- Diskussion des Dawkins-Diskurses - 7. Oktober 2013

Religion
Vandenhoeck & Ruprecht
2013-07-17
335
Der Biologe Richard Dawkins, Autor des Bestsellers Der Gotteswahn, ist einer der populärsten Religionskritiker der Gegenwart. Gott existiert nach Dawkins „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht. Mit seinen religionskritischen Argumenten fordert Dawkins die Theologie heraus, über die prinzipielle Wahrheitsfähigkeit der Aussage von Gott als Schöpfer und die genuine Aufgabe einer rationalen Verantwortung des Glaubens nachzudenken. Katharina Peetz führt mit dem Dawkins-Diskurs mitten hinein in die Kontroversen um Theologie und Naturwissenschaften und macht deutlich, dass von einem Dialog mehr profitiert werden kann als von Konfrontation oder Abgrenzung.
Katharina Peetz führt mit dem Dawkins-Diskurs mitten hinein in die Kontroversen um Theologie und Naturwissenschaften. Das unten dokumentierte Interview hat in unserem Facebook-Forum Forum.Naturwissenschaft.Theologie zu einer lebendigen Diskussion geführt. Nach dem Interview mit der Autorin haben wir Auszüge zu den wichtigsten Argumentationssträngen für Sie zusammengestellt.
Interview mit Katharina Peetz
Diskussion auf FNT
Mit Genehmigung der Beteiligten geben wir hier einen Auszug der wichtigsten Argumentationsstränge weitgehend unredigiert wieder. Stand: 04.10.13.
Mit “@NN” beziehen sich die Diskutanten auf den vorangegangenen Beitrag von NN, Zitate daraus sind mit —Zitat— und —Zitatende— gekennzeichnet.
Inhalt
Zur Argumentation von Peetz
Dawkins: Evolutionstheoretischer Außenseiter?
Zur weltanschaulichen Deutung der Evolutionstheorie
Dawkins: „Krawall-Atheist“ (Joachim Kahl)?
Dawkins‘ religionskritische Hauptthesen
Dawkins‘ Wahrheitsbegriff
Was erklärt die Selektion?
Kritiker und Gegner der Evolutionstheorie
Zur Argumentation von Peetz
Thomas Waschke
Sie wissen, dass ich atheistischer Agnostiker bin, der ziemlich wenig mit Christentum oder gar Theologie anfangen kann. Daher stimme ich mit Frau Peetz natürlich oft nicht überein. Ich muss ihr aber auf jeden Fall das Kompliment machen, dass sie sehr fair mit Dawkins umgeht. Sie hat seine wesentlichen Publikationen nicht nur gelesen, sondern zumindest auf dem Level, über den ein interessierter Laie, der kein Biologie-Studium hinter sich hat, verfügt, auch durchaus verstanden. Sie hat, wie ja auch in dem Interview mit Ihnen deutlich wurde, sehr klar herausgearbeitet, wo Dawkins berechtigte Anfragen an die Theologen stellt (Sie können sich sicher vorstellen, dass ich noch etwas weiter gehen würde …), aber, meiner Meinung als theologischer Laie durchaus zutreffend, auch gezeigt, wo Dawkins sein Blatt überreizt.
Einwände habe ich eigentlich nur gegen das, was Frau Peetz unter ‘Sicht der Naturwissenschaften’ beschreibt. In den meisten Fällen sind die rezipierten Autoren nicht unbedingt ‘echte’ Naturwissenschaftler, sondern eher philosophisch orientierte Menschen, die auch einen Abschluss in Naturwissenschaften gemacht haben. Hemminger beispielsweise ist zwar habilitierter Verhaltensforscher, aber er arbeitet seit Jahrzehnten als Sektenbeauftragter. Auch Kattmann ist nicht gerade ein Fachwissenschaftler. Daher findet man in dem Buch ganz wichtige Kritik, eben die genuin fachwissenschaftliche evolutionsbiologische, bestenfalls am Rande. Das hängt natürlich auch mit dem Interesse von Frau Peetz als Theologin zusammen. Aber das, was sie da interessiert, ist für Naturwissenschaftler, speziell Evolutionsbiologen, praktisch irrelevant. Sie schreibt daher mehrfach auch im Text, dass man dazu bei Naturwissenschaftlern (trivialerweise …) nichts findet.
Für mich war interessant zu erfahren, welches Spektrum an theologischen Ansichten zu verschiedenen Punkten vorhanden ist, und Frau Peetz hat hier meiner Meinung nach durch ihre wertenden Analysen, in denen sie Dawkins, was für eine Theologin sicher nicht selbstverständlich ist, auch verteidigt, sehr gute Arbeit geleistet. Das war dann auch sehr interessant zu lesen und für mich der wertvollste Teil des Buchs. Durch diese Art der Darstellung wird auch die Kritik an Dawkins aufgewertet, weil er nicht in Bausch und Bogen ‘verdammt’ wird. Ich stimme mit Frau Peetz in vielen Kritikpunkten an Dawkins durchaus überein.
Sollte ich Wünsche äußern dürfen, sollte das Buch etwa den halben Umfang haben (vieles ist redundant, man hätte auch die Wertung gleich in die Darstellung integrieren können, einige Details der Diskussion sind nicht so relevant). Dann wäre es allerdings für alle Seiten mit Gewinn zu lesen. Gerade die Krawall-Atheisten sollten durchaus gelegentlich lernen, wo ihr Meister seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.”
Godehard Brüntrup
Die Autorin behauptet in dem Interview, dass folgendes Argument von geringem Niveau sei: “Ein Mechanismus kann Höherentwicklung nicht erklären, dafür braucht es letztlich ein zugrundeliegende metaphysiche Größe, die Höherentwicklung allererst ermöglicht (z.B. Gott).” Die Autorin behauptet, die Philosophie könne der Naturwissenschaft nicht vorschreiben, was die natürlichen Fakten sind. Das ist leider ein vollständiges Missverständnis dieses Arguments, das von Whitehead, Rahner, Teilhard de Chardin und anderen vorgebracht wurde, und dass letztlich auch auf Leibniz (zureichender Grund) zurückgeht. Die Philosophie schreibt hier der Naturwissenschaft nichts vor, sondern reflektiert auf die metaphysischen Voraussetzungen, die implizit in den Ergebnissen der Naturwissenschaft vorhanden sind.
Thomas Waschke
@Godehard Brüntrup
Ich habe das Interview gerade, aber eher ‘nebenbei’, gehört (das Buch habe ich mir bestellt, ich denke, das ist informativer). Mir ist aufgefallen, dass sie, vielleicht als Theologin, die naturwissenschaftliche Leistung Dawkins viel zu stark anerkennt. Innerhalb der Evolutionsbiologie hat Dawkins noch nie eine zentrale Rolle gespielt, denn sein Gebiet ist viel zu begrenzt. Er hat sich auf dem Gebiet der Verhaltensbiologie promoviert (hatte wenig mit Evolution zu tun) und sein fachwissenschaftlicher Ruf basiert auf ‘The Selfish Gene’. Das ist mit Sicherheit eins der besten Bücher zu diesem Thema, das jemals geschrieben wurde. Dawkins griff eine aktuelle Diskussion auf (‘was ist der Ansatzpunkt der Selektion’), speziell ging es um Wynne-Edwards’ Idee der Gruppenselektion. Dawkins dachte Ansätze von Trivers und Hamilton kreativ weiter und brachte viele Gedanken auch durch griffige Thesen und Begriffe (er erkannte später, dass ‘selfish’ nicht geeignet war) auf den Punkt. Danach hat er aber nur noch in diesem Gebiet, eben der Selektionstheorie, eine Rolle gespielt, obwohl sein Ultradarwinismus nie besonders verbreitet war. Wie schon gesagt räumt Dawkins ein, dass sich seine Thesen nur auf die Selektionstheorie, genauer die Adaptation, beziehen. Das ist nur ein Teilgebiet der Evolutionsbiologie, zwar zentral, aber eben wenig relevant, wenn es um die Genese von Neuheiten geht. [siehe unten]
Es lässt sich leicht zeigen, dass der Mechanismus, den Dawkins beispielsweise in ‘The Blind Watchmaker’ als Erklärung zur Entstehung komplexer Systeme vorstellt, nicht funktionieren kann. In seinem ‘Climbing Mount Improbable’ wird das noch deutlicher. Es ist trivial, dass man auf den Berg kommt, wenn eine Rampe da ist. Die Frage ist aber, ob es diese Rampe tatsächlich gibt. Das konnte Dawkins nie zeigen, und die Beispiele, die er verwendet, sind ‘gemogelt’, eben weil er schon Systeme voraussetzt, die eine Basis-Funktionalität zeigen. Es ist schon seit Darwin bekannt, wie aus einem lichtempfindlichen Fleck ein Linsenauge entstehen kann. Wie aber aus einem System, das kein Licht rezipieren kann, eins entsteht, das dazu in der Lage ist, wird nicht untersucht. Aber gerade das ist der zentrale Punkt. Letztlich ist der erste Schritt (von keiner Funktion zu einer minimalen Funktion) niemals durch die Selektion erklärbar. Aber gerade dieser Schritt ist der interessante Schritt. Selektion ist hier nicht möglich, eben weil es keine Funktion gibt, die selektiert werden kann. Letztlich muss immer der Zufall bemüht werden.
Wie gesagt, vielleicht steht diese Kritik im Buch, das ich noch nicht kenne.
—Zitat—
Die Philosophie schreibt hier der Naturwissenschaft nichts vor, sondern reflektiert auf die metaphysischen Voraussetzungen, die implizit in den Ergebnissen der Naturwissenschaft vorhanden sind.
—Zitatende—
Kann man so sehen. Man kann aber hinterfragen, ob die Metaphysik etwas taugt. Genauer, ob sich zeigen lässt, dass die Metaphysik nicht durch neue Ergebnisse der Naturwissenschaften hinfällig wird. Mich würde eine Metaphysik der Molekulargenetik interessieren, die vor 30 Jahren formuliert wurde. Wäre interessant, zu sehen, ob die heute noch anwendbar ist.
Ich bin mit Ihnen vollkommen darin einig, dass die Philosophie metaphysische Voraussetzungen aufzeigen kann (und vielleicht muss, denn das ist nicht das Feld von praktizierenden Naturwissenschaftlern). Ich vermute aber, dass das immer nur negativ sein kann. Positive Ergebnisse, also eine Naturphilosophie, die fachwissenschaftliche Erkenntnisse vorwegnimmt oder auch nur mögliche Grenzen der Erkenntnis nachweisen kann, halte ich für schwer vorstellbar. Dazu kommt noch, dass diese Übungen, wenn sie von Theologen durchgeführt werden, eigentlich sinnlos sind. Der Typ Gott, den man so mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften in Einklang bringen kann, ist kein Gott, der sich ans Kreuz schlagen lässt, sondern ein blutleerer spinozistischer ‘deus sive natura’, wie ihn beispielsweise Einstein für möglich hielt.
Dawkins: Evolutionstheoretischer Außenseiter?
Thomas Waschke
Interessant, bin gespannt auf das Buch. Bei der Lektüre von Dawkins und dem, was er zu Evolution schreibt, muss man immer bedenken, dass er expressis verbis betont, dass das nur für Adaptation gilt. Mir ist dann aber schleierhaft, welch weit reichende, auch theologisch, Annahmen er macht. Ich habe auch nie verstanden, was sein B747-‘Argument’ mit dem zu tun hat, was Theologen vertreten. Plantinga hat das sehr schön deutlich gemacht.
Lange Rede, kurzer Sinn: Dawkins ist ein hervorragender Popularisator, der seit Jahrzehnten keine evolutionsbiologische Primärliteratur mehr produziert hat, im Bereich der Evolutionsbiologie eine Außenseiter-Position (‘Ultra-Darwinismus’) vertritt und im Bereich der Theologie auf dem Niveau derer, die er bekämpft, verbleibt.
Zoran Jovic
Nun das interessiert mich jetzt. NN scheint das ja anders zu sehen mit der Außenseitermeinung. Was stimmt jetzt: Ist Darwking nun evolutionstheoretisch Mainstream oder eher Außenseitermeinung?
Thomas Waschke
@NN: Die ganze Sache ist ein wenig kompliziert. Dawkins ist, wie Sie ja beschrieben haben, Popularisator. Ich habe schon geschrieben, dass „The Selfish Gene“ ein Meisterwerk war und mit Sicherheit einen Meilenstein darstellt. Dawkins hat an anderer Stelle expressis verbis geschrieben, dass ihn nur die Adaptation interessiert, die aber nur einen Teil der Evolution darstellt. Daher kann Dawkins prinzipiell nicht die gesamte Evolution erklären. Charakteristisch an Dawkins ist, dass er alle Einwände formuliert, aber nicht in sein Weltbild einbaut.
Die Rolle Dawkins innerhalb der Evolutionsbiologie können Sie leicht anhand des Literaturverzeichnisses in den entsprechenden Lehrbüchern oder Übersichtsartikeln nachvollziehen. Dawkins hat in den letzten Jahrzehnten so gut wie nichts mehr publiziert, das als Primärliteratur gelten könnte.
Der Begriff ‘Evolution’ ist ein Breiwort, das innerhalb der Biologie in mindestens 3 Bedeutungen gebraucht wird: Historische Tatsache, Deszendenz und Mechanismen. Die ersten beiden Bedeutungen waren Konsens schon zu Darwins Zeiten. Die Selektionstheorie (Darwin nannte sie ‘my theory’) war zu Lebzeiten Darwins nicht anerkannt, galt nach Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln als widerlegt und schaffte, was kaum eine naturwissenschaftliche Theorie geschafft hat: Sie wurde als Phoenix aus der Asche zwischen 1949 und 1972 Standard. Inzwischen wird sie eher als Spezialfall angesehen, und über den genauen Mechanismus der Evolution (vermutlich gibt es auf jeden Fall mehrere) wird in der Fachwelt munter gestritten. In diesem Spektrum nimmt Dawkins eine Position ein, die als ‘Ultra-Darwinismus’ bezeichnet wird, eher eine Außenseiter-Position.
Worum es aber eigentlich geht, ist ‘Evolutionstheorie’ im Singular. Das ist Evolution (Tatsache, Deszendenz und Mechanismen) gekoppelt mit Naturalismus, letztlich ein Weltbild. Das vertritt Dawkins mit Herzblut. Ein Problem hat er nur dann, wenn er meint, so Religion widerlegen zu können. Das klappt nicht, aus verschiedenen Gründen, einer davon ist schon, dass seine mechanismische Auffassung von Evolution nur die Adaptation erklären kann, und, wenn man genauer hinschaut, nicht einmal die.
Frank Großmann
Kritisierte nicht u.a. Gould Selfish Gene mit dem Hinweis, dass Selektion beim Phänotyp und nicht beim Genotyp ansetzt?
