KAPITEL VI
DIE
WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN
THEOLOGIE UND PHILOSOPHIE
Die Glaubenswissenschaft und die Erfordernisse der philosophischen Vernunft [64-74]
64. Das Wort Gottes richtet sich an jeden Menschen, zu jeder Zeit und an jedem Ort der Erde; und der Mensch ist von Natur aus Philosoph. Die Theologie, als durchdachte wissenschaftliche Erarbeitung des Verständnisses dieses Wortes im Lichte des Glaubens, kann sowohl für manche ihrer Verfahrensweisen wie auch für die Erfüllung bestimmter Aufgaben nicht darauf verzichten, mit den Philosophien in Beziehung zu treten, die im Laufe der Geschichte tatsächlich ausgearbeitet worden sind. Ohne den Theologen besondere Methoden empfehlen zu wollen, was dem Lehramt auch gar nicht zusteht, möchte ich vielmehr einige Aufgaben der Theologie ins Gedächtnis rufen, bei denen aufgrund des Wesens des geoffenbarten Wortes der Rückgriff auf das philosophische Denken geboten ist.
65. Die Theologie konstituiert sich als Glaubenswissenschaft im Lichte eines methodischen Doppelprinzips: dem auditus fidei und dem intellectus fidei. Durch das erste gelangt sie in den Besitz der Offenbarungsinhalte, so wie sie in der Heiligen Überlieferung, in der Heiligen Schrift und im lebendigen Lehramt der Kirche fortschreitend ausgefaltet worden sind.(88) Mit dem zweiten Prinzip will die Theologie den Anforderungen des Denkens durch die spekulative Reflexion entsprechen.
Was die Vorbereitung auf einen korrekten auditus fidei betrifft, so leistet die Philosophie der Theologie ihren eigentlichen Beitrag dann, wenn sie die Struktur der Erkenntnis und der persönlichen Mitteilung sowie besonders die vielfältigen Formen und Funktionen der Sprache betrachtet und bedenkt. Ebenso wichtig ist der Beitrag der Philosophie für ein zusammenhängendes Verständnis der kirchlichen Überlieferung, der Erklärungen des Lehramtes und der Sätze der großen Lehrer der Theologie: diese drücken sich nämlich häufig in Begriffen und Denkformen aus, die einer bestimmten philosophischen Tradition entlehnt sind. In diesem Fall wird vom Theologen verlangt, daß er nicht nur die Begriffe und Formulierungen erklärt, mit denen die Kirche über ihre Lehre nachdenkt und sie erarbeitet; er muß auch die philosophischen Systeme, die möglicherweise Begriffe und Terminologie beeinflußt haben, gründlich kennen, um zu korrekten und kohärenten Interpretationen zu gelangen.
66. Was den intellectus fidei betrifft, so ist vor allem zu beachten, daß die göttliche Wahrheit, »die uns in den von der Lehre der Kirche richtig ausgelegten Heiligen Schriften vorgelegt wird«,(89) eine eigene, in ihrer Logik so konsequente Verständlichkeit besitzt, daß sie sich als ein echtes Wissen darstellt. Der intellectus fidei legt diese Wahrheit aus, indem er nicht nur die logischen und begrifflichen Strukturen der Aussagen aufnimmt, in denen sich die Lehre der Kirche artikuliert, sondern auch und vorrangig die Heilsbedeutung sichtbar werden läßt, die diese Aussagen für den einzelnen und für die Menschheit enthalten. Von der Gesamtheit dieser Aussagen gelangt der Glaubende zur Kenntnis der Heilsgeschichte, die in der Person Jesu Christi und in seinem Ostergeheimnis ihren Höhepunkt hat. Durch seine Zustimmung aus dem Glauben hat er an diesem Geheimnis teil.
Die dogmatische Theologie muß ihrerseits imstande sein, den universalen Sinn des Geheimnisses des dreieinigen Gottes und des Heilsplanes sowohl in erzählerischer Weise als auch vor allem in Form der Argumentation darzulegen. Das muß sie mit Hilfe von Ausdrücken und Begriffen tun, die aus der Urteilskraft heraus formuliert und allgemein mitteilbar sind. Denn ohne den Beitrag der Philosophie ließen sich theologische Inhalte, wie zum Beispiel das Sprechen über Gott, die Personbeziehungen innerhalb der Trinität, das schöpferische Wirken Gottes in der Welt, die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, die Identität Christi, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, nicht veranschaulichen. Dasselbe gilt für verschiedene Themen der Moraltheologie, wo ganz offenkundig Begriffe, wie z.B. Sittengesetz, Gewissen, Freiheit, persönliche Verantwortung, Schuld usw. zur Anwendung kommen, die im Rahmen der philosophischen Ethik definiert werden.
