“Schöpfung bewahren” oder “Umweltschutz”?
Verschiedene Sprachen – ähnliche Werte: brachliegende Synergien für die moderne Umweltbildung
9. Oktober 2020, Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim
“Umweltschutz” oder “Schöpfung bewahren”? Je nach kultureller und institutioneller Prägung werden Handlungsmotivationen unterschiedlich sprachlich formuliert. Die Zielsetzungen sind oftmals die gleichen oder doch sehr ähnlich. Nicht selten erschweren aber unterschiedliche Codierungen das gemeinsame Handeln, obwohl die zugrundeliegenden Werte weitgehend übereinstimmen. Synergien werden so durch Unverständnis verpasst. Dabei wird zunehmend von allen Seiten die Dringlichkeit koordinierten Handelns zum Schutz der Umwelt/Schöpfung hervorgehoben.
Das Symposium beleuchtet das Phänomen der Codierung näher, durch das unterschiedliche »Welten« entstehen, oft allein durch Sprache und ihre Codes. Von den Codes hängt es mit ab, ob für ein Problem Lösungen gefunden werden können und die Zusammenarbeit von Kirche, Staat und Wissenschaft in Umweltfragen gelingt. Die Vorträge des Symposiums zeigen auf, dass durch De-Codierungen gemeinsame Grundlagen freigelegt werden, um gegenseitiges Verstehen und dadurch gemeinsames Handeln zu fördern. Damit eröffnen sich in der Umweltbildung neue Perspektiven.
Renn: Umwelt- und Klimastrategien - von Differenzen zu Synergien
Mieth: Wissen allein genügt nicht
Schlögl: Codierung stiftet "Welten"
Rentz: Brücke zur Praxis: "nachhaltig predigen"
Podium: Synergien für die Umweltbildung
Zusammenfassung der Vorträge
Ortwin Renn: Umwelt- und Klimastrategien – Von Differenzen zu Synergien
In Deutschland und in vielen anderen Ländern ist das Ziel einer klima- und umweltverträglichen Entwicklung vor allem im Energie- und Agrarbereich wenig umstritten. Wenn es aber um die Strategien geht, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, lassen sich große Differenzen ausmachen. Die einen vertrauen voll auf den Markt und erwarten vom Staat, dass er nur die Spielregeln des Wettbewerbs so angleicht, dass positive Marktanreize für die notwendige Transformation gegeben werden. Alles andere entwickele sich dann von selbst. Dagegen glauben andere, dass der Markt hier völlig versagt habe und es vor allem mehr ordnungsrechtliche Vorschriften und Gebote geben muss, damit dem Gemeinwohl besser gedient sei. Eine ähnliche Polarisierung liegt zwischen denen vor, die das Heil in neuer Technik sehen, und diejenigen, die grundlegende Verhaltensänderungen für unabdingbar ansehen. Auf diesen beiden Achsen Markt versus Staat und Technik versus Verhaltensänderungen lässt sich der Strategiediskurs am besten charakterisieren. Gibt es hier Synergien zwischen den polarisierenden Positionen und wie könnten diese aussehen? Der Vortrag zeichnet die heute vorfindbaren Positionen nach und gibt dann mögliche Szenarien wieder, wie man diese Positionen zumindest zum Teil zusammenführen kann.
Dietmar Mieth: Wissen allein genügt nicht
Im „Kompendium der Soziallehre der Kirche“ (2004, dt. Freiburg i.Br. 2006), wird Umwelt als zentrales Gut der Menschheit behandelt. Dazu kommt die Umweltenzyklika von Papst Franziskus „Laudato si“ (2016). Sie entfaltet u. a. religiöse Motive gegen das Gottspielen und für die Mysterien der Schöpfung. Sie spricht von ökologischer Schuld als einer Art (sozial) erblicher Orientierung. Zugleich spricht sie aber von einer weisen Weltorientierung. D. h., sie rechnet mit der Übereinkunft zwischen philosophischen und theologischen Erkenntnissen, wie sie im Mittelalter erzielt wurden. Heute wäre dies eine neue Weltbeziehung von Gläubigen mit allen nachdenklichen bzw. berührungsfähigen Menschen in der Form der Weisheit. Denn Weisheit ist auch eine allgemein philosophische Tugend. Sie fragt danach:
Wie können wir künftigen Generationen so viel Handlungsfähigkeit erhalten, dass sie mit den Umweltproblemen umgehen können? Wir hinterlassen sie ihnen, weil wir u. a. die Klimakatastrophe zwar verlangsamen, sie aber nicht mehr als Problem aufheben können. Die Jugend weiß: Unser Problem wird sie erben, aber wir sollen jetzt Verantwortung für das Erbe übernehmen, d. h. auf die Entsorgbarkeit unserer Handlungsfolgen achten. Wir wissen es, aber wir zögern unter der Last alter Optionen. Solche Optionen scheinen Probleme so lösen zu wollen, dass die Probleme, die aus der Problemlösung entstehen, größer sind als die Probleme, die gelöst werden. Gewiss: Folgen wurden schon immer abgewogen! Aber die Gewichtung ist ein Motivationsproblem. Die Jugendproteste machen darauf aufmerksam: Ändert die Prioritäten der Abwägung! Nehmt andere Gewichte!