Thomas Waschke
@Frank Großmann
nicht nur Gould. Aber Dawkins hat ja mit seinem ‘The Extended Phenotype’ für die Fachwelt das noch einmal ausgeführt, was er in ‘The Selfish Gene’ für ein weniger fachlich gebildetes Publikum populär dargestellt hatte.
Frank Großmann
@Thomas Waschke: das hat ja – wenn ich das mit meinem laienhaften Verständnis richtig sehe – verschiedene Aspekte. Zum Ersten gibt es verschiedene Mechanismen, die bewirken, dass der gleiche Genotyp unterschiedliche Phänotypen hervorbringen kann. Zum Zweiten bildet der Phänotyp die “Angriffsfläche” der Selektion, sodass es stimmiger wäre, zu sagen, dass die Gene registrieren, was da draußen an der Front benötigt wird, und sich entsprechend darauf einstellen also – um im Bild zu bleiben – gerade nicht darauf setzen, sich so wie sie sind durchzusetzen. Zum dritten geht es ja nicht unbedingt um die spezifische Funktion, die EIN Gen bewirkt, sondern um den ganzen Funktionskomplex, den das Ensemble der Gene hervorbringt. Summa Summarum erscheint das Bild nicht stimmig. Dass Selektion nicht bei Art oder Gruppe ansetzt, leuchtet ein, sie setzt aber auch nicht unbedingt beim einzelnen Gen an, sondern beim einzelnen Organismus. Nicht der Organismus ist Überlebensmaschine der Gene, sondern die Genmaschinerie steht im Dienst des Überlebens der Organismen.
Außerdem hat das Bild vom Selfish Gene gerade bei Laien viel Missverständnis ausgelöst. Ich kann mich täuschen, aber meiner Meinung nach, gibt sogar Wikipedia die Verwandtenselektionfalsch wieder. Oder stellt Dawkins das tatsächlich so dar? Welches “Interesse” sollte ein Gen daran “haben”, dass möglichst viele Gene von einer Sorte erhalten bleiben? Wo sollte die Verbindung sein? Das könnte man sich doch bestenfalls für ein Gen vorstellen, das für die Opferbereitschaft verantwortlich ist, da dies dann dem Erhalt der Sippe dient.Oder was habe ich da nicht verstanden?
Viele haben das Buch auch als Hohelied auf die radikale Eigennutzorientierung, die sich selbst im Altruismus scheinheilig verbirgt, verstanden. Siehe die Geschichte vom Ex-Enron-CEO Skilling. Seine Geschäftsstrategie – die ihm schließlich 24 Jahre Haft einbrachte – hat er nach eigenem Bekunden unter dem Eindruck der “Selfish Gene”-Lektüre entwickelt…
Thomas Waschke
@NN
—Zitat—
Die Evolutionstheorie ist die am besten bestätigte Theorie der Naturwissenschaften.
—Zitatende—
Das Problem ist, dass Sie präzise definieren müssen, was unter ‘Evolutionstheorie’ zu verstehen ist. Es gibt übrigens auch supranaturalistische Evolutions’theorien’. Es wird Sie vermutlich nicht verwundern, dass es Autoren gibt, die bezweifeln, ob es überhaupt eine Evolutionstheorie gibt, wenn man an ‘Theorie’ bestimmte Ansprüche stellt. Formalisiert jedenfalls sind nur Teile der Selektionstheorie, auf keinen Fall Evolution.
—Zitat—
Und schon die “theory of everything” for living things. Kleinere Erweiterungen wirds noch geben.
—Zitatende—
Ich vermute, dass es ganz große Erweiterungen sein werden. Eine nicht selten zu lesende Einschätzung ist, dass die Selektionstheorie in etwa der Newtonschen Theorie entspricht. Aber im Gegensatz zur Relativitätstheorie ist das Pendant in der Evolutionsbiologie noch nicht formuliert.
—Zitat—
Aber seitdem auch die großen Evolutionssprünge geklärt sind (Entwicklungsbiologie, homeobox-genes), gibts nicht mehr allzuviel “Großes”, was der Erklärung harrt.
—Zitatende—
Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen nehmen. Ihre Einschätzung deckt sich nicht mit dem, was mir bekannt ist.
—Zitat—
Dawkins schreibt für diese Öffentlichkeit. Fachwissen langweilt die meisten. Wie gesagt: Ich nehm den nicht als Biologen, sondern als Kirchenkritiker.
—Zitatende—
Ich kenne mich in Evolutionsbiologie hinreichend aus, um zu überblicken, wie das, was Dawkins schreibt, in diesem Gebiet eingeschätzt wird.
Ich bin mit Dawkins viel einiger darin, dass Naturwissenschaften und Religion nicht unter einen Hut gehen, als mit dem, was Dawkins auf dem Gebiet der Evolutionsbiologie vertritt.
…
Gehen Sie davon aus, dass ich mich seit vielen Jahren sehr intensiv mit der Geschichte der Evolutionstheorie befasse, speziell unter dem Gesichtspunkt heterodoxer Ansichten und vor allem der Evolutionskritik, vor allem von Seiten des Intelligent Design. In diesem Kontext habe ich gelernt, dass eine große Lücke zwischen dem klafft, was man in Lehrbüchern des MainStream findet, und dem, was man beispielsweise in Übersichtsartikeln dargestellt sieht. Für die interessierte Öffentlichkeit und Studenten wird üblicherweise das herausgestellt, was man meint, einigermaßen sicher zu wissen. In einer Diskussion zwischen Fachleuten ist dann selbst das nicht mehr so ganz gesichert.
Was als gesichert oder sogar als ‘wahr’ betrachtet wird, ist oft auch eine Machtfrage. Das geht sogar so weit, dass die Historiographie betroffen ist. Das ist am Beispiel der Synthetischen Theorie der Evolution, speziell deren ‘hardening’, wissenschaftsthistorisch sehr gut untersucht. Sie werden natürlich immer Arbeiten des MainStream finden, in denen vollmundig betont wird, dass die Heterodoxien keinerlei Bedeutung haben. Aber falls Sie Argumente suchen, warum eine Heterodoxie falsch ist, wird es schon wesentlich komplexer.
BTW, es wäre interessant, zu untersuchen, ob Dawkins im Bereich der Evolutionsbiologie zum MainStream gehört. Dieses Unterfangen dürfte aber nicht einfach sein, denn Dawkins ist ein sehr kluger Kopf, der mögliche Einwände immer wieder anführt. So hat er beispielsweise EvoDevo schon erwähnt, bevor es diesen Begriff gab. Allerdings hat er sich nicht dafür interessiert, was das für seinen fachwissenschaftlichen Ansatz bedeutet. Die Erklärung dafür ist eher simpel: Dawkins hat expressis verbis betont, dass er sich für Adaptation interessiert, allerdings ohne den Rest gering zu schätzen. Daraus folgt, dass das, was er über Evolution schreibt, eigentlich als Aussagen zu Adaptation zu betrachten ist. Vieles von dem, was Sie oben angeführt haben, liefert bestenfalls den Input zu diesem Prozess. Die spannende Frage ist dann, ob Evolution selektions- oder variationsgesteuert ist. Ich vermute, dass die Selektion nicht die Rolle spielt, die sie spielen müsste, falls Dawkins Recht haben sollte. Vergessen Sie nicht, dass er schon in „The Blind Watchmaker“ explizit betont hat, dass durch kumulative Selektion geklärt sei, wie Evolution verläuft. Es ist leicht, zu zeigen, dass Dawkins sich irrte. Primitiv kann man das durch die Formulierung ausdrücken, dass es nicht darum geht, zu zeigen, dass man mit dem Rollstuhl über die Rampe auf den ‘Mount Improbable’ fahren kann, sondern ob es diese Rampe gibt.
Noch ein anderer Thread ist, ob beispielsweise der Begriff ‘Synthetische Theorie der Evolution’ (Futuyma ist ein Proponent dieses Standards) klar definiert ist, und ob Menschen, die ‘Evolutionstheorie’ sagen und ‘Synthetische Theorie der Evolution’ meinen, überhaupt wissen, was sie inhaltlich vertreten. Der Klassiker ist immer noch Dobzhansky, T.; Ayala, F.J.; Stebbins, G.L.; Valentine, J.W. (1977) ‘Evolution’ San Francisco, W. H. Freeman.
Dobzhansky starb IIRC [if I remember correctly] als die Druckfahnen unterwegs waren. In diesem Buch wird der Standard der Evolutionsbiologie, der von etwa 1949 bis 1973 mehr oder weniger unumstritten galt (‘man’ war Anhänger dieser Theorie oder Dilettant), angeblich am klarsten dargestellt. Anschließend hielt meines Wissens vor allem Futuyma das Fähnlein hoch, aber es gab dann eine ganze Reihe von Autoren, die von der ‘reinen Lehre’ abwichen, sollte es die tatsächlich gegeben haben.
—Zitat—
Wie gesagt: Evolutionstheorie(n) ist eher Forschungsprogramm oder Modell. Was besseres haben wir nicht. Auch die physikalischen Theorien kann man unterschiedlich axiomatisieren.
—Zitatende—
Ernst Mayr hat im hohen Alter versucht, zu zeigen, dass die wissenschaftstheoretische Denke, die von den theoretischen Physikern her kommt (die meisten Wissenschaftstheoretiker, deren Namen man ab und an liest, sind als theoretische Physiker ausgebildet), in der (Evolutions)Biologie keinen Sinn macht. Ich bin kein Experte in Wissenschaftstheorie, sehe aber durchaus den Punkt von Mayr.
(Mayr, E. (2004) ‘What Makes Biology Unique? Considerations on the autonomy of a scientific discipline’ Cambridge, Cambridge University Press)
Zur weltanschaulichen Deutung der Evolutionstheorie
Thomas Waschke
@NN
—Zitat—
PS: Zumindest gibts keine großartigen philosophischen Auslegungen der ET – wie in der Quantentheorie. Die von allen Seiten – vom Eso über den Theologen bis zum alterssenilen Physiker – als Allzweckwaffe der Spiritualität genutzt wird (oder als Gottesbeweis wie hier im Forum). Vielleicht ist es das, was manchen Leuten so unangenehm aufstößt: So verdammt materiell alles in der Biologie? Nicht so wie die putzigen Quanten, die einem immer entwischen.
—Zitatende—
Hmmm, sehe ich auch so, aber ich bin in Esoterik nicht hinreichend informiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch dort Menschen gibt, die ‘Evolution’ (natürlich nicht die Variante, die wir vertreten) in Spinnereien einbauen.
—Zitat—
Jedenfalls Biologie/Evolution eignet sich eher nicht mehr zur spirituellen Erleuchtung (Vitalisten und so Spinner wie den Teilhard de Chardin mal ausgenommen).
—Zitatende—
… an Teilhard hatte ich auch gedacht, und, wie oben geschrieben, ich vermute, dass es da noch mehr gibt.
—Zitat—
Christen wenden sich komischerweise eher gegen Darwin und Evolution als gegen Einstein und Physik. Obwohl er, Einstein, theistische Religionen als Ausbund der Borniertheit ansah.
—Zitatende—
Kann sein, dass jeder merkt, dass er in Physik dilettiert, falls er mal in ein einschlägiges Buch schaut. Hinsichtlich Evolution meinen viel mehr Menschen, mitreden zu können. Das Verhältnis von Christen zu Darwin war schon immer komplex, wie schon gesagt gibt es eine gar nicht so kleine Gruppe, die meint, mit Darwin die Theodizee-Frage entschärfen zu können. Das hat man übrigens schon zu Lebzeiten Darwins gemacht, und, auch wenn man Blume überhaupt nicht schätzt (Blume, M. (2013) ‘Charles Darwin als Theologe. Evolution und Gottesfrage als Taschenbuch bei Herder'[siehe scilogs]), sollte man schon mal gelesen haben. Ich habe aus dem Buch nicht viel gelernt, was ich nicht schon aus anderen Büchern kannte (Blume ist kein Wissenschaftshistoriker, er hat auch keine Literatur verwendet, die irgendwie noch nicht erschlossen wäre und stützt weite Teile seiner Argumentation auf Standard-Literatur, wogegen natürlich nichts einzuwenden ist), aber Menschen wie Dawkins, Schmidt Salomon etc., die meinen, im Namen Darwins Evolutionsbiologie als negativen Gottesbeweis zu werten, sollten das Buch auf jeden Fall lesen. Zumindest sollten sie ihre Darstellung den Tatsachen anpassen.
NN
Ein partiell negativer Gottesbeweis fällt mir jetzt noch ein. Wie konnte ich das vergessen? Und der kommt direkt aus Darwinscher Evolutionstheorie. Biologen zitieren den nicht so häufig. Muss an Wahrscheinlichkeitstheorie liegen, die dem zugrunde liegt
Wo Evolutionstheorie mit Theismus massiv kollidiert ist der “objektive” Zufall – random variation – im Evolutions-Spiel: Würde man die Evolution auf der Erde von Anfang an immer wieder ablaufen lassen, kämen komplett verschiedene “Erden” raus, mit unterschiedlichen Faunen und Floren (kann man ja im Computer mittlerweile simulieren).
Auch welche ohne Menschen oder Gehirne, die über sich reflektieren (“Zufall Mensch” von Gould).
Manche meinen, ET ist deshalb nur mit Deismus oder Pantheismus kompatibel. Nicht jedoch mit dem “eingreifenden” Gott der abrahamitischen Religionen, der auch die ganze Chose ja irgendwie auf den Menschen zulaufen ließ? Der Mensch musste entstehen? Von Anfang an?
Thomas Waschke
@NN
—Zitat—
Wo Evolutionstheorie mit Theismus massiv kollidiert ist der “objektive” Zufall – random variation – im Evolutions-Spiel: Würde man die Evolution auf der Erde von Anfang an immer wieder ablaufen lassen, kämen komplett verschiedene “Erden” raus, mit unterschiedlichen Faunen und Floren (kann man ja im Computer mittlerweile simulieren).
—Zitatende—
Mhhhm, Conway Morris würde hier wohl Protest einlegen, aber ich denke, dass eher Gould Recht hat.
—Zitat—
Manche meinen, ET ist deshalb nur mit Deismus oder Pantheismus kompatibel. Nicht jedoch mit dem “eingreifenden” Gott der abrahamitischen Religionen, der auch die ganze Chose ja irgendwie auf den Menschen zulaufen ließ? Der Mensch musste entstehen? Von Anfang an?