Daher muß die Vernunft des Gläubigen eine natürliche, wahre und stimmige Kenntnis der geschaffenen Dinge, der Welt und des Menschen besitzen, die auch Gegenstand der göttlichen Offenbarung sind; mehr noch: die Vernunft des Gläubigen muß in der Lage sein, diese Kenntnis begrifflich und in der Form der Argumentation darzulegen. Die spekulative dogmatische Theologie setzt daher implizit eine auf die objektive Wahrheit gegründete Philosophie vom Menschen, von der Welt und, radikaler, vom Sein voraus.
67. Die Fundamentaltheologie wird sich wegen des Charakters dieser theologischen Disziplin, deren Aufgabe die Rechenschaft über den Glauben ist (vgl. 1 Petr 3, 15), darum kümmern müssen, die Beziehung zwischen dem Glauben und dem philosophischen Denken zu rechtfertigen und zu erklären. Schon das I. Vatikanische Konzil hatte die paulinische Lehre (vgl. Röm 1, 19-20) neu eingebracht und die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß es Wahrheiten gibt, die auf natürlichem Weg erkennbar sind. Daher sind sie es auch auf philosophischem Weg. Ihr Erkennen stellt eine notwendige Voraussetzung für die Annahme der Offenbarung Gottes dar. Beim Erforschen der Offenbarung und ihrer Glaubwürdigkeit, begleitet von dem entsprechenden Glaubensakt, wird die Fundamentaltheologie zeigen müssen, daß im Lichte der Erkenntnis durch den Glauben einige Wahrheiten ans Licht kommen, welche die Vernunft bereits auf ihrem selbständigen Weg der Suche erreicht. Die Offenbarung verleiht diesen Wahrheiten dadurch Sinnfülle, daß sie sie auf den Reichtum des geoffenbarten Geheimnisses hinlenkt, in dem sie ihr letztes Ziel finden. Man denke zum Beispiel an die natürliche Gotteserkenntnis, an die Möglichkeit der Unterscheidung der göttlichen Offenbarung von anderen Phänomenen oder an die Anerkennung ihrer Glaubwürdigkeit, an die Fähigkeit der menschlichen Sprache, ausdrücklich und wahrhaftig auch von dem zu sprechen, was jede menschliche Erfahrung übersteigt. Von allen diesen Wahrheiten wird der Geist dazu gebracht, das Vorhandensein eines wirklich auf den Glauben vorbereitenden Weges anzuerkennen, der in die Annahme der Offenbarung einmünden kann, ohne die eigenen Prinzipien und ihre Autonomie im geringsten zu verletzen.(90)
In demselben Maß wird die Fundamentaltheologie aufzeigen müssen, daß eine innere Vereinbarkeit zwischen dem Glauben und seinem wesentlichen Anspruch besteht, sich durch eine Vernunft darzustellen, die in der Lage ist, in voller Freiheit ihre Zustimmung zu geben. So wird der Glaube »einer Vernunft, die aufrichtig nach der Wahrheit sucht, voll den Weg weisen können. Auf diese Weise kann der Glaube als Geschenk Gottes, auch wenn er sich nicht auf die Vernunft stützt, sicher nicht auf sie verzichten; gleichzeitig erscheint es für die Vernunft notwendig, vom Glauben Gebrauch zu machen, um die Horizonte zu entdecken, die sie allein nicht zu erreichen vermöchte«.(91)
68. Die Moraltheologie hat vielleicht in noch höherem Maße den Beitrag der Philosophie nötig. Denn im Neuen Bund ist das menschliche Leben viel weniger durch Vorschriften geregelt als im Alten Bund. Das Leben im Heiligen Geist führt die Glaubenden zu einer Freiheit und Verantwortlichkeit, die über das Gesetz selbst hinausgehen. Immerhin stellen das Evangelium und die apostolischen Schriften sowohl allgemeine Prinzipien christlicher Lebensführung als auch gewissenhafte Lehren und Gebote auf. Um sie auf die besonderen Verhältnisse des Lebens des einzelnen und der Gesellschaft anzuwenden, muß der Christ imstande sein, sein Gewissen und seine Denkkraft bis zum Äußersten einzusetzen. Das heißt mit anderen Worten, die Moraltheologie muß sich einer richtigen philosophischen Sicht sowohl von der menschlichen Natur und Gesellschaft wie von den allgemeinen Prinzipien einer sittlichen Entscheidung bedienen.
69. Man mag vielleicht einwenden, daß sich der Theologe in der gegenwärtigen Situation weniger der Philosophie als vielmehr der Hilfe anderer Formen des menschlichen Wissens bedienen sollte, wie der Geschichte und vor allem der Naturwissenschaften, deren jüngste außergewöhnliche Entwicklungen alle bewundern. Andere dagegen vertreten infolge einer gesteigerten Sensibilität für die Beziehung zwischen Glaube und Kultur die Ansicht, die Theologie sollte sich statt einer Philosophie griechischen und eurozentrischen Ursprungs lieber den traditionellen Weisheitsformen zuwenden. Wieder andere leugnen, von einer falschen Vorstellung des Pluralismus der Kulturen ausgehend, schlechthin den universalen Wert des von der Kirche empfangenen philosophischen Erbes.
