RSNG-Kongress 2009 – Evolutionsbiologie im Darwinjahr

Weder atheistisch noch theistisch

Als Darwinbiografin war die Tübinger Philosophin Eve-Marie Engels prädestiniert für den Eröffnungsvortrag. Engels konnte zeigen, dass die heutigen Konflikte um Darwinismus und Intelligent Design ihre Wurzeln bereits im 19. Jahrhundert haben und vieles von Darwin bereits vorweggenommen wurde. Unmissverständlich wies Engels dabei darauf hin, dass sich Darwin selbst – anders als manche seiner Rezipienten – weder atheistisch noch theistisch vereinnahmen lässt: „Darwin hat nicht den Anspruch erhoben, theologische oder metaphysische Fragen beantworten zu können und er hat nicht den Anspruch erhoben, die Nichtexistenz Gottes zu beweisen.“ Darwin kannte offenbar die erkenntnistheoretischen Grenzen seiner Wissenschaft sehr genau.

Grenzen der heutigen Evolutionstheorie

Um die Grenzen der heutigen Evolutionstheorie ging es dem Evolutionsforscher Michael Gudo. Als Vertreter der so genannten Frankfurter Evolutionstheorie wies er einen überzogenen Erklärungsanspruch der Selektionstheorie zurück. Mit dem Schlagwort „Evolution ohne Anpassung“ hob Gudo die Bedeutung der inneren Faktoren von Organismen bei der Gestaltung ihrer Lebensbereiche und Weiterentwicklung hervor. Damit werden auch vormenschliche Lebewesen als „intentionale Akteure (Mitspieler) bzw. Subjekte der Evolution“ verstanden. Das Interessante an dieser Ausprägung der Evolutionstheorie ist, dass sie durch ihre Betonung der ‚Autonomie’ der Organismen gut mit dem naturphilosophischen Programm Whiteheads korreliert werden, der allen Entitäten einen (analog) psychischen Pol zuerkennt.

Whiteheads Naturphilosophie

Der Frankfurter Theologe Bernhard Dörr hat in seiner Dissertation diese Verbindung von Frankfurter Evolutionstheorie und Whiteheads Naturphilosophie durchgeführt. Dem Innen-Außen-Modell der Materie, wie es von Christian Kummer ins Spiel gebracht wurde (siehe Bericht über den ‚Fall Darwin’), entspricht bei Whitehead der physische und mentale Pol einer jeden Entität. Eine solche Entität denkt Whitehead prozesshaft. Allein dieser Unterschied zum substanzontologischen Denken bewirkt eine größere Konvergenz zu evolutivem Denken, ob es sich an der Frankfurter Theorie festmacht oder nicht. Indem sich eine solche prozesshafte Entität auf unrealisierte Möglichkeiten ausrichtet, schafft sie sich jeden Moment selbst neu. Diese Ausrichtung gilt für alle Entitäten, vom kleinsten Baustein der Materie bis hin zur Person – freilich mit zunehmenden Freiheitsgraden. Wie aber wirkt Gott in diesem Whitehead’schen System? Gott wirkt hier nicht durch Intervention in die kausalen Wechselwirkungen, sondern indem er dem mentalen Pol der Entitäten adäquate Möglichkeiten präsentiert. In diesem Prozess zwingt Gottnichts und niemanden, er macht den Prozess allererst möglich, indem er jede Entität zur Realisierung ihrer Möglichkeiten verlockt. Was für die menschliche Freiheit gilt, kann man analog auf vormenschliche Entitäten und deren mentale Pole übertragen. Über Whitehead kann so sehr viel konkreter aufgezeigt werden, dass göttliche und innerweltliche Aktivitäten nicht in konkurrierendem, umgekehrtem Maße, sondern in gleichem Maße wachsen. Es bleibt spannend – soviel ist als Ausblick festzuhalten –, inwieweit man sich über diese Whitehead-Rezeption noch konkreter an das Sowohl-als-auch der innerweltlichen (und naturwissenschaftlich beschreibbaren) und göttlichen Aktivitäten wird annähern können. Eine Münchener Arbeitsgruppe stellte in ihrer Projektvorstellung bereits viel versprechende Weiterführungen in diese Richtung in Aussicht. Nicht weniger spannend wird es aber auch sein, wie sich eine solche auf Whitehead gestützte Synthese popularisieren und vermitteln lässt.

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