—Zitatende—
Ich weiß nur, dass Theologen hier schon alle Nuancen ausgelutscht haben. Das, was für uns ‘absoluter Zufall’ ist, ist für die ‘digitus dei’. Gott versteckt seine Eingriffe im Quantenrauschen. Oder mal ein Meteorit hier, eine Mutation da, und schon kommt das heraus, was er haben will. Die Bibel 2.0 ist noch nicht auf dem Markt, aber die Menschen ‘damals’ haben halt auf ihrem begrenzten Niveau anders argumentieren müssen. Die Evolution macht halt auch vor Gottesbildern nicht Halt …
NN
@Thomas Waschke: Ja die Theologen mit Ihrer Nebeltaktik. Haben sich ja auch hier in der Diskussion dezent zurückgehalten. Aber man muss halt auch mitm Zeitgeist gehen, sonst schwimmen einem in Europa wirklich alle Felle davon. Jeder seine eigene Sekte, von den Schäfchen. Da brauch man dann schon eine Menge Tricks, um das einigermaßen konsistent ins 21. Jh. zu kriegen. Wie bei den Esos geht die Allzweckwaffe Quantentheorie immer gut. Ein bisschen Kapitalismuskritik (von Protestanten immer besonders putzig), Sinnfindung in diesen bösen materiellen Zeiten, was haben wir noch im Bauchladen?
Die Globalisierung wird vielen Religionen den Garaus machen. Auch, wenns jetzt so aussieht, dass eher Evangelikale, Charismatiker massiv auf dem Vormarsch sind in emerging countries.
Dawkins: “Krawall-Atheist” (Joachim Kahl)?
Zoran Jovic
Dawkins ist auch eine Gegenreaktion zu Fundamentalismus und 11. September. Das kann man ihm auch nicht übel nehmen. Ich bin selbst ein Agnostiker (es gibt keine Beweise) sehe nicht, dass die Welt ohne Religion friedlicher wäre. Aber warum man heute auf die Idee kommt, ohne Religion wäre die Welt besser, ist eine sehr menschliche Reaktion. Verbrechen im Namen der Religion hat es ja mehr als genug gegeben.
Heinz-Hermann Peitz
@Zoran Jovic: Ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie sagen “Verbrechen im Namen der Religion hat es ja mehr als genug gegeben”. Aber Dawkins’ Formulierung kann man kaum so stehen lassen: “Einzelne Atheisten können scheußliche Dinge tun, aber nicht im Namen des Atheismus. … Religionskriege werden tatsächlich im Namen der Religion geführt.” (387) Zu Recht wendet dagegen McGrath ein: “Die sowjetischen Behörden haben in ihren Bemühungen, die atheistische Ideologie durchzusetzen, zwischen 1918 und 1941 systematisch die große Mehrheit der Kirchen und Priester ausgelöscht. … Dawkins‘ kindlich-naive Ansicht, Atheisten wendeten im Namen des Atheismus nie Gewalt an, zerschellt an den grausamen Felsen der Realität.” (McGrath 99)
Zoran Jovic
Natürlich stimmt es, ich selber gehe davon aus, dass die Menschen nicht besser ohne Religion wären. Aber warum Leute nach dem 11. September, Boko Haram etc., zu diesem Schluss kommen, kann man verstehen.
Dass Dawkins historisches Wissen fehlt, ist eine andere Sache z.B. waren vor dem 19. Jahrhundert der Mongolensturm viel stärker in das muslimische kollektive Gedächtnis eingebrannt als die Kreuzzüge.
Thomas Waschke
@NN
—Zitat—
Dawkins kämpft gegen den Einfluss organisierter Kirchen. Wie ein Politiker – anders geht das nicht. … Warum sollte also Darwin anders kämpfen?
—Zitatende—
das ist ein anderer Punkt. Ich bin mir nicht sicher, ob seine Strategie erfolgreich ist, aber das steht auf einem anderen Blatt. Ist vermutlich auch Geschmackssache. Dawkins ist nicht unbedingt ein Krawall-Atheist (ich habe viele Interviews von Dawkins mit Theisten, Kreationisten etc. gesehen, Dawkins fragt sehr einfühlsam und lässt seine Partner zu Wort kommen, auch wenn das schwer fällt), aber seine Argumente beurteile ich eher wie Kahl (die ‘klassischen’ Atheisten haben auch schon die üblichen Argumente vertreten, die Dawkins anführt) und das, was an Dawkins neu ist, bezieht sich meist auf Biologie und ist oft doppelt problematisch. Es basiert auf Kenntnissen der Evolutionsbiologie, die nicht vorhanden sind, und wendet sich gegen Aussagen, die Theologen gar nicht vertreten. Beispiel für eine derartige Argumentation ist sein ‘ultimate B747-gambit’. Ich konnte noch nie nachvollziehen, warum Dawkins meint, das sei ein Argument.
Sie [NN] fingen damit an, dass Dawkins als Politiker argumentiert. Er sieht das übrigens selber so, steht explizit im Vorwort zu The Blind Watchmaker. Von einem Winkeladvokaten trennt ihn seiner Einschätzung nach nur, dass er davon überzeugt ist, was er mit Herzblut auf diese Weise vertritt.
Das sehe ich auch so. Mit einem *fachwissenschaftlichen* Argument sollte man das aber nicht verwechseln.
Zurück zu Dawkins: Er stellt in diesem Kontext durchaus wichtige und richtige Fragen an die Theologie (Frau Peetz hat das in Ihrem Buch, aber auch in dem Interview schön herausgearbeitet), aber er ‘verhebt’ sich in zwei Bereichen. Der eine ist die Evolutionsbiologie, der andere Theologie, und zwar dann, wenn er den Bereich der richtigen und wichtigen Fragen verlässt.
Mary B Moritz
Absolute Hochachtung, mir ist sehr rasch der Atem ausgegangen in der Beschäftigung mit “The God Delusion”. Interessant ist ja sein Ansatz, gar nicht zu fragen nach der Existenz oder Nicht-Existenz, sondern der Wahrscheinlichkeit, oder – wie er eben meint – Nicht-Wahrscheinlichkeit Gottes. Das kommt natürlich auch von seinem auch eher nicht vorhandenen Begriff von Wahrheit. So hatte ich die Frage aber noch nicht betrachtet.
@NN: Ich wäre mir da nicht so sicher, dass Dawkins einen klaren philosophischen Wahrheitsbegriff hat, ich denke eher, dass sein Wissen um die Philosophie ungefähr ähnlich ist wie sein Wissen um die Theologie. Also ich würde mir da nicht allzuviel erwarten. Ich denke wohl eher, es ist ein “scientistischer” – um dieses schöne neue Wort zu verwenden. “Wahr ist, was die NW als wahr erkannt hat (ich muss allerdings gewärtig sein, dass sich dies auch ändern kann) – und eine andere Wahrheit gibt’s nicht. Punkt”
Frank Großmann
Gerade mit seiner Wahrscheinlichkeitsrechnung verdeutlicht er meiner Meinung nach die Irrationalität seines Hardcore Atheismus. In „God Delusion“ gibt er Gottes Existenz eine Wahrscheinlichkeit von 2%. Wenn man bedenkt, dass es bei der Gottesfrage um alles oder nichts in höchster Potenz geht (er selbst bezeichnet sie als eine der wichtigsten Fragen überhaupt), sollte man sich dann doch zumindest eine gewisse Offenheit bewahren und nicht gegen alles, was mit Gott zu tun hat Sturm rennen … Welchen Run gäbe es auf Lotto-Annahmestellen, wenn die Chance auf einen Sechser 1:50 wäre … Wie viele Leute würden bei gleicher Absturzquote noch in ein Flugzeug steigen …
Thomas Waschke
@Frank Großmann
—Zitat—
Gerade mit seiner Wahrscheinlichkeitsrechnung verdeutlicht er meiner Meinung nach die Irrationalität seines Hardcore Atheismus.
—Zitatende—
Dawkins ist, wie jeder, der ein wenig nachdenkt, Agnostiker. Pikant ist natürlich, dass er sich in einem Kapitel mit dem Titel ‘The Poverty of Agnosticism’ als Agnostiker outet. In Interviews hat er auch mehrfach expressis verbis bestätigt, dass er Agnostiker ist. Übrigens wie Bertrand Russell (Russell, B. (1947) ‘Am I An Atheist Or An Agnostic? A Plea For Tolerance In The Face Of New Dogmas’ URL: <http://www.positiveatheism.org/hist/russell8.htm>, letzter Zugriff: 12.01.2004), der auch betonte, dass er Agnostiker sei. Allerdings mit dem interessanten Zusatz, dass er sich nur vor philosophisch gebildetem Publikum so bezeichnet, dem Mann auf der Straße gegenüber jedoch als Atheist. Wie gesagt, Dawkins bedient eine bestimmte Klientel.
—Zitat—
In God Delusion gibt er Gottes Existenz eine Wahrscheinlichkeit von 2%. Wenn man bedenkt, dass es bei der Gottesfrage um alles oder nichts in höchster Potenz geht (er selbst bezeichnet sie als eine der wichtigsten Fragen überhaupt), sollte man sich dann doch zumindest eine gewisse Offenheit bewahren und nicht gegen alles, was mit Gott zu tun hat Sturm rennen…
—Zitatende—
Wie relevant die Existenz eines Gottes ist, hängt davon ab, welche Rolle er für uns spielt. Ein Unbewegter Beweger ist für mich Hose wie Jacke, obwohl er wesentlich ‘größer’ ist als ein Gott, der sich darum schert, ob ich leide oder gar ob ich ihn anbete.
—Zitat—
Welchen Run gäbe es auf Lotto-Annahmestellen, wenn die Chance auf einen Sechser 1:50 wäre… Wie viele Leute würden bei gleicher Absturzquote noch in ein Flugzeug steigen…
—Zitatende—
Oben sprachen Sie noch von zwei Prozent, und wenn Sie Dawkins genauer lesen, werden Sie merken, dass er die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes eher unter der einschätzt, im Lotto zu gewinnen.
Frank Großmann
Dawkins ist sozusagen die Personifikation eines Low-Level-Atheismus. Er gibt vielen, die in einem ähnlichen Klischee-Denken verfangen sind, eine Stimme und hat natürlich auch viele Wankelmütige eingefangen, für die der ehem. Oxford-Professor die eigene Auseinandersetzung mit dem Thema ersetzt. Deshalb, und weil der Neu-Atheismus durchaus Tendenzen und Potenzial hat, unser schwer genug errungenes Verständnis von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten peu a peu zu unterlaufen bzw. umzudeuten, ist eine Auseinandersetzung mit ihm schon wichtig.
Aber unterm Strich habe ich noch keine Diskussion erlebt, in der man wirklich Dawkins Thesen einmal Punkt für Punkt durchgegangen ist, bei der am Ende der atheistische Part nicht eingesteht, dass das meiste – so wie er es bringt – nicht haltbar ist… Der Atheismus war vor Dawkins – wenn ich an Leute wie Chomsky, Gray, Rorty denke auch in den USA – im Grunde längst weiter – diskursfähig auf hohem Niveau, reflektiert und selbstkritisch, in der Mitte der Gesellschaft angekommen, völlig selbstverständlich konstruktiv und produktiv an der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen beteiligt… Mit Dawkins wirkt es wie eine geistige Bruchlandung, als würden die weltanschaulichen Grabenkämpfe des 18./19. Jh. wieder aufgewärmt…
Thomas Waschke
@Frank Großmann
—Zitat—
Aber unterm Strich habe ich noch keine Diskussion erlebt, in der man wirklich Dawkins Thesen einmal Punkt für Punkt durchgegangen ist, bei der am Ende der atheistische Part nicht eingesteht, dass das meiste – so wie er es bringt – nicht haltbar ist…
—Zitatende—
stimmt. Aber Dawkins spielt mit offenen Karten. Ihn interessiert HighEnd-Theologie gar nicht, sondern die Menschen, die ihm Probleme machen. Die haben von Theologie auch nicht viel mehr Ahnung.
Die Argumente von Dawkins richten sich daher nicht gegen Theologen (gegen die hat er ein anderes, viel mächtigeres Argument, s.u.), sondern an die Menschen, die er erreichen will: Sein Buch als Theist lesen, und als Atheist wieder weglegen.
—Zitat—
Der Atheismus war vor Dawkins – wenn ich an Leute wie Chomsky, Gray, Rorty denke auch in den USA – im Grunde längst weiter – diskursfähig auf hohem Niveau, reflektiert und selbstkritisch, in der Mitte der Gesellschaft angekommen, völlig selbstverständlich konstruktiv und produktiv an der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen beteiligt…
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Sehe ich auch so. Aber diese Diskussion spielt sich auf einer Ebene ab, die man ruhig den Glasperlenspielern überlassen darf. Die Musik spielt dort, wo aus religiösen Gründen beispielsweise gegen Evolution polemisiert wird. Beispielsweise, indem Lehrpläne beeinflusst werden oder Unterricht behindert wird. Diese Menschen und deren Meinung interessiert Dawkins mehr als abgehobene Theologie.
Ich denke, man sollte die Theologen erst dann ernst nehmen, wenn sie mit einer Zunge sprechen. Beispielsweise sich darauf einigen können, ob ‘Gott’ nun Jehova, Allah, Christengott, Ra, Manitu oder weiß der Herr wie heißt. Und wenn sie dann noch im rationalen Diskurs vertretbare Argumente haben, kann man mit ihnen auch darüber diskutieren. Aber nur auf der Basis ‘Man kann einen Gott nicht widerlegen, daher sind Atheisten auch nur Gläubige’ macht das keinen Sinn. Das läuft dann auf ‘gleichartig ist gleichwertig’ hinaus, was noch nie gestimmt hat.
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Mit Dawkins wirkt es wie eine geistige Bruchlandung,
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Eher als GAU für Theologen: Man nimmt sie einfach nicht mehr ernst, weil man, wie im Interview ja auch schon deutlich wurde, Diskursregeln vertritt, bei denen den Theologen die Luft ausgeht. Die Herangehensweise der Naturwissenschaften (es gibt nur eine Naturwissenschaft) wird gegen die bunte Vielfalt der sich gegenseitig aufhebenden Religionen gesetzt, gefragt wird immer nach ‘where is the evidence?’. Und aus der Sicht der Naturwissenschaften sieht es da ganz schlecht aus für die allermeisten Gottesbilder. Und die, die dann noch Bestand haben, sind nicht die, die Menschen in Kirchen treiben.
Dawkins religionskritische Hauptthesen
Frank Großmann
@Thomas Waschke … In den theologischen Seminaren dieser Welt verlieren ganz sicher mehr Menschen ihren „Glauben“ (was immer das dann für eine Art von Glauben war) als bei der Dawkins-Lektüre. Ich fasse mal kurz zusammen, was mir an Dawkins-Thesen im Gedächtnis ist…
– Ein Gott als Schöpfer ergibt keinen Sinn, weil er ja noch komplexer als die Schöpfung sein müsste und die Frage aufwerfen würde, wer Ihn denn geschaffen hat
– Man kann nicht beweisen, dass ein Schöpfer nicht doch beteiligt war, aber Kosmologie bzw. Astrophysik und Evolutionstheorie erklären die Entstehung des Universums und des Lebens viel eleganter.