Diese hier angeführten Ansichten, die uns unter anderem bereits in der Lehre des Konzils begegnen,(92) sind teilweise wahr. Die Bezugnahme auf die Naturwissenschaften ist in vielen Fällen nützlich, weil sie eine vollständigere Kenntnis des Forschungsobjektes ermöglicht; sie darf jedoch nicht die notwendige Vermittlung einer typisch philosophischen, kritischen und Allgemeingültigkeit anstrebenden Reflexion in Vergessenheit geraten lassen, die im übrigen von einem fruchtbaren Austausch zwischen den Kulturen gefordert wird. Was ich dringend unterstreichen möchte, ist die Verpflichtung, nicht beim konkreten Einzelfall stehenzubleiben und damit die vorrangige Aufgabe zu vernachlässigen, die darin besteht, den universalen Charakter des Glaubensinhaltes aufzuzeigen. Zudem darf man nicht vergessen, daß es der besondere Beitrag des philosophischen Denkens erlaubt, sowohl in den verschiedenen Lebensauffassungen wie in den Kulturen zu erkennen, »nicht was die Menschen denken, sondern welches die objektive Wahrheit ist«.(93) Nicht die verschiedenen menschlichen Meinungen, sondern allein die Wahrheit kann für die Theologie hilfreich sein.
70. Das Thema der Beziehung zu den Kulturen verdient eine spezielle, wenn auch notgedrungen nicht erschöpfende Überlegung wegen der von dort herrührenden Implikationen sowohl im philosophischen wie im theologischen Bereich. Der Prozeß der Begegnung und Auseinandersetzung mit den Kulturen ist eine Erfahrung, welche die Kirche von den Anfängen der Verkündigung des Evangeliums an erlebt hat. Das Gebot Christi an die Jünger, überall hinzugehen, »bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1, 8), um die von ihm geoffenbarte Wahrheit weiterzugeben, hat die Christengemeinde in die Lage versetzt, schon sehr bald die Allgemeingültigkeit der Verkündigung und die aus der Verschiedenheit der Kulturen entstehenden Hindernisse festzustellen. Ein Abschnitt aus dem Brief des hl. Paulus an die Christen von Ephesus bietet eine gute Hilfe, um zu verstehen, wie die Urgemeinde an dieses Problem herangegangen ist. Der Apostel schreibt: »Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder« (2, 13-14).
Im Lichte dieses Textes dehnt sich unsere Überlegung auf den Wandel aus, der sich in den Heiden ereignet hat, die einst zum Glauben gelangt sind. Angesichts der Fülle des von Christus vollbrachten Heils fallen die trennenden Wände zwischen den verschiedenen Kulturen. Die Verheißung Gottes wird nun in Christus zu einem Angebot für alle: sie ist nicht mehr auf die Eigenart eines Volkes, seiner Sprache und seiner Bräuche beschränkt, sondern wird als Schatz, aus dem jeder frei schöpfen kann, auf alle ausgedehnt. Von verschiedenen Orten und Traditionen sind alle in Christus dazu berufen, an der Einheit der Familie der Kinder Gottes teilzuhaben. Christus erlaubt den beiden Völkern »eins« zu werden. Jene, die »in der Ferne« waren, sind dank des vom Ostergeheimnis gewirkten Neuen »in die Nähe gekommen«. Jesus reißt die trennenden Wände nieder und vollzieht auf einzigartige und erhabene Weise die Vereinigung durch die Teilhabe an seinem Geheimnis. Diese Einheit ist so tief, daß die Kirche mit dem hl. Paulus sagen kann: »Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes« (Eph 2, 19).
In einem so einfachen Satz wird eine großartige Wahrheit beschrieben: Die Begegnung des Glaubens mit den verschiedenen Kulturen hat tatsächlich eine neue Wirklichkeit ins Leben gerufen. Wenn die Kulturen tief im Humanen verwurzelt sind, tragen sie das Zeugnis der typischen Öffnung des Menschen für das Universale und für die Transzendenz in sich. Deshalb stehen sie als verschiedene Annäherungen an die Wahrheit da; diese stellen sich als zweifellos nützlich für den Menschen heraus, den sie auf Werte hinweisen, die sein Dasein immer menschlicher machen können.(94) Insofern sich dann die Kulturen auf die Werte der antiken Überlieferungen berufen, enthalten sie zwar unausgesprochen, deshalb aber nicht weniger real den Bezug auf das Sich-Offenbaren Gottes in der Natur, wie wir vorher bei der Besprechung der Weisheitstexte und der Lehre des hl. Paulus gesehen haben.
