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Ernst gemeinter Scherz, den Franz Wuketits schon 1998 seinem Buch “Naturkatastrophe Mensch” beigibt (S. 194)
Die Frage, ob eine künftige Menschheit noch zu rechtfertigen ist (“Anthropodizee”), meldet sich in Bewegungen wie “birthstrike” oder “Anti-Natalismus” immer vernehmlicher zu Wort. Ist es Kindern zuzumuten, in eine Welt hineingeboren zu werden, die von Krisen geschüttelt wird, ja sogar vom Untergang bedroht ist? Oder umgekehrt: Ist der Planet noch zu retten, wenn am Nachwuchs unverändert festgehalten wird? Ist das religiöse Gebot “Seid fruchtbar und mehret Euch” noch zeitgemäß oder nicht vielmehr höchst gefährlich?
Der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume, der schon seit langem über Religion und Demografie gearbeitet und veröffentlicht hat (siehe unser Interview dazu), plädiert allen Bedenken zum Trotz für ein “Dennoch! Ja zum Leben sagen”.
Blumes Antwort speist sich zunächst aus dem Respekt vor religiösen Traditionen und deren Lebensbejahung und Wertschätzung jedes einzelnen menschlichen Lebens im Bilde Gottes. Aber auch als säkularer Staatsbeamter formuliert er im Anschluss an Karl Popper eine “liberale Anthropodizee”, ein “Ja zum Leben”, das aber an drei Bedingungen geknüpft sei:
1. Freiheit
Für (potenzielle) Eltern dürfe es keinen Zwang zur Entscheidung für oder gegen Kinder geben. Und Kinder, wenn sie denn geboren werden, hätten ein Recht darauf, gewollt und nicht erzwungen zu sein. Sollte eine Gesellschaft mehr Kinder wünschen, müsse sie Rahmenbedingungen verändern statt Fortpflanzungszwang auszuüben.
2. Bildung
Das könne auch bedeuten, weniger Kinder zu haben, ihnen dafür aber eine angemessene Bildungslaufbahn zu ermöglichen. Die Gesellschaft müsse dazu Möglichkeiten der Entfaltung bereit stellen: nicht nur kostenlose Schulen, sondern ganz konkret in der derzeitigen Situation des Lockdown funktionierende Internetverbindungen etc. Bildung sei immer auch eine gemeinschaftliche Aufgabe. Kein Mensch auf der Welt bilde sich alleine. Und wenn wir keine Gesellschaft hätten, die Menschen bildet, wenn wir die Familien damit alleine lassen, dann reiße die Schere auf, wie wir es z. B. in Teilen der USA sehen können, teilweise aber auch in unseren eigenen Städten.
3. Nachhaltigkeit
Wenn Erkenntnis und Entdeckung unsere Aufgabe sei, könne es nicht um Ausbeutung oder Zerstörung gehen. Späteren Generationen dürfe nicht die Möglichkeit genommen werden, selbst die Welt zu entdecken und über sie hinaus zu wachsen. Vielmehr seien wir verpflichtet, ein Wirtschaftssystem zu entwickeln, in dem nicht Überkonsum im Mittelpunkt stehe.
Von den großen Fragen wie CO2-Bepreisung und Verbrennungsmotoren bis hinunter zu Fragen der Ernährung seien wir aufgefordert, für Nachhaltigkeit zu sorgen. Im Blick auf das Gebot des Tierschutzes hat Blume große Zweifel, ob wir mit Massentierhaltung die Klimakrise bewältigen können.
Gebunden an diese Bedingungen gebe es durchaus ein Ja zum Leben, ein Dennoch zum Leben. Blume schließt:
Ich bin froh, dass ich drei Kinder habe und ich bin nicht bereit, eines von den dreien infrage zu stellen, weil jedes dieser Kinder zur Entdeckung, zur Erkenntnis dieser Welt beitragen kann auf seine eigene Weise: künstlerisch, wissenschaftlich, sportlich, beruflich, sozial, pflegerisch, wie auch immer.
Wichtiger Hinweis: Michael Blume hat seine Position und den Akademieabend in seinem Blog noch einmal zusammen gefasst. Es beginnt dort eine lebendige Diskussion – meine Empfehlung!