– Religion verlangt unreflektiertes Fürwahrhalten von Glaubenssätzen, die bronzezeitlichen Texten entnommen sind, was nur durch kindliche Indoktrination erklärbar ist
– Gotteserfahrung lässt sich als psychisches bzw. psychopathologisches Phänomen deuten
– Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, neuzeitliche Wissenschaft wurden gegen den Widerstand der Religionen durchgesetzt
– Religion und Wissenschaft schließen einander aus
– Der Gott des AT ist ein ganz grausamer und böser. Der des NT ist nicht viel besser, predigt dieses doch Gruppenegoismus (Nächstenliebe nur unter Israeliten) und droht allen, die nicht ihr Denken abschalten und an Ihn glauben mit ewiger Verdammnis.
– Aus der Bibel kann man keine Moral und Ethik entnehmen. Wer dies meint zu tun, selektiert unbewusst und pickt sich nur die guten Stellen heraus. Sein Maßstab ist der Zeitgeist.
– Gottes Existenz ist nicht sehr wahrscheinlich (2%), deshalb sollten wir mit der Prämisse leben, dass es keinen Gott gibt
– Nicht alle religiösen Menschen sind gewalttätig, es gibt aber einen „logical pathway“ vom Glauben an den einen Gott zu Intoleranz und Gewalt gegen Andersgläubige. Vom Atheismus gibt es hingegen keinen „logical pathway“ zu Intoleranz und Gewalt
Mit einem Blick auf diese Argumentationsagenda sollte eigentlich unter halbwegs gebildeten Menschen – seien Sie nun Theisten, Atheisten oder was auch immer – das Thema Dawkins bereits abgehakt sein… Ist es aber nicht – und man kann es Dawkins als Verdienst anrechnet, deutlich werden zu lassen, wie tief das allgem. Bildungsniveau in diesen Fragen bereits gesunken ist…
Akadem. Theologie hat zur Ausbreitung des Christentums noch nie sonderlich viel beigetragen. In China bspw. wächst und gedeiht es seit Jahrzehnten so gut wie ganz ohne – allen Repressalien zum trotz. Und selbst völlig areligiöse westliche Beobachter staunen über die gelebte Menschlichkeit in den Gemeinden, die Fairness und Effizienz christlicher Unternehmer, die Verdienste beim Einsatz für westliche Demokratie- und Menschenrechtsvorstellungen. Summa Summarum ein krasses Kontrasterlebnis zum atheistischen Umfeld und vielleicht die einzige Hoffnung des Westens, mit all seinen Idealen nicht früher oder später unter die Räder chinesischer Dominanz zu geraten. Und komisch – während sich ansonsten recht gebildete Hardcore-Atheisten so schwer tun, biblische Kernaussagen zu erfassen und ihre überragende positive Kraft einzufangen, gelingt das ganz einfachen chinesischen Bauern ganz ohne irgendeine akadem. Anleitung oft sofort.
Die universitäre Theologie hat trotzdem ihre Bedeutung, schon allein deshalb, weil sie natürlich eine Unmenge von Hintergrundwissen zum Themenkomplex – AT, NT, Christentum, Judentum, Religions-, Kultur und Geistesgeschichte usw. eruiert hat und eruiert. In dieser Funktion steht sie auch völlig weltanschauungsneutral zur Verfügung und arbeitet überhaupt kein bisschen anders als andere Wissenschaften. Dass man mit einer solchen intellektuellen Ausrüstung auch die Eignung besitzt, sich zu brennenden Gegenwartsfragen nachdenkenswert zu äußern, sollte ebenso einleuchten. Tut es ja i.A. auch. Ratzinger bspw. avancierte bald nach seiner Papstwahl zum Liebling der Intellektuellenszene, und kein Dawkins konnte das verhindern. Was die Verkündigung im engeren Sinne betrifft, kirchliche Dogmatik usw. ist das Spektrum innerhalb der Theologie natürlich breit – von ausgetüftelten Versuchen, sich dem naturalistischen Zeitgeist anzupassen, bis zur vollwertigen Verkündigung der Botschaft des Evangeliums in einer Art und Weise, die heute lebende Menschen verstehen. Ersteres wird wohl tatsächlich immer mehr an Bedeutung verlieren. Letzteres wird wie eh und je – wie Paulus so schön sagt – den einen Torheit sein, den anderen alles verändernde Gotteskraft.
Wieso die Verschiedenheit der Gottesvorstellungen ein Argument gegen die Existenz Gottes sein sollte, habe ich nie verstanden. Es gibt doch auch viele verschiedene Ansätze in der Evolutionstheorie. Ist das ein Beleg dafür, dass sie falsch ist? Natürlich kann keine Religion oder Theologie die Frage, wer und wie Gott ist, evident beantworten. Das kann nur Gott selber. Und spätestens ab da reden dann eben Atheisten wie der Blinde von der Farbe. Die Autorin des Buches ordnet das im Interview sehr schön unter die „starken theologischen Argumente“ ein: Die Wahrheit des christlichen Glaubens erweist sich im Vollzug. – Das ist alles andere als selbstverständlich, zumal das Christentum mit Verheißungen aufwartet, die man in keiner anderen Religion, Philosophie o. ä. findet. Selbst Ultra-Atheisten vom Schlage Harris, Hitchens etc. äußern sich doch regelmäßig in etwa so: Ich würde sofort meine Ansichten ändern, wenn sich Gott mir evident erfahrbar machen würde. – Das heißt doch, dass jeder Mensch zumind. eine Ahnung davon hat, dass es theoretisch so etwas wie eine Gewissheit vermittelnde Gotteserfahrung geben könnte, wie diese in etwa aussehen würde, dass es hier folglich auch um andere Kategorien geht, als Nachweise im Reagenzglas usw. Ich sage immer: Stellen Sie sich vor, was passieren müsste, damit Sie Christ werden. Dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, was Menschen erleben, die bevor sie Christ wurden, gewiss nicht weniger intensiv gezweifelt und hinterfragt haben als Sie…
Last but not least… das Thema Evangelikale. Auch hier vermittelt Dawkins ganz einfach ein Zerrbild. Zur seriösen Information empfehle ich M. Pally “Die neuen Evangelikalen” oder die jüngste Studie von Wissenschaftlern des MIT zum Thema http://www.huffingtonpost.com/max-tegmark/religion-and-science-distance-between-not-as-far-as-you-think_b_2664657.html?ncid=edlinkusaolp00000008 oder noch besser: beim nächsten US-Trip einfach mal ein paar evangelikale Gemeinden besuchen..
Dawkins hat hier zweifellos eine Begabung, die er hätte nutzen können, um die Evolutionstheorie den Kreisen, die nach wie vor mit ihr fremdeln in einer guten Weise näher zu bringen, statt sie mit seiner Militanz und Penetranz vor den Kopf zu stoßen …
Thomas Waschke
@Frank Großmann
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In den theologischen Seminaren dieser Welt verlieren ganz sicher mehr Menschen ihren „Glauben“ (was immer das dann für eine Art von Glauben war) als bei der Dawkins-Lektüre.
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hier in der Gegend gibt es an der Uni einen Seelsorger, der sich speziell um die Frommen kümmert, denen das Theologie-Studium den Kinderglauben raubt.
Ich habe mich mit ‘The God Delusion’ nur sehr am Rande befasst (nicht mein Interessensgebiet), aber viele andere Arbeiten von Dawkins sehr intensiv gelesen. Man findet die Argumente aus ‘The God Delusion’ schon in vielen alten Arbeiten.
Nur nebenbei, ich habe in vielen Foren von Atheisten mehr Beleidigungen anhören müssen, weil ich gewagt habe, an Dawkins herzumzukritteln (eigentlich aber nur das gesagt, was in der evolutionstheoretischen Primärliteratur steht), als jemals von Kreationisten, denen ich auch gezeigt habe, dass ihr Glaube mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften nicht kompatibel ist.
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– Ein Gott als Schöpfer ergibt keinen Sinn, weil er ja noch komplexer als die Schöpfung sein müsste und die Frage aufwerfen würde, wer Ihn denn geschaffen hat
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Yepp, das ist sein B747-Argument. Grottenfalsch, trifft kaum ein elaboriertes Gottesbild. Verblüfft aber durchaus naive Christen, die meinen mit ‘GodDidIt’ ein Argument zu haben.
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– Man kann nicht beweisen, dass ein Schöpfer nicht doch beteiligt war, aber Kosmologie bzw. Astrophysik und Evolutionstheorie erklären die Entstehung des Universums und des Lebens viel eleganter.
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Sehe ich auch so. Genauer: Sollte es überhaupt eine Erklärung geben, darf das Wort ‘Gott’ oder ‘Schöpfer’ nicht darin vorkommen. Denn das ist keine.
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– Religion verlangt unreflektiertes Fürwahrhalten von Glaubenssätzen, die bronzezeitlichen Texten entnommen sind, was nur durch kindliche Indoktrination erklärbar ist
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Klingt lächerlich für einen Theologen, dürfte aber auf die Klientel, die Dawkins im Auge hat, durchaus zutreffen.
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– Gotteserfahrung lässt sich als psychisches bzw. psychopathologisches Phänomen deuten
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Das ist mit Sicherheit korrekt.
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– Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, neuzeitliche Wissenschaft wurden gegen den Widerstand der Religionen durchgesetzt
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Yepp, sehe ich auch so.
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– Religion und Wissenschaft schließen einander aus
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Kommt darauf an, was man unter ‘Religion’ versteht. Hinsichtlich der Menschen, die Dawkins im Auge hat, trifft das mit Sicherheit zu.
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– Der Gott des AT ist ein ganz grausamer und böser. Der des NT ist nicht viel besser, predigt dieses doch Gruppenegoismus (Nächstenliebe nur unter Israeliten) und droht allen, die nicht ihr Denken abschalten und an Ihn glauben mit ewiger Verdammnis.
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Klingt für mich sehr plausibel. Den letzten Punkt hat beispielsweise auch Russell in ‘Why I am not a Christian’ angeführt. Beim NT muss man zudem immer aufpassen, Herrenworte und Gemeindeschöpfungen nicht durcheinanderzuwerfen, und hellenistische Elemente dürfte Jesus auch eher fremd gewesen sein, auch wenn Paulus mit dieser Marketing-Strategie durchaus Erfolg hatte.
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– Aus der Bibel kann man keine Moral und Ethik entnehmen. Wer dies meint zu tun, selektiert unbewusst und pickt sich nur die guten Stellen heraus. Sein Maßstab ist der Zeitgeist.
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Sehe ich auch so. In der Bibel steht ‘Pflugscharen zu Schwertern’ und ‘Schwerter zu Pflugscharen’. Ob bei Dawkins der Maßstab der Zeitgeist ist kann ich nicht beurteilen.
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– Gottes Existenz ist nicht sehr wahrscheinlich (2%), deshalb sollten wir mit der Prämisse leben, dass es keinen Gott gibt
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Eine hervorragende Heuristik. Vor allem, weil ‘Gott’ eine Worthülse ist. Ich vermute, dass es schon innerhalb des Christentums eine enorme Spanne gibt, was man denn unter ‘Gott’ zu verstehen hat, andere Religionen einmal vollkommen außen vor gelassen. Ich denke, die Heuristik, lieber gar keinen als den falschen Gott oder auch nur den richtigen in einer falschen Variante anzubeten, dürfte eine plausible Variante der Pascalschen Wette sein (falls Gott wirklich so rachsüchtig ist wie der des AT).
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– Nicht alle religiösen Menschen sind gewalttätig, es gibt aber einen „logical pathway“ vom Glauben an den einen Gott zu Intoleranz und Gewalt gegen Andersgläubige. Vom Atheismus gibt es hingegen keinen „logical pathway“ zu Intoleranz und Gewalt
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Wenn mal ein Selbstmordattentäter ein Flugzeug in ein Hochhaus fliegt und dabei ‘Daaaaaarwiiiiin …’ brüllt, ändere ich meine Meinung. Schon lange vor Dawkins hat Weinberg geschrieben: “Religion is an insult to human dignity. With or without it you would have good people doing good things and evil people doing evil things. But for good people to do evil things, that takes religion.” geschrieben. Habe ich lange als SIG[natur] im Usenet verwendet, weil ich diese Analyse durchaus teile.
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Mit einem Blick auf diese Argumentationsagenda sollte eigentlich unter halbwegs gebildeten Menschen – seien Sie nun Theisten, Atheisten oder was auch immer – das Thema Dawkins bereits abgehakt sein… Ist es aber nicht – und man kann es Dawkins als Verdienst anrechnet, deutlich werden zu lassen, wie tief das allgem. Bildungsniveau in diesen Fragen bereits gesunken ist…
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Wie gesagt, Dawkins wendet sich nicht gegen HighEnd-Theologie, wegen deren Glasperlenspiel-Charakter (und schreibt das auch explizit in „The God Delusion“). Man kann sich eher fragen, warum es, trotz der Theologen, nötig ist, so etwas zu schreiben, weil es auch Gläubige viel primitiverer Denkungsart gibt. Vielleicht sollten die Theologen intensiver vor der eigenen Haustür kehren (okay, ich erkenne durchaus an, dass sie das tun, mein Engagement gegen Kreationisten habe ich auch deshalb stark zurückgefahren, weil ich merkte, dass die meisten ‘Bundesgenossen’ Theisten sind).
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Akadem. Theologie hat zur Ausbreitung des Christentums noch nie sonderlich viel beigetragen.
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Schön, dass wir uns auch mal einig sind.
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während sich ansonsten recht gebildete Hardcore-Atheisten so schwer tun, biblische Kernaussagen zu erfassen und ihre überragende positive Kraft einzufangen, gelingt das ganz einfachen chinesischen Bauern ganz ohne irgendeine akadem. Anleitung oft sofort.
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Eigentlich trivial, wenn man bedenkt, wann die Bibel geschrieben wurde, und auf welchen Niveau sich diese ganz einfachen chinesischen Bauern befinden. Menschen in Hochtechnologie-Gesellschaften haben mit alten Büchern mehr Probleme.
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Die universitäre Theologie hat trotzdem ihre Bedeutung, schon allein deshalb weil sie natürlich eine Unmenge von Hintergrundwissen zum Themenkomplex – AT, NT, Christentum, Judentum, Religions-, Kultur und Geistesgeschichte usw. eruiert hat und eruiert. In dieser Funktion steht sie auch völlig weltanschauungsneutral zur Verfügung und arbeitet überhaupt kein bisschen anders als andere Wissenschaften.
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Aber das ist dann keine Theologie, sondern Linguistik, Geschichtswissenschaft, Textanalyse und so weiter. Das kann man als Christ, Religiöser oder auch als Atheist treiben. Als Theologie ist das ‘verdoppelt’, ein fünftes Rad am Wagen. Theologie als Theologie (wenn man darunter Logos vom Theos versteht) ist eine Wissenschaft ohne aufzeigbaren Gegenstand.
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Wieso die Verschiedenheit der Gottesvorstellungen ein Argument gegen die Existenz Gottes sein sollte, habe ich nie verstanden. Es gibt doch auch viele verschiedene Ansätze in der Evolutionstheorie. Ist das ein Beleg dafür, dass sie falsch ist?