71. Da die Kulturen in enger Beziehung zu den Menschen und ihrer Geschichte stehen, teilen sie dieselben dynamischen Kräfte, mit denen sich die menschliche Zeit Ausdruck verschafft. Demzufolge sind Veränderungen und Fortschritte zu verzeichnen, die auf den Begegnungen der Menschen miteinander und auf ihrem gegenseitigen Austausch über ihre Lebensmodelle beruhen. Die Kulturen nähren sich aus der Mitteilung von Werten, und ihre Lebenskraft und ihr Bestand rührt von der Fähigkeit her, offen zu bleiben für die Aufnahme des Neuen. Welche Erklärung gibt es für diese dynamischen Kräfte? Jeder Mensch ist in eine Kultur verflochten, hängt von ihr ab und beeinflußt sie. Er ist zugleich Kind und Vater der Kultur, in der er eingebunden ist. In jeder seiner Lebensäußerungen trägt er etwas mit sich, was ihn aus der Schöpfung heraushebt: seine ständige Offenheit für das Geheimnis und sein unerschöpfliches Verlangen nach Erkenntnis. Infolgedessen trägt jede Kultur das Prägemal der auf eine Vollendung hin gerichtete Spannung an sich und läßt sie durchscheinen. Man kann daher sagen, die Kultur hat die Möglichkeit in sich, die göttliche Offenbarung anzunehmen.
Die Art und Weise, wie die Christen den Glauben leben, ist auch durchdrungen von der Kultur ihrer Umgebung und trägt ihrerseits dazu bei, fortlaufend deren Wesensmerkmale zu gestalten. Die Christen bringen in jede Kultur die von Gott in der Geschichte und in der Kultur eines Volkes geoffenbarte, unwandelbare Wahrheit von Gott ein. So pflanzt sich im Laufe der Jahrhunderte das Ereignis immer weiter fort, dessen Zeugen die am Pfingsttag in Jerusalem anwesenden Pilger waren. Als sie den Aposteln zuhörten, fragten sie sich: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden« (Apg 2, 7-11). Die Verkündigung des Evangeliums in den verschiedenen Kulturen verlangt von den einzelnen Empfängern das Festhalten am Glauben; sie hindert die Empfänger aber nicht daran, ihre kulturelle Identität zu bewahren. Das erzeugt keine Spaltung, weil sich das Volk der Getauften durch eine Universalität auszeichnet, die jede Kultur aufnehmen kann, wodurch die Weiterentwicklung des in ihr implizit Vorhandenen hin zu seiner vollen Entfaltung in der Wahrheit begünstigt wird.
Die Schlußfolgerung daraus ist, daß eine Kultur niemals zum Urteilskriterium und noch weniger zum letzten Wahrheitskriterium gegenüber der Offenbarung Gottes werden kann. Das Evangelium steht nicht im Gegensatz zu dieser oder jener Kultur, als wollte es ihr bei der Begegnung mit ihr das aberkennen, was zu ihr gehört, und sie zur Annahme äußerer Formen nötigen, die nicht zu ihr passen. Im Gegenteil, die Verkündigung, die der Gläubige in die Welt und in die Kulturen trägt, ist eine wirkliche Form der Befreiung von jeder durch die Sünde eingeführten Unordnung und zugleich Aufruf zur vollen Wahrheit. Bei dieser Begegnung wird den Kulturen nichts aberkannt; sie werden sogar ermuntert, sich dem Neuen zu öffnen, das die Wahrheit des Evangeliums enthält, um daraus Ansporn zu weiteren Entwicklungen zu gewinnen.
72. Der Umstand, daß die Evangelisierung auf ihrem Weg zunächst der griechischen Philosophie begegnete, ist keineswegs ein Hinweis darauf, daß andere Wege der Annäherung ausgeschlossen wären. In unserer heutigen Zeit, in der das Evangelium nach und nach mit Kulturräumen in Berührung kommt, die sich bisher außerhalb des Verbreitungsbereiches des Christentums befunden hatten, eröffnen sich für die Inkulturation neue Aufgaben. Unserer Generation stellen sich ähnliche Probleme, wie sie die Kirche in den ersten Jahrhunderten zu bewältigen hatte.
Meine Gedanken gehen spontan zu den Ländern des Orients, die so reich an sehr alten religiösen und philosophischen Überlieferungen sind. Unter ihnen nimmt Indien einen besonderen Platz ein. Ein großartiger geistiger Aufschwung führt das indische Denken zur Suche nach einer Erfahrung, die dadurch, daß sie den Geist von den durch Zeit und Raum gegebenen Bedingtheiten befreit, Absolutheitswert hat. Im Dynamismus dieser Suche nach Befreiung finden sich große metaphysische Systeme.