Wir brauchen mehr als Wissen. Denn es kommt darauf an, wie das Zünglein an der Waage des Wissens eingestellt ist. Wir brauchen ein „Spüren des Spürens“, ein neues, kritisches und praktisch gelebtes Gefühl in unserer Weltbeziehung. Im Lateinischen heißt die Weisheit „sapientia“. „Sapientia“ kommt von „sapere“, „schmecken“. Es geht nicht darum, ob uns das Essen schmeckt. Wir benutzen den Ausdruck „schmecken“, um etwas Ähnliches zu sagen, das aber zugleich auch unähnlich ist. Wir schmecken auch innerlich. Unsere Sinne, das Schmecken, das Riechen, das Tasten, das Hören und Sehen werden von uns als Metaphern der Weisheit gebraucht. Nur lebendige Metaphern formen Gemeinschaften: „Friday for Future“.
„Fühlen“ oder „Spüren“ fasst alles zusammen, was von innen her ertastet wird. Wer aller Leben nicht existentiell als seinem Leben zugehörig fühlt, der wird sich nicht ändern. Es gibt Menschen, denen scheint das Spüren zu fehlen. Es ist auch so leicht alltäglich zu übergehen, schon beim Einkaufen. Die Gefühle für unsere Probleme sind nicht entwickelt. Deshalb werden ökologische Einstellungen nicht praktisch, d. h. für unser Selbstgefühl unumgänglich.
Etwas von innen her erfassen, erfühlen, erspüren – das ist die Weisheit, der die Mystik auf der Spur ist. Es geht um das Gespür für „Welt“, das von den Religionen im Wort „Schöpfung“ zum Ausdruck kommt. Religion im Erbe – aber mit einer neuen Erdfrömmigkeit und einem Gespür eine Entwicklung einer neuen technischen Praxis, die Leben nicht nur benutzt, sondern auch Überleben ermöglicht.
Rudolf Schlögl: In welchem Sinn braucht die Reaktion auf ökologische Problemlagen „kulturelle Integration“?

Rudolf Schlögl: Es ist sehr fraglich, ob eine Vereinheitlichung von sprachlichen Codierungen wünschbar wäre.
Der Beitrag befasst sich mit der Frage, welche Instrumente modernen Gesellschaften verfügbar sind, um sich auf die ökologischen Problemlagen einzustellen, die sie selbst hervorbringen. Dazu werden zwei neuere Sozialtheorien präsentiert: die Akteurs-Netzwerk-Theorie Bruno Latours und die Systemtheorie Niklas Luhmanns.
Bruno Latour identifiziert die Ursache ökologischer Probleme in einer sozialtheoretischen Tradition seit Thomas Hobbes, die von den natürlichen Grundlagen der modernen Gesellschaft absieht. Die Natur kommt in ihr demnach nicht vor. Diese Sozialtheorien liefern die epistemischen Grundlagen dafür, die Naturumwelt allein kapitalistischer Ausbeutung auszuliefern. Latour fordert eine Remoralisierung des Naturverhältnisses, die sich in einem politischen Prozess vollziehen soll, in dem die Natur eine eigene Stimme hat.
Niklas Luhmann beschreibt die moderne Gesellschaft und ihr Naturverhältnis differenz- und systemtheoretisch. Demnach kann die moderne Gesellschaft nur über, nicht mit der Natur kommunizieren. Die Natur ist für Gesellschaft als der Gesamtheit der füreinander erreichbaren Kommunikationen systemische Umwelt. Gesellschaft kann sich zur Natur auch nicht als Ganze verhalten, sondern muss ökologische Problemlagen entsprechend der Eigenlogik ihrer Differenzierung in große Funktionssysteme identifizieren und bearbeiten. Politik folgt dabei der Rationalität des Machterhalts, in Ökonomie müssen Gewinne gemacht werden usw. Organisationen können als Systemtyp identifiziert werden, in denen unterschiedliche Rationalitäten und Sprechweisen über die Natur miteinander in Verbindung gebracht und aufeinander bezogen werden können.
In den abschließenden eigenen Überlegungen wird der mögliche Ort von Moral diskutiert, auf die Rolle von Individuen in systemischen Reaktionen auf Umweltprobleme eingegangen, die Hoffnung auf normierte Sprachspiele problematisiert und für mehr Vertrauen in die formalisierte Kommunikation und Entscheidungsfähigkeit organisierter Sozialsysteme argumentiert, um unterschiedliche Rationalitäten im Naturverhältnis der modernen Gesellschaft zu integrieren.
Michael Rentz: Brücke zur Praxis: “nachhaltig predigen”

Michael Rentz: De-Codierung eröffnet neue Welten, neues Verständnis, neue Dialoge und neue Anschlussmöglichkeiten.
Das ökumenische Kooperationsprojekt „nachhaltig predigen“ ist seit 15 Jahren ein gelungenes Praxisbeispiel für den Nachhaltigkeitsdialog zwischen Kirche, Gesellschaft und Politik. Dabei ist es jedes Jahr eine bleibende Herausforderung, den Begriff der Nachhaltigkeit, der so in der Bibel nicht vorkommt, verständlich zu übersetzen, dass seine christlichen Wurzeln erkennbar werden. Trotz der „verschiedenen Sprachen“ gelingt es so, die zugrunde liegenden „ähnlichen Werte“ aufzudecken und kommunizierbar zu machen. Dabei rückt (neben dem Predigen) auch der Dialog nach innen in den Blick: Die Kirche nimmt sich keines „neuen“ Themas an, um im Trend zu sein, sondern interpretiert die Bibel, und damit ihre Wurzeln, im Geiste der aktuellen globalen Herausforderungen. Wie das im Einzelfall gelingt, ist Gegenstand des Vortrags.
Veranstalter
Symposium in Zusammenarbeit mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Hauptabteilung Kirche und Gesellschaft, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, dem ökumenischen Kooperationsprojekt »nachhaltig predigen«, der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg
Eine Buchpublikation der Tagung ist für 2021 vorgesehen.
Fotos © Beate Schnarr, Akademie der Diözese