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‘Da draußen’ gibt es Befunde, die man erklären kann, älter als der Mensch, unabhängig vom Menschen. Ob der Gottesvorstellung ein Gott zugrunde liegt, ist nicht geklärt. Man kann durchaus ‘das Göttliche’ als Emotion betrachten, ohne dass es einen Gott gibt. Aus evolutionsbiologischer Sicht heißgelaufene Module im Gehirn. Daher gibt es für die objektiven Befunde im einen Fall eine plausible Erklärung (Evolution), für die andere nicht (den Vorstellungen eines evolvierten Gehirns muss nichts real Existierendes entsprechen). Daher spielt es im ersten Fall keine Rolle, dass man Details anders sehen kann, im zweiten Fall schwächt es die Plausibilität extrem.
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Natürlich kann keine Religion oder Theologie die Frage, wer und wie Gott ist, evident beantworten. Das kann nur Gott selber.
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… sollte es ihn geben …
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Und spätestens ab da reden dann eben Atheisten wie der Blinde von der Farbe.
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Oder leben als Nicht-Halluzinierende unter Halluzinierenden.
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Die Autorin des Buches ordnet das im Interview sehr schön unter die „starken theologischen Argumente“ ein: Die Wahrheit des christlichen Glaubens erweist sich im Vollzug.
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Welches Christentum in welchem Vollzug? Was ist mit den Christentümern, die Leid in die Menschheit brachten? Sind wir dann beim ‘wahren Schotten’?
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Stellen Sie sich vor, was passieren müsste, damit Sie Christ werden. Dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, was Menschen erleben, die bevor sie Christ wurden, gewiss nicht weniger intensiv gezweifelt und hinterfragt haben als Sie…
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Ich bilde mir ein, Anhänger einer jeden beliebigen Religion geworden sein zu können, sollte ich entsprechende Erfahrungen gemacht haben. Ich könnte auch Erfahrungen machen, die mich zum Muslim oder Buddhisten machen. Ich kann mir gut vorstellen, was Menschen erlebt haben. Und ich kann mir auch gut erklären, warum das der Fall war, ohne dazu die Annahme der Existenz eines Gottes zu benötigen.
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Last but not least… das Thema Evangelikale.. Auch hier vermittelt Dawkins ganz einfach ein Zerrbild..
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darauf an. Es gibt nicht ‘die Evangelikalen’. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die sich als ‘Evangelikal’ bezeichnen. Teilweise trifft das zu, was Dawkins schreibt.
Kommt darauf an. Es gibt nicht ‘die Evangelikalen’. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die sich als ‘Evangelikal’ bezeichnen. Teilweise trifft das zu, was Dawkins schreibt.
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Celebrating Darwin: Religion And Science Are Closer Than You Think
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Ist doch ein uralter Hut. Schon zu Darwins Lebzeiten haben Theologen ihren Frieden mit der Evolution (allgemein Naturwissenschaft) gemacht. Wenn Sie nur einen Text lesen möchten (okay, kurz nach Darwins Tod entstanden …) empfehle ich: Temple, F. (1884) ‘The Relations between Religion and Science. Eight Lectures Preached Before the University of Oxford in the Year 1884’.
Intensiver habe ich nur das vierte Kapitel gelesen. Ich vermute, dass wenige Menschen, wenn sie das lesen, vermuten würden, dass die Arbeit aus dem vor-vorigen Jahrhundert stammt. Man kann den Theologen auch nicht vorwerfen, dass sie Darwin nicht verstanden haben.
Wilberforce, D. (1860) ‘(Review of) ‘On the origin of species’’.
(der Wilberforce, den man als ‘Soapy Sam’ bezeichnete und der sich mit Huxley anlegte) hat eine Rezension von Darwins magnum opus vorgelegt, die extrem kompetent und fair war. Es stimmt wirklich, dass man den Kreationisten zu viel Ehre antut, wenn man aus deren Verteuflung von Darwin darauf schließt, dass die Theologen nichts mit Darwin anfangen konnten (aber okay, die Kreationisten können auch nichts mit der üblichen Theologie anfangen …). Ayala, ein ganz Großer der Evolutionsbiologe (ausgebildeter Priester, IIRC Dominikaner) lernte beispielsweise im Priesterseminar, dass die Selektionstheorie die Theodizee-Problematik lösen kann. Aber okay, man kann sich hier natürlich fragen, ob das Christentum ™ ist.
Ich persönlich gehe aber auch davon aus, dass man enorme Probleme haben muss, wenn man Naturwissenschaft mit üblichen Auffassungen von Religion unter einen Hut bringen will. Spätestens wenn man von einem eingreifenden Gott sprechen möchte, wird es schwierig.
Frank Großmann
@Thomas Waschke
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“Sehe ich auch so. Genauer: Sollte es überhaupt eine Erklärung geben, darf das Wort ‘Gott’ oder ‘Schöpfer’ nicht darin vorkommen. Denn das ist keine.”
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Wenn es Gott gibt, ist es nicht nur eine, sondern sogar die einzige. Da selbst ein strammer Atheist wie Dawkins Gottes Existenz nicht ausschließt, sollte er es folglich als eine mögliche Erklärung ansehen.
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“Klingt lächerlich für einen Theologen, dürfte aber auf die Klientel, die Dawkins im Auge hat, durchaus zutreffen.”
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Ich bin kein Theologe … Sicherlich gibt es Traditionen und Milieus. Was die christlichen betrifft, wirkten sie in der jüngeren Geschichte allein durch ihr Beharrungsvermögen nicht selten wie ein Bollwerk gegen verheerende Entwicklungen. Gerade in erzkathol. Regionen konnten Nazis so wenig punkten wie Kommunisten. Es ist durchaus was dran an dem Grundsatz: Gib das altbewährte nicht ohne durchschlagende Argumente auf. – Das zum Einen. Zum Zweiten sehen wir doch heute, dass das Christentum als Tradition immer mehr am schwinden ist, während es sich dort ausbreitet, wo vorher Buddhismus, Atheismus, ein Mix aus Katholizismus und Okkultismus, Islam etc. herrschte. Zum Dritten widerspricht die Indoktrinationsthese jeder Erfahrung. Wahrscheinlich gibt es kein besseres Mittel, Menschen von einer Sache zu entfremden, als sie als Kinder und Jugendliche ordentlich zu indoktrinieren.
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“Gotteserfahrung lässt sich als psychisches bzw. psychopathologisches Phänomen deuten … Das ist mit Sicherheit korrekt.”
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Hätte ja was für sich, wenn ich mich mal für ein halbes Jahr krankschreiben lassen könnte, weil ich evangelisch bin. Aber nein – mit Sicherheit nicht! Soweit sind selbst Psychologie und Hirnforschung inzwischen, zwischen Psychose und religiösem Glauben unterscheiden zu können; zwischen transzendenter Erfahrung, die Menschen zu stabilen, vitalen, verantwortlichen Persönlichkeiten werden lässt, und zerrüttenden, destabilisierenden Halluzinationen und Wahnideen. Nach allem, was wir heute sehen, ist es geradezu umgekehrt: psychische Krankheiten nehmen im selben Maße zu, wie transzendente Bezüge brüchig werden.
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“Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, neuzeitliche Wissenschaft wurden gegen den Widerstand der Religionen durchgesetzt…Yepp, sehe ich auch so.”
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Selbst ohne ins Details zu gehen müsste jedermann klar sein, dass 10% Atheisten nicht die Demokratie eingeführt haben können. Das ist ja eine der vielen Dinge aus dem neu-atheist. Kuriositätenkabinett: Einerseits klagt man unaufhörlich, dass man als Atheist in den religiotisch vergifteten Gesellschaften des Westens kein ausreichendes Gehör findet, andererseits redet man sich ein, das Abendland revolutioniert zu haben. Natürlich hat die institutionelle Kirche oft blockiert. Aber auch nicht immer; in den letzten Jahrzehnten ist sie eher eine der wirkungsvollsten Kräfte für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte und gegen atheist. Unfreiheit. Nur ein paar weitere Stichpunkte. John Locke hielt als einer der wirkmächtigsten Vertreter der frühen Aufklärung an der Verbalinspiration der Bibel fest. Er schuf die Grundlagen unseres westlichen Gesellschaftsmodells – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung – und begründet dabei ständig theologisch. Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die Verfassung der USA, der französischen Verfassungsentwurf von 1791 sowie die gesamte Entwicklung der bürgerlich-liberalen Staatstheorie bis in die Gegenwart fußen maßgeblich auf Locke. Montesquieu, Rousseau, Kant – selbst die wenigen Atheisten, die etwas Signifikantes zur Aufklärung beitrugen – Diderot, Helvetius, Holbach – sie alle bezogen sich maßgeblich auf ihn. … Vgl. Sie Locke mit dem eher säkularen Hobbes. Vgl. Sie Newtons Wissenschaftstheorie mit der des säkul. Hume! … Gerade das sehr bibeltreue puritan. Christentum brachte auch ein engagiertes – durchaus noch sehr sozialverantwortliches – Unternehmertum, das den Westen endgültig auf die Überholspur gegenüber dem Rest der Welt brachte, hervor (Vgl. Max Weber). Mit naturalist. Theorien a la Smith, Ricardo, Malthus bekam das Ganze dann eine dramatische Schlagseite, die eigentlich erst durch Ökonomen korrigiert wurde, die auf der kathol. Soziallehre aufbauten (Ordoliberalismuis, Walter Eucken), die wiederum auch den sozialist. Irrweg korrigierte. Man könnte endlos weiteres aufführen: Initiativen gegen Hexenverfolgung (Spee, Thomasius), Abschaffung der Sklaverei (W. Wilberforce), Gründung der ersten Genossenschaften (Raiffeisen), erste Tierschutzinitiativen (A. Knapp), unzähliger karitativer Organisationen (Rotes Kreuz, Blaues Kreuz, Diakonie, Oxfam, AWO, Worldvision usw.), gewaltlose Pädagogik (Zinzendorf), gewaltlose Psychiatrie (W. Tukes, Quäker), rechtliche Gleichstellung der Juden (Pietismus), der Auftakt der Arbeiterbewegung (W. Weitling), Widerstand gegen Eugenik, Euthanasie, Nationalsozialismus, Kommunismus, des Weiteren Bürgerechtsbewegungen u.a. zur Abschaffung der Apartheid in den USA (M.L. King, unterstützt von Billy Graham), weltweit heute in Entwicklungs- und Schwellenländern Initiativen für Bildung, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung, Demokratie und soziale Gerechtigkeit… Kurzum: Ruhig den Deschner mal im Regal lassen und seriöse Historiker lesen – Brown, Wehler, Winkler, Angenendt, Osterhammel…
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“Kommt darauf an, was man unter ‘Religion’ versteht. Hinsichtlich der Menschen, die Dawkins im Auge hat, trifft das mit Sicherheit zu.”
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Dann muss er es so eingrenzen, sonst ist es eben ganz einfach Unfug. Alles dazu gesagt ist im Grunde in diesem Statement der NAS zum Thema “Religion and Science”: http://www.nas.edu/evolution/Compatibility.html — Noch schöner die Stanford Encyclopedia of Philosophy, “Religion and Science”: “Insofar as naturalism is a quasi-religion by virtue of performing the cognitive function of a religion, there is a sort of religion/science conflict-not between theistic religion and science, but between naturalism and science.”
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“Klingt für mich sehr plausibel. Den letzten Punkt hat beispielsweise auch Russell in ‘Why I am not a Christian’ angeführt. Beim NT muss man zudem immer aufpassen, Herrenworte und Gemeindeschöpfungen nicht durcheinanderzuwerfen”
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Weiter unten noch etwas dazu … Hier nur mal die Frage, wie Sie das mit der These in Einklang bringen, dass Gott Projektion menschlicher Wunschvorstellungen ist. Beim AT muss man immer im Auge haben, dass vieles kultisch-symbolischen Charakter hat. Die Gesetzes-Texte etwa machen deutlich, dass bestimmte Vorschriften nicht deshalb erlassen wurden, weil sie für das Leben in der Gemeinschaft unerlässlich wären, sondern weil Aspekte der Beziehung Israels zu Gott versinnbildlicht und ihre Beachtung so lebendig gehalten werden sollte. Wenn in “God Delusion” deutlich wird, das Dawkins noch nicht einmal das Gleichnis vom barmherigen Samariter, Jesus im Gespräch mit der Frau am Brunnen, den Hauptmann von Kapernaum einordnen kann, muss man nicht lange um den heißen Brei reden. Es gibt schon Atheisten, bei denen man merkt, sie haben das NT recht gut verstanden und begründen nachvollziehbar, warum sie Probleme damit haben. Bei Dawkins & Co. merkt man, dass sie noch nicht mal ansatzweise verstanden haben, was sie kritisieren..
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“Ob bei Dawkins der Maßstab der Zeitgeist ist kann ich nicht beurteilen.”
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Dawkins sagt, dass der “Zeitgeist” (er verwendet das deutsche Wort) für jeden, auch den Christen, der Maßstab ist. Pech nur, wenn der Zeitgeist gerade auch der Entwicklungsstufe der deutschen Kulturnation von 1940 ist …
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“Wenn mal ein Selbstmordattentäter ein Flugzeug in ein Hochhaus fliegt und dabei ‘Daaaaaarwiiiiin …’ brüllt, ändere ich meine Meinung. Schon lange vor Dawkins hat Weinberg geschrieben: “Religion is an insult to human dignity. With or without it you would have good people doing good things and evil people doing evil things. But for good people to do evil things, that takes religion.” geschrieben. Habe ich lange als SIG im Usenet verwendet, weil ich diese Analyse durchaus teile.”
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Was hat Darwin mit Atheismus zu tun? Sicher, in Form des Sozialdarwinismus, der ja durchaus auch bei Darwin selbst stellenweise anklingt, hat er entsetzliches Leid über die Menschheit gebracht… Weniger dramatisch durfte ich noch in der DDR selbst erleben, wie bedrohlich ein sich absolut setzender Atheismus gegen Religion, die ja eine Blockade für die geistige Evolution der Menschheit darstellt, werden kann und wie sehr atheist. Ideologien Menschen geistig und moralisch deformieren können. In Asien erleben es viele Christen noch heute. Und das ist ein Atheismus, der längst nicht so fanatisiert ist, wie der Dawkinsche. Nicht mal die Kommunisten sind auf die Idee gekommen, religiöse Erziehung im Elternhaus verhindern zu wollen. Zudem fällt einem schwerlich ein histor. Bsp. ein, dass in einer Bewegung in dieser Breite einmal ein solches Maß an verbaler Militanz und Totalabwertung ganzer Menschengruppen (Virenträger, Menschheitsvergifter und -verseucher, Idioten, Geisteskranke etc) erreicht worden war und es dauerhaft und überall nur bei verbalen Entgleisungen geblieben wäre … Das ist meiner Meinung nach auch der eigentlich “interessante” Aspekt. Alles andere ist im Grunde Schnee von gestern. Die römische Geisteselite hat das Christentum schon vor 1800 Jahren mit ungleich mehr Scharfsinn kritisiert als Dawkins …
Religionen haben zweifellos ihre speziellen Gefährdungen (und den Kirchen kann man alles in allem bescheinigen, ihre diesbez. Hausaufgaben gemacht zu haben), aber der Atheismus hat diese in anderer Weise eben auch. Für Atheisten sind naturalist. Fehlschlüsse und entsprechende ideologische Verirrungen besonders naheliegend. Wohin das führen kann, haben wir zur Genüge erlebt … Diese Gefährdungen wurden besonders nach dem 2. WK von der atheist. Philosophie des Westens intensiv thematisiert. Dem Neu-Atheismus ist diese Fähigkeit zur Selbstreflexion und -kritik völlig abhanden gekommen …
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“Eigentlich trivial, wenn man bedenkt, wann die Bibel geschrieben wurde, und auf welchen Niveau sich diese ganz einfachen chinesischen Bauern befinden. Menschen in Hochtechnologie-Gesellschaften haben mit alten Büchern mehr Probleme.”