Den Christen von heute, vor allem jenen in Indien, fällt die Aufgabe zu, aus diesem reichen Erbe die Elemente zu entnehmen, die mit ihrem Glauben vereinbar sind, so daß es zu einer Bereicherung des christlichen Denkens kommt. Für diese Unterscheidungsarbeit, zu der die Konzilserklärung Nostra aetate Anregung bietet, sollen sie eine Reihe von Kriterien berücksichtigen. Das erste ist die Universalität des menschlichen Geistes, dessen Grundbedürfnisse in den verschiedenen Kulturen identisch sind. Das zweite Kriterium, das sich aus dem ersten ergibt, besteht in Folgendem: Wenn die Kirche mit großen Kulturen in Kontakt tritt, mit denen sie vorher noch nicht in Berührung gekommen war, darf sie sich nicht von dem trennen, was sie sich durch die Inkulturation ins griechisch-lateinische Denken angeeignet hat. Der Verzicht auf ein solches Erbe würde dem Vorsehungsplan Gottes zuwiderlaufen, der seine Kirche die Straßen der Zeit und der Geschichte entlangführt. Dieses Kriterium gilt übrigens für die Kirche jeder Epoche, auch für die Kirche von morgen, die sich durch die in der heutigen Annäherung an die orientalischen Kulturen gewonnenen Errungenschaften bereichert fühlen wird. Sie wird in diesem Erbe neue Hinweise finden, um in einen fruchtbaren Dialog mit jenen Kulturen einzutreten, welche die Menschheit auf ihrem Weg in die Zukunft zum Erblühen bringen können. Drittens soll man sich davor hüten, den legitimen Anspruch des indischen Denkens auf Besonderheit und Originalität mit der Vorstellung zu verwechseln, eine kulturelle Tradition müsse sich in ihr Verschiedensein einkapseln und sich in ihrer Gegensätzlichkeit zu den anderen Traditionen behaupten; dies würde dem Wesen des menschlichen Geistes widersprechen.
Was hier für Indien gesagt wird, gilt auch für das Erbe, das die großen Kulturen Chinas, Japans und der anderen Länder Asiens sowie der Reichtum der vor allem mündlich überlieferten traditionellen Kulturen Afrikas enthalten.
73. Im Lichte dieser Überlegungen wird die Beziehung, die sich zwischen Theologie und Philosophie anbahnen soll, in Form einer Kreisbewegung erfolgen. Für die Theologie wird das in der Geschichte geoffenbarte Wort Gottes stets Ausgangspunkt und Quelle sein, während das letzte Ziel nur das in der Aufeinanderfolge der Generationen nach und nach vertiefte Verständnis des Gotteswortes sein kann. Da andererseits das Wort Gottes Wahrheit ist (vgl. Joh 17, 17), muß zu seinem besseren Verständnis die menschliche Suche nach der Wahrheit, das heißt das unter Respektierung der ihm eigenen Gesetze entwickelte Philosophieren, nutzbar gemacht werden. Dabei handelt es sich nicht einfach darum, in der theologischen Argumentation den einen oder anderen Begriff oder Bruchstücke eines philosophischen Gefüges zu verwenden; entscheidend ist, daß bei der Suche nach dem Wahren innerhalb einer Bewegung, die sich, ausgehend vom Wort Gottes, um dessen besseres Verständnis bemüht, die Vernunft des Glaubenden ihre Denkfähigkeiten einsetzt. Im übrigen ist klar, daß die Vernunft, wenn sie sich innerhalb dieser beiden Pole Wort Gottes und sein besseres Verständnis bewegt, gleichsam darauf hingewiesen, ja in gewisser Weise dazu angehalten wird, Wege zu meiden, die sie außerhalb der geoffenbarten Wahrheit und letzten Endes außerhalb der reinen, einfachen Wahrheit führen würden; sie wird sogar angespornt, Wege zu erforschen, von denen sie von sich aus nicht einmal vermutet hätte, sie je einschlagen zu können. Aus diesem Verhältnis zum Wort Gottes in Form der Kreisbewegung geht die Philosophie bereichert hervor, weil die Vernunft neue und unerwartete Horizonte entdeckt.
74. Den Beweis für die Fruchtbarkeit einer solchen Beziehung liefert die persönliche Geschichte großer christlicher Theologen, die sich auch als große Philosophen auszeichneten und Schriften von so hohem spekulativen Wert hinterließen, daß sie mit Recht neben die Meister der antiken Philosophie gestellt werden können. Das gilt sowohl für die Kirchenväter, von denen wenigstens die Namen des hl. Gregor von Nazianz und des hl. Augustinus genannt seien, als auch für die mittelalterlichen Gelehrten mit dem großen Dreigestirn hl. Anselm, hl. Bonaventura und hl. Thomas von Aquin. Die fruchtbare Beziehung zwischen der Philosophie und dem Wort Gottes schlägt sich auch in der mutigen Forschung nieder, die von einigen jüngeren Denkern geleistet wurde. Unter ihnen möchte ich für den westlichen Bereich Persönlichkeiten nennen wie John Henry Newman, Antonio Rosmini, Jacques Maritain, Étienne Gilson und Edith Stein. Aus dem östlichen Bereich sind Gelehrte wie Vladimir S. Solov'ev, Pavel A. Florenskij, Petr J. Tschaadaev und Vladimir N. Lossky zu erwähnen. Wenn ich mich auf diese Autoren berufe, neben denen noch andere Namen stehen könnten, möchte ich natürlich nicht alle Gesichtspunkte ihres Denkens bestätigen, sondern lediglich sprechende Beispiele eines philosophischen Forschungsweges vorstellen, der aus der Auseinandersetzung mit den Vorgaben des Glaubens beachtenswerte Vorteile gezogen hat. Eines ist sicher: Die Beachtung des geistlichen Weges dieser Lehrmeister muß dem Fortschritt in der Suche nach Wahrheit und in der Nutzbarmachung der erzielten Ergebnisse zum Wohl der Menschen dienen. Es bleibt zu hoffen, daß diese große philosophisch-theologische Tradition heute und in Zukunft zum Wohl der Kirche und der Menschheit ihre Fortsetzer und Verehrer finden möge.
