in Zukunft keinen Reduktionismus und also auch keine seriöse ‘Neurotheologie’ gegen die bestehenden religiösen und auch wissenschaftlichen Lehrtraditionen geben können”.
(Siehe auch Blume: Religion als Virus des Geistes, Video ab 18:18)
Vom Ende der Gottesbeweise und von den Grenzen des Materialismus
Auch der Eröffnungsbeitrag des Heftes, das Streitgespräch der Theologen Helmut Hoping und Magnus Striet, ist durchwirkt von naturwissenschaftlich Bezügen – meist abgrenzend, aber auch positiv aufgreifend. Der Titel “Gott, ein möglicher Wahrheitskandidat” (4-7) lässt ahnen, dass es um Gotteszweifel und -bestreitung geht, wie sie nun mal in naturwissenschaftlicher Unterfütterung verbreitet sind. Dabei sei der Neue Atheismus zum einen überschätzt worden (Hoping), zum anderen habe er im Kern weniger auf die Gottesfrage gezielt, als vielmehr auf die “institutionalisierten Religionsakteure” (Striet). Die Herausforderung indes bleibe, die rationale Verantwortbarkeit des Gottesglaubens aufzuweisen, auch nach dem Ende der Gottesbeweise. Für dieses Unterfangen formuliert Hoping im Anschluss an den weltanschaulich unverdächtigen Philosophen Thomas Nagel: “Der Glaube an Gott ist rational verantwortbar, weil das materialistische neodarwinistische Konzept der Natur angesichts des Scheiterns eines psychophysischen Reduktionismus des Geistes auf Gehirnfunktionen so gut wie sicher falsch ist”. Man erinnere sich an die Ausführungen von Brüntrup und Blume! Striet stimmt zu und ergänzt: “Die philosophische Reflexion ist zumindest bis zum möglichen, möglicherweise existierenden Gott voranzutreiben”. Der Interviewer, Stefan Orth, bringt den Gotteszweifel noch einmal deutlich mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild in Verbindung, das “nicht das Staunen, sondern die Diskussion über physikalische Kausalitäten im Vordergrund” sieht. Hoping bestätigt die Dominanz des “szientistischen Weltbildes” mit dem Allerklärungsanspruch, dessen Dekonstruktion von Bewusstsein und ‘Innen’ aber grundsätzlich scheitern müsse. Auch hier stimmt Striet zu: “Ein monokausaler, rein naturwissenschaftlich operierender Naturalismus wird bestimmte Phänomene nie erklären können”. Aber für ihn bleibt die Frage, “welches religionsphilosophische Kapital daraus geschlagen werden kann”. Es gebe nämlich nach wie vor den “abgründigen Selbstzweifel, ob der Mensch nicht doch nur ein Zufallsprodukt der Natur sein könnte”. Aber solch einen (durchaus religionsproduktiven) Selbstzweifel könne man “kulturwissenschaftlich rekonstruieren, ohne auf die Linie des Naturalismus einzuschwenken”.
Zum Zufallsgedanken kommt noch die kosmologische Erkenntnis, dass das Universum unvorstellbare 14 Milliarden Jahre alt ist: “Welche Bedeutung kommt dem Menschen in diesem Universum zu?”, fragt Striet und sieht, dass damit “dem christlichen Glauben unsere Anthropozentrik auf die Füße [fällt]”. Dass der Entstehung des Lebens und der Hominisation ein unvorstellbar langer kosmischer Prozess” vorausgehe, widerlegt für Hoping den Glauben nicht. Zwar kenne die Naturwissenschaft keine “Teleologie, sondern nur natürliche Kausalitäten. Das heißt aber nicht, dass alles aus Zufall und Notwendigkeit hervorgegangen ist.” So sieht er mit Philip Clayton, “dass das Aufbrechen von Freiheit im Evolutionsprozess gleichsam vorbereitet” und der Mensch quasi angelegt war. Hoping schließt: “Weil aber Menschen Personen sind, ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der Grund des Universums und unserer Existenz, nicht relationslos ist, sondern Personalität besitzt”. Läge nicht – so fragt der Interviewer – “von den Weiten des Weltalls ausgehend die Rede von Gott als dem ganz Anderen näher?” Striet indes hält “wenig von der Rede, Gott sei der ganz Andere”. Das gebe Probleme mit dem Inkarnationsgedanken, und selbst wenn man nicht glauben könne, dass Gott selbst Mensch geworden ist, wäre es “ganz schön, wenn er uns angesprochen hätte wie Freunde”. Ganz im Konsens hält auch Hoping es inkarnationstheologisch für problematisch, “von Gott als dem ganz Anderen zu sprechen und sich etwa damit zu begnügen, negative Theologie zu betreiben”.
Dass es bei einem “Streitgespräch” auch Dissense gibt, liegt auf der Hand und kann in der Originalquelle nachgelesen werden. Im Umgang mit der Herausforderungen der Naturwissenschaften und einem naturwissenschaftlich unterfütterten Atheismus sind sich Striet und Hoping jedenfalls sehr nahe und bieten – zusammen mit den anderen Autor:innen – modellhaft Ansätze für den Umgang der Theologie mit den Naturwissenschaften. Insofern ist das vorliegende Heft auch eine Fundgrube im interdisziplinären Dialog.
(Siehe auch die Besprechung von Thomas Nagels Buch “Geist und Kosmos : Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist” durch Thomas Waschke)
Was mir noch gefehlt hat
Selbstverständlich kann auch ein Sonderheft beim Thema “Gott” nicht alles abdecken. Hinweise auf fehlende Aspekte sind daher eher persönlichen Vorlieben geschuldet. In diesem Sinne hätte ich mir mehr zum Thema Trinität und Panentheismus gewünscht, beides scheint mir für das Gott-Welt-Verhältnis einschlägig und ließe sich daher auch trefflich im Dialog mit den Naturwissenschaften ins Gespräch bringen. Aber dieser Dialog stand ja eigentlich auch gar nicht im Fokus des Heftes – eigentlich!
(Siehe auch: RSNG-Kongress zum PanENtheismus: Gott und Welt in Beziehung)
Heinz-Hermann Peitz