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Ganz und gar nicht. Mit unserem Wissen können wir Dinge auch hier weit besser einordnen. Den Inhalt von Texten sauber zu erfassen bedeutet ja auch noch lange nicht, dass man dem Text Glauben schenkt oder sich seine Positionen zu eigen macht. Wenn Atheisten mit theologischer Bibelexegese Ihre Probleme haben – gut. Dann kann man immer noch bei Goethe oder Brecht nachschlagen, bei Kindler oder Brockhaus. Nirgends wird man solchen Kokolores finden, wie ihn Dawkins – oder sorry – auch bspw. Sie bei Ihrer Hiob-Exegese unten – verzapfen…
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“Aber das ist dann keine Theologie, sondern Linguistik, Geschichtswissenschaft, Textanalyse und so weiter. Das kann man als Christ, Religiöser oder auch als Atheist treiben. Als Theologie ist das ‘verdoppelt’, ein fünftes Rad am Wagen. Theologie als Theologie (wenn man darunter Logos vom Theos versteht) ist eine Wissenschaft ohne aufzeigbaren Gegenstand.”
—Zitatende—
Kann man so sehen. Aber Sie könnten auch meinethalben Germanistik oder Romanistik so “aufdröseln” und vorwerfen, dass es nur um menschliche Gedankenwelten geht. Witzig finde ich ja immer, dass den meisten Atheisten gar nicht bewusst ist, dass sie mit ständigen Vorhaltungen, dass Theologie an der Uni nichts zu suchen hat, gerade bei den Christen, die ihnen ein Dorn im Auge sind, offene Türen einrennen.
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“‘Da draußen’ gibt es Befunde, die man erklären kann, älter als der Mensch, unabhängig vom Menschen. Ob der Gottesvorstellung ein Gott zugrunde liegt, ist nicht geklärt. Man kann durchaus ‘das Göttliche’ als Emotion betrachten, ohne dass es einen Gott gibt.”
—Zitatende—
Kann man, ja. Für das Gros der Menschheit ist hingegen der Atheismuis ein Scheuklappenphänomen.
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“Welches Christentum in welchem Vollzug? Was ist mit den Christentümern, die Leid in die Menschheit brachten? Sind wir dann beim ‘wahren Schotten’?”
—Zitatende—
Flew was, Dawkins Schreckgespenst. Solche Argumente kommen von Leuten, die sich nie wirklich vorurteilsfrei mit der Bibel befasst haben. In Wahrheit ist das NT ungeheuer präzise in seiner Beschreibung dessen, was Christentum ist und was nicht. Das meiste, was heute an pseudo-christl. Entgleisungen kritisiert wird, wird dort bereits nicht weniger scharf kritisiert …
—Zitat—
“Ich könnte auch Erfahrungen machen, die mich zum Muslim oder Buddhisten machen.”
—Zitatende—
Um Muslim oder Buddhist zu werden brauchen Sie per definitionem keinen Gott, Christ können Sie per definitionem ohne Gott nicht werden (auch aus der Innenperspektive der betreffenden Religionen).
—Zitat—
“Ist doch ein uralter Hut.”
—Zitatende—
Sie haben nur die Überschrift gelesen … Ich kenne keine vorherige Studie, die das Thema so präzise untersucht. Ergebnis: Religionsgemeinschaften haben auch in den US überwiegend gar kein Problem mit der ET. Das lässt den Schluss zu, dass es sich weniger um ein Problem handelt, das sich aus dem religiösen Background ergibt, als vielmehr um ein Problem des Bildungssystems bzw. der Folgen, die ein geistig alles plattmachender Konsumismus zeitigt. Man sieht das ja auch am Twitter-Storm, wenn amerikan. Teens und Twens alle Neujahre wieder Amerika zum 2000+xten Geburtstag gratulieren, oder deutsche Schüler bei Straßenumfragen Honecker für einen ehem. bedeutenden Bundeskanzler halten …
Anyway.. trotzdem danke für die interessanten Links…
Thomas Waschke
@Frank Großmann
Die Postings werden etwas sehr lang (und auch im anderen Thread steht noch was an …). Ich beschränke mich daher auf das meiner Meinung nach Wesentliche. Falls ich auf etwas Ihrer Meinung nach Wichtiges nicht eingehe, fragen Sie bitte einfach nach.
—Zitat—
“Sehe ich auch so. Genauer: Sollte es überhaupt eine Erklärung geben, darf das Wort ‘Gott’ oder ‘Schöpfer’ nicht darin vorkommen. Denn das ist keine.”
Wenn es Gott gibt, ist es nicht nur eine, sondern sogar die einzige. Da selbst ein strammer Atheist wie Dawkins Gottes Existenz nicht ausschließt, sollte er es folglich als eine mögliche Erklärung ansehen.
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Ich sehe das anders. Ein Gott wäre eine Erklärungsgrenze. Er wäre eine Art ‘Erklärung’ die nach den Spielregeln der Naturwissenschaften keine Erklärung sein kann. Bestenfalls eine ‘Meta-Erklärung’, die zeigt, warum es eben keine Erklärung geben kann.
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Nach allem, was wir heute sehen, ist es geradezu umgekehrt: psychische Krankheiten nehmen im selben Maße zu, wie transzendente Bezüge brüchig werden.
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Viele Menschen scheinen ‘etwas’ zu brauchen. Spannende Frage, ob daraus etwas über die Existenz von ‘etwas’ folgt. Ich sehe das nicht.
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Kurzum: Ruhig den Deschner mal im Regal lassen und seriöse Historiker lesen – Brown, Wehler, Winkler, Angenendt, Osterhammel…
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Der Einfluss der Religion ist vielschichtigt. Meiner Meinung nach gibt es ‘gute’ und weniger ‘gute’ Menschen. Genauso gibt es verschiedene Religionen. Es wird schwer zu klären sein, ob letztlich das Gute im Menschen oder die jeweilige Auffassung von Transzendenz der entscheidende Faktor war. Wesentlich scheint mir auf jeden Fall zu sein, dass Religion keine institutionelle Macht hat. Gelebte Transzendenz kann dann möglicherweise segensreich werden.
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Dann muss er es so eingrenzen, sonst ist es eben ganz einfach Unfug.
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Sehe ich auch so.
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Alles dazu gesagt im Grunde in diesem Statement der NAS zum Thema “Religion and Science”: http://www.nas.edu/evolution/Compatibility.html — Noch schöner die Stanford Encyclopedia of Philosophy, “Religion and Science”: “Insofar as Naturalism is a quasi-religion by virtue of performing the cognitive function of a religion, there is a sort of religion/science conflict-not between theistic religion and science, but between naturalism and science.”
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Zu diesem Thema habe ich sehr viel gelesen, aber bin noch zu keiner abschließenden Bewertung gelangt. Gerade in Amerika herrscht auch unter Atheisten oft das Bedürfnis, Bundesgenossen zu finden. Gegen die Gläubigen, die Probleme machen, sind die Gläubigen, die keine Probleme machen, ein guter Bündnispartner. Ist, ähnlich wie bei Intelligent Design, ein ‘Big Tent’, in das man alle einlädt, die einen gemeinsamen Gegner haben, und vertagt die Klärung der Widersprüche auf später.
Das Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass die Kompatibilität nur möglich ist, wenn man ein bestimmtes Gottesbild vertritt. Das scheint mir aber nicht mehr das zu sein, was ein Christentum ™ bezeichnet, also kein Gott mehr, der in die Geschichte eingreift, Gebete erhört und so weiter.
Aber, wie gesagt, ich bin hier noch (genauer: seit vielen, vielen Jahren) am Grübeln.
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Weiter unten noch etwas dazu… Hier nur mal die Frage, wie Sie das mit der These in Einklang bringen, dass Gott Projektion menschlicher Wunschvorstellungen ist.
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Diesen Eindruck habe ich nicht. Meine These ist eher, dass er Wünsche und Ängste überhöht.
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Bei Dawkins & Co.merkt man, dass sie noch nicht mal ansatzweise verstanden haben, was sie kritisieren..
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Offene Scheunentore, ich vertrete das schon seit Jahren. Allerdings mit dem Zusatz, dass Dawkins meiner Meinung nach stärkste Argumente anders lauten.
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Dawkins sagt, dass der “Zeitgeist” (er verwendet das deutsche Wort) für jeden, auch den Christen, der Maßstab ist. Pech nur, wenn der Zeitgeist gerade auch der Entwicklungsstufe der deutschen Kulturnation von 1940 ist …
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Stimmt. Oder der im Mittelalter …
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“Wenn mal ein Selbstmordattentäter ein Flugzeug in ein Hochhaus fliegt und dabei ‘Daaaaaarwiiiiin …’ brüllt, ändere ich meine Meinung.Schon lange vor Dawkins hat Weinberg geschrieben: “Religion is an insult to human dignity. With or without it you would have good people doing good things and evil people doing evil things. But for good people to do evil things, that takes religion.” geschrieben. Habe ich lange als SIG im Usenet verwendet, weil ich diese Analyse durchaus teile.”
Was hat Darwin mit Atheismus zu tun?
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War nur ein Beispiel. Ich hätte auch ‘Naturalismus ….’, ‘E = m * c exp 2’ oder was in der Richtung schreiben können (es gibt einen netten Cartoon, der das persifliert, indem er Situationen zeigt, in denen der Amerikaner ‘Oh my God!’ ruft).
—Zitat—
Weniger dramatisch durfte ich noch in der DDR selbst erleben, wie bedrohlich ein sich absolut setzender Atheismus gegen Religion, die ja eine Blockade für die geistige Evolution der Menschheit darstellt, werden kann und wie sehr atheist. Ideologien Menschen geistig und moralisch deformieren können.
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Ist in etwa wie Christentum und Mittelalter.
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Die römische Geisteselite hat das Christentum schon vor 1800 Jahren mit ungleich mehr Scharfsinn kritisiert als Dawkins….
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Ich weiß. Man muss Dawkins aber meiner Meinung nach unter einem anderen Aspekt sehen. Er argumentiert nicht theologisch oder philosophisch gegen Theologie, sondern von der Warte eines Naturwissenschaftlers aus. Streng genommen naturwissenschaftliches Weltbild gegen philosophisch reflektiertes Weltbild, also nicht auf gleicher Ebene wie Philosophie und Theologie.
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Religionen haben zweifellos ihre speziellen Gefährdungen (und den Kirchen kann man alles in allem bescheinigen, ihre diesbez. Hausaufgaben gemacht zu haben), aber der Atheismus hat diese in anderer Weise eben auch..
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Unbestritten. Ich habe nichts gegen Religion und kenne auch viele Menschen, die Religion brauchen oder sehr davon profitieren. Ein Problem besteht nur, wenn eine Religion der anderen Vorschriften macht.
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Dem Neu-Atheismus ist diese Fähigkeit zur Selbstreflexion und -kritik völlig abhanden gekommen…
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Kann man so sehen, und ich konnte den ‘Neuen Atheisten’ auch noch nie viel abgewinnen. Mir geht es da in etwa so wie Kahl.
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“Eigentlich trivial, wenn man bedenkt, wann die Bibel geschrieben wurde, und auf welchen Niveau sich diese ganz einfachen chinesischen Bauern befinden. Menschen in Hochtechnologie-Gesellschaften haben mit alten Büchern mehr Probleme.”
Ganz und gar nicht.
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Dann macht ihr Argument mit den chinesischen Bauern keinen Sinn.
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Sie bei Ihrer Hiob-Exegese unten – verzapfen…
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Sorry, ich habe nie eine Exegese geschrieben. Sondern einen Text als Text gelesen, einfach so, ohne zu hinterfragen, wie man hier eine Exegese betreiben könnte. (Natürlich kenne ich diesbezügliche Beispiele).
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“Aber das ist dann keine Theologie, sondern Linguistik, Geschichtswissenschaft, Textanalyse und so weiter. Das kann man als Christ, Religiöser oder auch als Atheist treiben. Als Theologie ist das ‘verdoppelt’, ein fünftes Rad am Wagen. Theologie als Theologie (wenn man darunter Logos vom Theos versteht) ist eine Wissenschaft ohne aufzeigbaren Gegenstand.”
Kann man so sehen.
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Schön, dass wir uns hier einig sind.
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Aber Sie könnten auch meinethalben Germanistik oder Romanistik so “aufdröseln” und vorwerfen, dass es nur um menschliche Gedankenwelten geht.
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Nein. Denn es gab Germanen und Römer. Ob es einen Gott gibt, ist noch lange nicht geklärt. Daher haben die geistigen Aktivitäten über Germanen und Römer eine Fundierung in der Realität, was für die Theologie als Logos von Theos nicht zutrifft.
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Witzig finde ich ja immer, dass den meisten Atheisten gar nicht bewusst ist, dass sie mit ständigen Vorhaltungen, dass Theologie an der Uni nichts zu suchen hat, gerade bei den Christen, die ihnen ein Dorn im Auge sind, offene Türen einrennen.
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Das erinnert mich ein wenig an die Akkomodationisten in Amiland. Aber hier in Deutschland brauchen wir so etwas nicht. Wenn wir gegen Bibel-Fundis argumentieren, benötigen wir keine HighEnd-Theologie. Die sollen sich die Christen aus der eigenen Tasche finanzieren. ‘Der Feind meines Feindes ist mein Freund’ war noch nie mein Motto.
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Für das Gros der Menschheit ist hingegen der Atheismuis ein Scheuklappenphänomen.
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‘vox populi, vox dei’ anders formuliert?
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“Welches Christentum in welchem Vollzug? Was ist mit den Christentümern, die Leid in die Menschheit brachten? Sind wir dann beim ‘wahren Schotten’?”
Flew was, Dawkins Schreckgespenst.