Verschiedene Standorte der Philosophie [75-79]
75. Wie sich aus der oben kurz angedeuteten Geschichte der Beziehungen von Glaube und Philosophie ergibt, lassen sich verschiedene Standorte der Philosophie in bezug auf den christlichen Glauben unterscheiden. Da ist zuerst der Status der von der Offenbarung des Evangeliums völlig unabhängigen Philosophie: Gemeint ist die Philosophie, wie sie geschichtlich in den der Geburt des Erlösers vorausgehenden Epochen und danach in den vom Evangelium noch nicht erreichten Regionen Gestalt angenommen hat. In dieser Situation bekundet die Philosophie das legitime Bestreben, eine Unternehmung zu sein, die autonom ist; das heißt: sie geht nach ihren eigenen Gesetzen vor und bedient sich auschließlich der Kräfte der Vernunft. Dieses Bestreben muß man unterstützen und stärken, auch wenn man sich der schwerwiegenden, durch die angeborene Schwäche der menschlichen Vernunft bedingten Grenzen bewußt ist. Denn das philosophische Engagement als Suche nach der Wahrheit im natürlichen Bereich bleibt zumindest implizit offen für das Übernatürliche.
Mehr noch: Auch dann, wenn sich die theologische Argumentation philosophischer Begriffe und Argumente bedient, muß der Anspruch auf die rechte Autonomie des Denkens respektiert werden. Denn die nach strengen Vernunftkriterien entwickelte Argumentation ist Gewähr für das Erreichen allgemeingültiger Ergebnisse. Auch hier erfüllt sich das Prinzip, wonach die Gnade die Natur nicht zerstört, sondern vervollkommnet: Die Glaubenszustimmung, die den Verstand und den Willen verpflichtet, zerstört nicht die Willensfreiheit eines jeden Glaubenden, der das Geoffenbarte in sich aufnimmt, sondern vervollkommnet sie.
Von diesem korrekten Anspruch weicht ganz klar die Theorie von der sogenannten »getrennten« Philosophie ab, wie sie von einigen modernen Philosophen vertreten wird. Über die Bejahung der berechtigten Autonomie hinaus fordert sie eine Unabhängigkeit des Denkens, die sich klar als unzulässig erweist: Die aus der göttlichen Offenbarung kommenden Beiträge zur Wahrheit abzulehnen, bedeutet nämlich, sich zum Schaden der Philosophie den Zugang zu einer tieferen Wahrheitserkenntnis zu versperren.
76. Ein zweiter Standort der Philosophie ist jener, den viele mit dem Ausdruck christliche Philosophie bezeichnen. Die Bezeichnung ist an und für sich zulässig, darf aber nicht mißverstanden werden: Es wird damit nicht beabsichtigt, auf eine offizielle Philosophie der Kirche anzuspielen, da ja der Glaube an sich keine Philosophie ist. Vielmehr soll mit dieser Bezeichnung auf ein christliches Philosophieren, auf eine in lebendiger Verbundenheit mit dem Glauben konzipierte philosophische Spekulation hingewiesen werden. Man bezieht sich dabei also nicht einfach auf eine Philosophie, die von christlichen Philosophen erarbeitet wurde, die in ihrer Forschung dem Glauben nicht widersprochen haben. Wenn von christlicher Philosophie die Rede ist, will man damit alle jene bedeutenden Entwicklungen des philosophischen Denkens erfassen, die sich ohne den direkten oder indirekten Beitrag des christlichen Glaubens nicht hätten verwirklichen lassen.
Es gibt daher zwei Aspekte der christlichen Philosophie: einen subjektiven, der in der Läuterung der Vernunft durch den Glauben besteht. Als göttliche Tugend befreit er die Vernunft von der typischen Versuchung zur Anmaßung, der die Philosophen leicht erliegen. Schon der hl. Paulus, die Kirchenväter und Philosophen wie Pascal und Kierkegaard, die uns zeitlich näher sind, haben sie gebrandmarkt. Mit der Demut gewinnt der Philosoph auch den Mut, sich mit manchen Problemen auseinanderzusetzen, die er ohne Berücksichtigung der von der Offenbarung empfangenen Erkenntnisse kaum lösen könnte. Man denke zum Beispiel an die Probleme des Bösen und des Leides, an die Identität eines persönlichen Gottes und an die Frage nach dem Sinn des Lebens oder, direkter, an die radikale metaphysische Frage: »Warum gibt es etwas?«.