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Verstehe ich jetzt nicht ganz. Flew ist alt geworden. Sein Buch ist einfach nur peinlich, nicht mal von ihm selbst geschrieben, und seine ‘Argumentation’ basiert schlicht und ergreifend auf Nichtwissen. Das kann man leicht zeigen, man kann auch sehr plausibel machen, wer ihm das in die Feder diktiert oder gar für ihn geschrieben hat. Ich würde respektieren, falls Flew gesagt hätte: ‘Mir ist klar geworden, dass es einen Gott gibt, weil ich das empfinde’. Aber seine ‘Argumente’ scheitern.
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Solche Argumente kommen von Leuten, die sich nie wirklich vorurteilsfrei mit der Bibel befasst haben. In Wahrheit ist das NT ungeheuer präzise in seiner Beschreibung dessen, was Christentum ist und was nicht. Das meiste, was heute an pseudo-christl. Entgleisungen kritisiert wird, wird dort bereits nicht weniger scharf kritisiert…
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Wenn Sie Recht hätten, dürfte es nicht eine derartige Fülle an Christentümern geben
—Zitat—“Ist doch ein uralter Hut.”
Sie haben nur die Überschrift gelesen…
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Nein, ich habe auch auf die Grafik geklickt. Deckt sich mit dem, was ich bisher kannte.
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Ich kenne keine vorherige Studie, die das Thema so präzise untersucht. Ergebnis: Religionsgemeinschaften haben auch in den US überwiegend gar kein Problem mit der ET.
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Mein Schluss war eigentlich: Wer meint, christliche Religion und Evolutionstheorie (in dem Sinn, in dem ich ‘Evolutionstheorie’ verwende, nämlich als vierte der aufeinander aufbauenden Stufen nach Evolution als historischer Tatsache, Deszendenz und Mechanismen, eben als Weltbild, gekoppelt mit Naturalismus (Waschke, T. (2008) ‘Moderne Evolutionsgegner – Kreationismus und Intelligentes Design’ in: Antweiler, C.; Lammers, C.; Thies, N.; (Hrsg.) ‘Die unerschöpfte Theorie. Evolution und Kreationismus in Wissenschaft und Gesellschaft’ Aschaffenburg, Alibri S. 75-97) hat entweder Christentum oder Evolutionstheorie nicht verstanden. Mir ist selbstverständlich bekannt, wie Christen seit Darwins Zeiten Synthesen zwischen Evolution und Christentum bilden. Viele Anhänger und Freunde Darwins waren Christen. Asa Gray beispielsweise, der Darwin in Amerika vertrat.
—Zitat—
Das lässt den Schluss zu, dass es sich weniger um eine Problem handelt, das sich aus dem religiösen Background ergibt, als vielmehr um ein Problem des Bildungssystems bzw. der Folgen, die ein geistig alles plattmachender Konsumismus zeitigt,
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Die Geschichte ist komplexer. Selbstverständlich ist Kreationismus ™ ein Produkt des amerikanischen Bildungssystems. Bei dessen Entstehung spielte Konsumismus aber keine besondere Rolle. Sie kennen sicher die einschlägige Literatur, falls Sie nur ein Buch lesen möchten:
Numbers, R.L. (2006) ‘The Creationists. From Scientific Creationism to Intelligent Design. 2nd ed. [1992]’ Cambridge, Massachusetts; London, Harvard University Press
Numbers wurde zwar sehr streng christlich erzogen und hat sich unter auch persönlichen Problemen mit seinem Umfeld zum Agnostiker entwickelt, hat sich aber seinen Respekt vor Christen als Christen bewahrt und hat sich an vielen Stellen meiner Meinung nach sehr treffend gegen die ‘Neuen Atheisten’ (ich fände ‘Krawall-Atheisten’ als Bezeichner passender) gewehrt.
—Zitat—
,,Man sieht das ja auch am Twitter-Storm, wenn amerikan. Teens und Twens alle Neujahre wieder Amerika zum 2000+xten Geburtstag gratulieren, oder deutsche Schüler bei Straßenumfragen Honnecker für einen ehem. bedeutenden Bundeskanzler halten…
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Nun ja, ich glaube nicht, dass diese Menschen besser informiert wären, sollten sie bibelfromme Christen sein …
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Anyway.. trotzdem danke für die interessanten Links…
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Gern geschehen.
Frank Großmann
@Thomas Waschke … Ist ja nicht so, dass ich Ihnen nicht gern auch mal das letzte Wort lasse… Irgendwann hat man ja das Gefühl, gesagt zu haben, was man sagen kann …
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“Wenn Sie Recht hätten, dürfte es nicht eine derartige Fülle an Christentümern geben”
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Ich empfinde das Christentum eher als ungewöhnlich homogen. Ob ich in Sibirien, Vietnam, Ruanda oder Ecuador in eine Gemeinde gehe. Überall versteht man sich sofort, teilt die wesentlichen Ansichten und ist herzlich willkommen … In Detailfragen kann man natürlich manchmal unterschiedlicher Meinung sein. Aber die krassen Entgleisungen, Schismen, Kriege der Geschichte ergaben sich immer dort und dann, wenn man sich von der gemeinsamen Basis NT entfernte und meinte, man müsste faule Avancen an Philosophie, realpolit. Erfordernisse, Tradition, “aufgeklärten” Zeitgeist usw. machen … Und wo sie fortbestehen, ist dem eben so.
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“Die Geschichte ist komplexer. Selbstverständlich ist Kreationismus ™ ein Produkt des amerikanischen Bildungssystems. Bei dessen Entstehung spielte Konsumismus aber keine besondere Rolle.”
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Mir ging es eher um den Erhalt als um die Entstehung … In der DDR hatte man in den frömmsten Kreisen keinerlei Probleme mit der ET, noch nicht einmal mit der Idee, dass Psyche und Bewusstsein einzig Produkt des materiellen Gehirns sind. Tot wäre dann eben tot und Auferstehung Neuschöpfung im Geist. Ich selbst habe nie verstanden, wie man auf die Idee kommen kann, dass sich aus wirklich gesicherten, wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Konflikt zum christlichen Glauben ergeben könnte …
Romanistik befasst sich übrigens mit den romanischen (aus dem Latein hervorgegangenen) Sprachen und der in diesem Sprachraum entstandenen Literatur, Germanistik mit deutscher Sprache und Literatur…
Aber um mal ein Fazit zu ziehen: Charakteristisch für Dawkins & Co., den gesamte Neo-Atheismus ist das Extreme … Wie unter Zwang muss man alles überdrehen und vereinseitigen. Alles in der Bibel muss man ins möglichst negativste Licht setzen, die Geschichte retuschiert man krampfhafter als die Ostblock-Atheisten, in der Gegenwart sieht man überall in Krisen und Konflikten die böse Religion am Werk. Bei Dawkins reicht diese Besessenheit sogar bis in seine schwerpunktmäßig naturwissenschaftlichen Publikationen hinein. Ernst Mayr bspw. schildert offene Fragen ungeschönt, liefert Kreationisten ganz unbekümmert bestens verwertbare Textpassagen. Bei Dawkins undenkbar. Auch hier muss er alles so drehen, dass für kreationistische Interpretationen kein Millimeter bleibt. Aber das geht eben auf Kosten der Objektivität in der Darstellung … Man ist einfach nicht imstande, sich entspannt zurückzulehnen, und die Dinge so auf sich wirken zu lassen, wie sie sind. Zur Urteilsfähigkeit gehört aber eben gerade die Fähigkeit, Dinge abwägen, auch einmal gegensätzliche Standpunkte fair durchdenken und offene Fragen aushalten zu können…
Dawkins’ Wahrheitsbegriff
Mary B Moritz
@NN: Ich wäre mir da nicht so sicher, dass Dawkins einen klaren philosophischen Wahrheitsbegriff hat, ich denke eher, dass sein Wissen um die Philosophie ungefähr ähnlich ist wie sein Wissen um die Theologie. Also ich würde mir da nicht allzuviel erwarten. Ich denke wohl eher, es ist ein “scientistischer” – um dieses schöne neue Wort zu verwenden. “Wahr ist, was die NW als wahr erkannt hat (ich muss allerdings gewärtig sein, dass sich dies auch ändern kann) – und eine andere Wahrheit gibt’s nicht. Punkt”
Die Falsifizierbarkeit und empirische Prüfbarkeit ist ja ganz wunderbar, solange ich mich auf den Bereich der NW beschränke, und dort muss ich sie ja auch anwenden. (Und tue das auch). Aber Weizsäcker sagte einmal “Die Stärke der Naturwissenschaften liegt gerade im Nicht-Stellen mancher Fragen” und diesen Satz habe ich sehr gerne, denn er weist auf eine Gefahr hin, in die wir sehr leicht geraten können. 1. Schritt: ich reduziere meinen Fokus auf alles, was ich messen und wägen kann. 2. Schritt: Ich komme zu neuen Erkenntnissen und 3. Schritt: ich erkläre das, worauf ich meinen Fokus gerichtet habe, die Wirklichkeit primär eingeengt habe, als das einzig Gültige und Wahre – > das ist Reduktionsimus, Szientizismus, wie immer Sie’s nennen mögen.
Und das ist auch mein Kritikpunkt: es sagt ja kein Mensch, dass die Aussage “Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Erde” eine naturwissenschaftlich zu verifizierende oder zu falsifizierende Frage sei. Deshalb hat auch die Frage nach der Wahrscheinlichkeit keinen Platz. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Aussage deshalb nicht wahr sein kann, genauso wenig wie die Aussage, ob es Wahrheit gibt, wahr sein kann (und beide sind es auch, so denke ich)
Ich wäre mir nicht sicher, ob Dawkins Theologiekenntnisse so viel besser sind als die Philosophiekenntnisse, aber für beides bin ich keine Fachfrau, sondern bloß interessiert fürs tägliche Leben
…
die Argumentation, dass die Physik dem Eingreifen Gottes widerspräche, das sagen also keineswegs alle Physiker sondern auch wieder nur einige wenige – ich würde mal die Lektüre von Polkinghorne empfehlen. Ich habe übrigens gesehen, dass auf der Seite http://www.theologie-naturwissenschaften.de/ einiges auch auf Deutsch zu lesen ist. Ich habe mich durch eine englische Artikelserie durchgelesen – da kamen sogar Wunder zu Sprache.
Apropos Wunder: Natürlich ist es falsch, zu meinen, Christen würden hinter jeder Hausecke auf ein Wunder stoßen, und auch das wunderbare Eingreifen eines Intelligent-Designers ist mir ein Dorn im Auge (sanft ausgedrückt). Aber der Gott der Christen hat sich uns Menschen gezeigt, zu uns gesprochen (geoffenbart, sagen wir) und Er wurde Mensch und Er ist von den Toten auferstanden – also ohne zumindest diese beiden Wunder geht es nicht. Vielleicht sind es auch noch ein paar mehr, you never know … Aber wer wäre Gott, wenn wir Ihn mit unserem “Gehirnkastel” (gut österreichisch) begreifen könnten? Theresia von Avila sagte einmal vom Gebet, das ein Gespräch von Du zu Du, von Mensch zu Gott ist, (damit hatte sie ja Erfahrung): “Gott ist so groß, dass es wohl wert ist, Ihn ein Leben lang zu suchen”.
Thomas Waschke
@Mary B Moritz
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Ich wäre mir da nicht so sicher, dass Dawkins einen klaren philosophischen Wahrheitsbegriff hat,
—Zitatende—
Ich bin mir eher sicher, dass Dawkins, so wie in den Naturwissenschaften üblich, eingesehen hat, dass ‘Wahrheit’ im Bereich der Empirie ein sinnloser Begriff ist. … In den Naturwissenschaften gibt es keine Wahrheit. Das ist trivial, denn niemand weiß, was man morgen weiß. Die Naturwissenschaften können nur zeitkernige Gültigkeiten auf dem aktuellen Stand vertreten.
Ist beispielsweise der Satz ‘der älteste Vogel lebte vor 60 Millionen Jahren’ wahr?
In der Philosophie wird ‘Wahrheit’ oft als ‘justified true belief’ definiert. Wenn man das ‘true’ weglässt, stimmt das. Das Problem ist immer, zu zeigen, dass ein Satz wahr ist. Das kann in der Mathematik (allgemein, in formalen Systemen) funktionieren (wenn man mal die wenigen Fälle, in dem einem Gödel einen Strich durch die Rechnung macht, vernachlässigt). In den Naturwissenschaften nicht.
Was erklärt die Selektion?
Thomas Waschke
@NN
—Zitat—
PS: “Evolution” ist überhaupt nicht “gesteuert”. Es gibt Mechanismen der Variation auf DNA-Ebene. Und Selektion der Phänotypen aufgrund von Umweltparametern. Und die Umwelt ist ein negativer Filter: was gar nicht reinpasst fällt raus. Wirds zu warm, verschwinden die Eisbären. Ich weiß nicht, wo Ihr Problem liegt?
—Zitatende—
Ich habe kein Problem, Dawkins hat eins. Selbstverständlich wird Evolution ‘gesteuert’, die Frage ist nur, wie das passiert. Beispiele sind ‘Selektionsdruck’ und ‘Mutationsdruck’. Wenn der Mutationsdruck (tt) überwiegt, ist die Selektion machtlos. Das sieht Dawkins, das hat auch schon Darwin so gesehen, und man kann sich sogar überlegen, was aus Darwins eigener Theorie wird, falls man die lamarckistischen Elemente entfernt. Es gibt Autoren, die behaupten, dass sie dann nicht mehr funktioniert. Spätere Erkenntnisse haben diese Frage geklärt, ohne Lamarckismus zu benötigen, aber die spannende Frage ist dann immer, was Darwin vertreten hat. Die Bezeichnung ‘Darwinismus’ für Evolutionsbiologie ist daher schlecht, denn das, was wir heute vertreten, hat mit Darwin so viel zu tun wie die moderne Physik mit Newton.
Falls etwas selektiert werden soll, muss die Selektion einen Ansatzpunkt finden. Die Selektionstheorie kann wunderbar erklären, wie aus einer rudimentären Funktion (beispielsweise ein Fleck aus Lichtsinneszellen) ein Hochleistungssystem (beispielsweise ein Linsenauge) entstehen kann. Das Grundproblem ist Sehfähigkeit überhaupt (Behe, das wissenschaftliche Aushängeschild der Intelligent Design-Bewegung erkennt beispielsweise an, dass ein Linsenauge wie von Darwin schon beschrieben, durch die Mechanismen der Selektionstheorie entstehen kann, weist aber darauf hin, dass ein wesentliches Element des lichtempfindlichen Flecks, die primäre Transduktionskaskade, irreduzibel komplex ist und daher nicht nach den Mechanismen der Selektionstheorie entstehen konnte). Dawkins sieht das Problem, das er sehr ausführlich für die Abiogenese diskutiert (die Mechanismen der Selektionstheorie lassen sich hier prinzipiell nicht anwenden, weil es ‘damals’ noch nichts gab, das zu kumulativer Selektion in der Lage war), fegt es aber bei anderen Systeme eher unter den Teppich. Wie auch immer man das sieht, das Ausgangssystem entsteht nicht durch die Mechanismen der Selektionstheorie, sondern ‘zufällig’.
Die spannende Frage ist dann, ob diese ‘Sprünge’ hinreichend wahrscheinlich sind. Sie scheinen sich hier sicher zu sein, ich hoffe auf die Zukunft.
—Zitat—
Die ganze Biologie ist “weiter”. Aber dennoch bleibt der Darwin. Von den Mechanismen – insbesondere auf biochemischer Ebene – konnte er noch nichts wissen. ich seh aber nicht im entferntesten was, dass der natürlichen Selektion widerspricht. Bisher hat die alles geschluckt (Gould z.B.). Kimura mit seiner neutral theory hatte mal den Anschein, da dran zu rütteln. Aber die ist eine Spezialtheorie innerhalb der Evolutionstheorie.
—Zitatende—
das Problem liegt eher darin, ob die Selektionstheorie alles erklären kann. Ich habe schon erwähnt, dass es Menschen gibt, die die Selektionstheorie (auch in der modernsten Version) mit der Newton-Mechanik vergleichen. Sie ist immer noch in ihrem Bereich gültig, aber ein Spezialfall einer umfassenderen Theorie.
Kritiker und Gegner der Evolutionstheorie
Thomas Waschke
Das ist eine interessante Frage: Was bedeutet ‘geklärt’? Es läuft dann auf ‘ist das Glas halb voll oder halb leer?’ hinaus, und die eine Seite sagt, dass aus dem, was bekannt ist, hervorgeht, dass man den Rest auch noch klären wird, während die andere Seite sagt, dass es hinreichend noch nicht geklärt ist, um die Möglichkeit offen zu halten, dass Design vorliegen muss.
Aus meiner Sicht ein Argument dafür, sich nicht auf inhaltliche Diskussionen mit Evolutionsgegnern einzulassen, eben weil man weniger weiß als man für die Argumentation benötigt. Wenn man an einen belesenen Evolutionsgegner gerät, verwendet der nur Argumente aus referierten anerkannten Journalen und beschränkt sich auf das Aufzeigen von Erklärungslücken. Dann wird die Argumentation ganz schnell ganz knifflig.
Schauen Sie beispielsweise mal auf die Flagelle (zum Beispiel Auge könnte ich auch entsprechende Argumente anführen, aber das wäre komplexer). Matzke hat hier einen immer wieder zitierten Artikel verfasst (Matzke, N. (2006) ‘Evolution in (Brownian) space: a model for the origin of the bacterial flagellum [2003]’).
Scherer hat sich die Mühe gemacht, genauer auf einen Schritt, der dort dargestellt ist, einzugehen:
Scherer, S. (2009) ‘Makroevolution molekularer Maschinen. Konsequenzen aus den Wissenslücken evolutionsbiologischer Naturforschung’ in: Hahn, H.-J.; McClary, R.; Thim-Mabrey, C.; (Hrsg.) ‘Atheistischer und jüdisch-christlicher Glaube: Wie wird Naturwissenschaft geprägt? Forschungs-Symposium vom 2. bis 4. April 2008 an der Universität Regensburg’ München, Books on Demand S. 93-148.
Scherer muss sich hinsichtlich Kompetenz in puncto Mikrobiologie vor Matzke mit Sicherheit nicht verstecken, und was Scherer in dem Artikel zu Intelligent Design schreibt, kann man eigentlich auch als Agnostiker unterschreiben. Wenn man lesen will, wie das eher für den Hausgebrauch formuliert ist, kann man auch Scherer, S. (2010) ‘Zur Evolution des Bakterienrotationsmotors. Ist ein tragfähiges Modell für die Entstehung des bakteriellen Rotationsmotors bekannt?’ lesen (ist im Prinzip der Artikel, angepasst an Wort und Wissen, als Artikel im SIJ, es gibt noch weitere Versionen). Sie können gerne versuchen, hier mit den ‘üblichen’ Argumenten, die man immer wieder liest, zu argumentieren, weitere Literatur zu Rate ziehen und so weiter. Kann sein, dass meine Kenntnisse in Biochemie zu gering sind (zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mein Abschluss schon Jahrzehnte zurück liegt), aber die Arbeiten, die ich kenne, beantworten Scherers Fragen nicht. Leider ist auch auf unserer Seite ‘literature bluffing’ nicht selten.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich sehe nirgends ein Argument für Intelligent Design (an den Grenzen des Wissens beginnt bekanntlich Nichtwissen, nicht Wissen um Design …), aber ich sehe ein Problem darin, einen Evolutionsgegner fachwissenschaftlich überzeugen zu können. Das geht meiner Meinung nach besser mit wissenschaftstheoretischen Argumenten, allerdings muss man dann auch aufpassen, was in diesem Bereich anerkannt ist (Sie wissen genauso gut wie ich, dass, sobald es ins Detail geht, auch unter Wissenschaftstheoretikern heftige Kontroversen ausgetragen werden, dazu kommt noch, dass auch die Intelligent Design-Fraktion erkannt hat, dass sie eigentlich auch eine eigene Wissenschaftstheorie basteln muss, ist aber meines Wissens noch nicht weit geraten, ich vermute, dass das auch so bleiben wird, denn ich sehe nicht, wie man mit der Annahme von Design heuristisch fruchtbar Forschung anregen könnte).
BTW, ich weiß, was schon so alles zur Flagelle geschrieben wurde, ein Argument für Design konnte aber sowieso noch niemand daraus machen. Ich sehe immer noch nicht, wo Scherer diesbezüglich falsch liegt. Matzke hat AFAIK [as far as I know] nicht darauf geantwortet, angeblich, weil er des Deutschen nicht mächtig ist. Ich habe ihm IIRC [if I remember correctly] angeboten, den Artikel zu übersetzen. Wäre interessant, was er dazu sagt. Mit Eugenie Scott bin ich auf dem Grand Canyon geschippert. Ich gewann in den Gesprächen den Eindruck, dass man in Amiland darauf angewiesen ist, strategische Partnerschaften zu schließen. Ich hoffe, dass man das hierzulande nicht nötig hat.
NN
http://www.talkorigins.org/indexcc/CB/CB200_1.html
Und selbst, wenn das noch nicht geklärt wäre? Noch. So kompliziert ist die Flagelle auch nicht. Sonst hättens Bakterien nicht.
Ich kann schon mit dem Begriff “Komplexität” nichts anfangen. Wo ist das definiert in der Biologie und wie? Ist das nicht genauso wie “Chaos” wieder verschwunden oder zurückgesiedelt in Mathematik und IT? Im Grunde ist das Paleys Uhr reloaded.
Und die alte Kreationisten-/ID-Strategie: Such Dir ein kompliziertes Teil raus, wos noch keinen vollständigen Mechanismus gibt (und keine paläontologischen Befunde) und hau da rein.
Wenn man sich da runter begibt, ist man schon verloren. Aber genau das wollen die ID-Leute: Eine vermeintliche Fachdiskussion führen. Irgendein zweit- oder drittklassiger Biologe wird sich schon finden. Auch Biologen sind gegen Spiritualität nicht immer immun (obwohl der Atheistenanteil dort am höchsten ist unter den Naturwissenschaften).
PS: Solange es keine “bessere” Theorie gibt, bleibe ich bei der alten darwinistischen.
Thomas Waschke
@NN
—Zitat—
http://www.talkorigins.org/indexcc/CB/CB200_1.html
—Zitatende—
dort steht ein ‘plausibler Weg’ und ich hatte eine Arbeit zitiert, die zeigt, dass der bei näherem Hinsehen nicht so plausibel ist. Matzke hat übrigens schon öfter mal ‘plausible Wege’ bei PandasThumb vorgestellt, beispielsweise zur Abiogenese. Davon hört man inzwischen nichts mehr.
—Zitat—
Und selbst, wenn das noch nicht geklärt wäre? Noch. So kompliziert ist die Flagelle auch nicht. Sonst hättens Bakterien nicht.
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Mein Punkt ist ein anderer. Ich argumentiere strategisch. Man sollte sich nicht auf inhaltliche Diskussionen einlassen, wenn ein Sachverhalt nicht geklärt ist. Denn dann geht es nicht mehr um Intelligent Design oder nicht (den zentralen Punkt), sondern um fachwissenschaftliches KleinKlein, das sinnlos ist, weil das wie eine Diskussion aussieht. Allerdings muss man das in der Argumentation berücksichtigen und keine ‘Mischform’ fahren (also immer wieder versuchen, fachwissenschaftliche Inhalte zu vertreten, es sei denn, die Gegenseite macht Aussagen, die man widerlegen kann).
—Zitat—
Und die alte Kreationisten-/ID-Strategie: Such Dir ein kompliziertes Teil raus, wos noch keine vollständigen Mechanismus gibt (und keine paläontologischen Befunde) und hau da rein. Wenn man sich da runter begibt, ist man schon verloren. Aber genau das wollen die ID-Leute: Eine vermeintliche Fachdiskussion führen. Irgendein zweit- oder drittklassiger Biologe wird sich schon finden.
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Stimmt. Ich bin als Biologe nicht mal drittklassig, aber ich bin in der Lage, Argumente zu beurteilen. Viele in der Diskussion aktive Autoren sind allerdings durchaus nicht erstklassig. Miller beispielsweise hat lange nicht verstanden, was Behe ihm auch öffentlich gesagt hat. Aber da sich eigentlich niemand ernsthaft für die Diskussion interessiert, macht auch niemand die Menschen aus unserem Lager auf Fehler aufmerksam. Sie machen ja einen Job, den man sonst selber machen müsste. Dann hält man es beispielsweise wie mit Gould, dem man auch vieles nachsah, weil er sich gegen Kreationisten engagierte. Letztlich auch Dawkins.
—Zitat—
Auch Biologen sind gegen Spiritualität nicht immer immun (obwohl der Atheistenanteil dort am höchsten ist unter den Naturwissenschaften).
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Habe ich auch mit Freude die seit den 1920er Jahren stabilen Statistiken zur Kenntnis genommen. Bei alternden Physikern scheint ein Abdriften ins Spirituelle fast Standard zu sein.
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PS: Solange es keine “bessere” Theorie gibt, bleibe ich bei der alten darwinistischen.
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Wenn Sie genau definieren können, was Sie unter der ‘darwinistischen Theorie’ verstehen, kann ich etwas dazu sagen. Sie wissen aber sicher auch, dass die Synthetische Theorie der Evolution als ‘moving target’ bezeichnet wird, oder als ‘Schwamm, der alles aufsaugt, ohne zu platzen’. Ich halte jede Wette, dass Sie, wenn sie 100 aktive Forscher danach fragen, was Sie unter ‘Synthetischer Theorie der Evolution’ verstehen, keinen Konsens erhalten werden. Noch weniger, wenn Sie dazu noch Wissenschaftshistoriker oder -theoretiker einbeziehen.
Ob man nun mit Kreationisten diskutieren soll oder auch nicht ist eine spannende Frage. Eins darf man sich aber nicht erlauben: Inhaltliche Positionen vertreten, die zu Recht kritisiert werden können. Ob man nun als Dawkins zeigt, dass man nicht viel Ahnung von Theologie hat, oder als Mensch, der sich nicht in der biologischen Primärliteratur auskennt, der Effekt ist derselbe. Man ermöglicht der gegnerischen Seite, wunderbare Nebengeleise aufzumachen. ‘Mach doch erst mal deine Hausaufgaben …’ ist dann noch dezent.
Zoran Jovic
Ich bin kein Biologe nur interessiert an diesem Thema. Was halten sie, Herr Waschke, von James A. Shapiro welcher stark die synthetische Evolutionskritik kritisiert, aber davon z. B. von Jerry Coynes Blog kritisiert wurde; oder hier.
Thomas Waschke
@Zoran Jovic
ich habe das Buch zwar gekauft, bin aber noch nicht zum gründlichen Lesen gekommen. Mein erster Eindruck deckt sich in etwa mit dem Coynes und Morans (ich schaue in beide Blogs ziemlich regelmäßig). Es gibt eine ganze Reihe von Radikalkritik an der Synthetischen Theorie, die meisten Kritiker überreizen aber ihren Ansatz. Oft steckt zwar ein Körnchen Wahrheit hinter den Vorwürfen, aber meist werden sie über Gebühr aufgebauscht. Scheint mir auch bei Shapiro so zu sein.
Zoran Jovic
Dann werde ich mir Shapiro wahrscheinlich doch nicht besorgen, wenn seine Thesen deutlich übertrieben sind, dann ein besseres Buch suchen.
Thomas Waschke
@Zoran Jovic
was meinst du mit ‘besseres Buch’? Shapiros Buch ist eins in einer Reihe von mehr oder weniger qualifizierten Angriffen gegen den Standard. Wenn du mir sagst, was dich interessiert, kann ich dir vielleicht einen Tipp geben.
Zoran Jovic
Hab einige Bücher über die Evolution gelesen darunter das egoistische Gen, Kutscherer und andere. Hatte Lust mal auch eine Kritik zu lesen ohne religiösen Zusatz, da schien mir Shapiro von seiner Biografie der interessanteste.
Thomas Waschke
@Zoran Jovic
Es gab und gibt schon immer Arbeiten, die den Standard kritisieren. Ich kenne leider keine, die auf der einen Seite für Nicht-Biologen geeignet sind, auf der anderen seriös. Shapiro ist da eher Einseitigkeit vorzuwerfen, andere kennen sich mit dem, was sie kritisieren, nicht wirklich aus.
Sehr bekannt ist
Nagel, T. (2012) ‘Mind and Cosmos. Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False’ New York, Oxford, Oxford University Press
Nagel vertritt einen Ansatz, der so unklar ist, dass er kaum diskutiert werden kann. Etwas älter ist
Fodor, J.; Piatelli-Palmarini, M. (2010) ‘What Darwin Got Wrong’ London, Profile Books
Die beiden Autoren kritisieren eigentlich eher Formulierungen, ohne echt etwas zur Sache zu sagen. Interessant, was die Kritik, beispielsweise an Dawkins, anbelangt, aber ansonsten schwach, ist
Plantinga, A. (2011) ‘Where The Conflict Really Lies’ New York, Oxford University Press
der sich als Theist vor allem dafür ausspricht, dass es keinen Konflikt zwischen Religion (‘richtig’ verstanden) und Naturwissenschaft (‘richtig’ verstanden) gibt. Weite Teile des Buches sind zudem ‘recycled’.
Bauer, J. (2008) ‘Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus’ Hamburg, Hoffmann und Campe
kritisiert ebenfalls einen kleinen Aspekt, aber der ist bei weitem nicht hinreichend, um den Titel zu rechtfertigen.
Empfehlen kann ich dir, ehrlich gesagt, keines dieser Bücher.