Daneben steht der objektive Aspekt, der die Inhalte betrifft: die Offenbarung legt klar und deutlich einige Wahrheiten vor, die von der Vernunft, obwohl sie ihr natürlich nicht unzugänglich sind, vielleicht niemals entdeckt worden wären, wenn sie sich selbst überlassen geblieben wäre. In diesem Blickfeld liegen Fragen wie der Begriff eines freien und schöpferischen persönlichen Gottes, der für die Entwicklung des philosophischen Denkens und insbesondere für die Philosophie des Seins so große Bedeutung gehabt hat. In diesen Bereich gehört auch die Realität der Sünde, wie sie im Lichte des Glaubens erscheint, der hilft, das Problem des Bösen in geeigneter Weise philosophisch anzugehen. Auch die Auffassung von der Person als geistiges Wesen ist eine besondere Eigenart des Glaubens: Die christliche Botschaft von der Würde, der Gleichheit und der Freiheit der Menschen hat sicher das philosophische Denken beeinflußt, das die Modernen vollzogen haben. Als Beispiel, das unserer Zeit näher ist, kann man die Entdeckung der Bedeutung des geschichtlichen Ereignisses für die Philosophie erwähnen, das die Mitte der christlichen Offenbarung bildet. Nicht zufällig ist es zur Grundlage einer Geschichtsphilosophie geworden, das sich als ein neues Kapitel der menschlichen Suche nach der Wahrheit darstellt.
Zu den objektiven Elementen der christlichen Philosophie gehört auch die Notwendigkeit, die Vernünftigkeit mancher von der Heiligen Schrift ausgesprochenen Wahrheiten zu erforschen, wie die Möglichkeit einer übernatürlichen Berufung des Menschen und eben auch die Erbsünde. Das sind Aufgaben, welche die Vernunft veranlassen anzuerkennen, daß es Wahres und Vernünftiges außerhalb der engen Grenzen gibt, in die sich einzuschließen sie geneigt wäre. Diese Themen erweitern tatsächlich den Bereich des Vernünftigen.
Im Nachdenken über diese Inhalte sind die Philosophen nicht Theologen geworden; denn sie haben nicht versucht, die Glaubenswahrheiten von der Offenbarung her zu verstehen und zu deuten. Sie setzten die Arbeit auf ihrem eigenen Gebiet und mit ihrer rein rationalen Methode fort, dehnten aber ihre Untersuchung auf neue Bereiche des Wahren aus. Man kann sagen, daß es ohne diesen stimulierenden Einfluß des Wortes Gottes einen beachtlichen Teil der modernen und zeitgenössischen Philosophie gar nicht gäbe. Der Befund bewahrt seine ganze Bedeutung auch angesichts der enttäuschenden Feststellung, daß nicht wenige Denker dieser letzten Jahrhunderte die christliche Rechtgläubigkeit aufgegeben haben.
77. Ein weiterer bedeutsamer Standort der Philosophie ergibt sich, wenn die Theologie selbst die Philosophie hineinzieht. In Wirklichkeit hat die Theologie immer den philosophischen Beitrag gebraucht. Sie braucht ihn auch weiterhin. Da die theologische Arbeit ein Werk der kritischen Vernunft im Lichte des Glaubens ist, ist für sie bei ihrem ganzen Forschen eine in begrifflicher und argumentativer Hinsicht erzogene und ausgebildete Vernunft Voraussetzung und Forderung. Darüber hinaus braucht die Theologie die Philosophie als Gesprächspartnerin, um die Verständlichkeit und allgemeingültige Wahrheit ihrer Aussagen festzustellen. Nicht zufällig wurden von den Kirchenvätern und von den mittelalterlichen Theologen nichtchristliche Philosophien für diese Erklärungsfunktion übernommen. Diese historische Tatsache weist auf den Wert der Autonomie hin, den die Philosophie auch in diesem dritten Standort bewahrt, zeigt aber zugleich die notwendigen und tiefgreifenden Veränderungen auf, die sie auf sich nehmen muß.
Ganz im Sinne eines unerläßlichen und vortrefflichen Beitrags wurde die Philosophie seit der Väterzeit ancilla theologiae genannt. Der Beiname wurde nicht verwendet, um eine sklavische Unterwerfung oder eine rein funktionale Rolle der Philosophie gegenüber der Theologie zu bezeichnen. Er wurde vielmehr in dem Sinne gebraucht, in dem Aristoteles von den Erfahrungswissenschaften als »Mägden« der »ersten Philosophie« sprach. Der Ausdruck, der heute wegen der oben angeführten Autonomieprinzipien schwer anwendbar ist, diente im Laufe der Geschichte dazu, auf die Notwendigkeit der Beziehung zwischen den beiden Wissenschaften und auf die Unmöglichkeit ihrer Trennung hinzuweisen.
Würde sich der Theologe weigern, von der Philosophie Gebrauch zu machen, liefe er Gefahr, ohne sein Wissen Philosophie zu treiben und sich in Denkstrukturen einzuschließen, die dem Glaubensverständnis wenig angemessen sind. Der Philosoph wiederum würde sich, wenn er jeden Kontakt mit der Theologie ausschlösse, verpflichtet fühlen, sich eigenständig der Inhalte des christlichen Glaubens zu bemächtigen, wie das bei einigen modernen Philosophen der Fall war. Im einen wie im anderen Fall würde sich die Gefahr der Zerstörung der Grundprinzipien der Autonomie ergeben, deren Garantie jede Wissenschaft mit Recht für sich fordert.
Der hier besprochene Status der Philosophie steht wegen der Implikationen, die er im Verständnis der Offenbarung mit sich bringt, zusammen mit der Theologie unmittelbarer unter der Autorität des Lehramtes und seiner Prüfung; dies habe ich vorher dargelegt. Denn aus der Glaubenswahrheit ergeben sich bestimmte Forderungen, welche die Philosophie in dem Augenblick respektieren muß, wo sie mit der Theologie in Verbindung tritt.
78. Im Lichte dieser Überlegungen wird es wohl verständlich, warum das Lehramt wiederholt die Verdienste des Denkens des hl. Thomas gelobt und ihn als führenden Lehrmeister und Vorbild für das Theologiestudium herausgestellt hat. Es war dem Lehramt weder daran gelegen, zu eigentlich philosophischen Fragen Stellung zu nehmen noch die Zustimmung zu besonderen Auffassungen aufzuerlegen. Die Absicht des Lehramtes war und ist es weiterhin zu zeigen, daß der hl. Thomas ein authentisches Vorbild für alle ist, die nach der Wahrheit suchen. Denn in seinem Denken haben der Anspruch der Vernunft und die Kraft des Glaubens zur höchsten Zusammenschau gefunden, zu der das Denken je gelangt ist. Er hat es verstanden, das radikal Neue, das die Offenbarung gebracht hat, zu verteidigen, ohne je den typischen Weg der Vernunft zu demütigen.
79. Mit einer weiteren ausführlichen Darlegung der Inhalte des bisherigen Lehramtes möchte ich in diesem letzten Teil einige Forderungen aufzeigen, die heute die Theologie und zuvor noch das Wort Gottes an das philosophische Denken und die modernen Philosophien stellt. Wie ich bereits hervorgehoben habe, muß der Philosoph nach eigenen Regeln vorgehen und sich auf seine eigenen Prinzipien stützen; die Wahrheit kann jedoch nur eine sein. Die Offenbarung mit ihren Inhalten wird niemals die Vernunft bei ihren Entdeckungen und in ihrer legitimen Autonomie unterdrücken können; umgekehrt wird jedoch die Vernunft in dem Bewußtsein, sich nicht zu absoluter und ausschließlicher Gültigkeit erheben zu können, nie ihre Fähigkeit verlieren dürfen, sich fragen zu lassen und zu fragen. Indem die geoffenbarte Wahrheit von dem Glanz her, der von dem subsistenten Sein selbst ausgeht, volle Erhellung über das Sein gewährt, wird sie den Weg der philosophischen Reflexion erleuchten. Die christliche Offenbarung wird somit zum eigentlichen Ansatz- und Vergleichspunkt zwischen philosophischem und theologischem Denken, die zueinander in einer Wechselbeziehung stehen. Daher ist es wünschenswert, daß sich Theologen und Philosophen von der einzigen Autorität der Wahrheit leiten lassen und eine Philosophie erarbeiten, die im Einklang mit dem Wort Gottes steht. Diese Philosophie wird der Boden für die Begegnung zwischen den Kulturen und dem christlichen Glauben sein, der Ort der Verständigung zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. Sie wird hilfreich sein, damit sich die Gläubigen aus nächster Nähe davon überzeugen, daß die Tiefe und Unverfälschtheit des Glaubens gefördert wird, wenn er sich mit dem Denken verbindet und nicht darauf verzichtet. Und wieder ist es die Lehre der Kirchenväter, die uns zu dieser Überzeugung führt: »Dasselbe glauben ist nichts anderes als zustimmend denken [...]. Jeder, der glaubt, denkt; wenn er glaubt, denkt er, und wenn er denkt, glaubt er [...]. Wenn der Glaube nicht gedacht wird, ist er nichts«.(95) Und an anderer Stelle heißt es: »Wenn einer die Zustimmung aufgibt, gibt er den Glauben auf, denn ohne Zustimmung glaubt man überhaupt nicht«.(96)