RSNG-Kongress 2021 – Projekte

von grenzfragen

Unter dem Titel “Erfahrung und Transzendenz” ging es vom 1. bis 3. Oktober 2021 um die “Deutung von religiöser Erfahrung in Lebenswelt, Theologie und Naturwissenschaften” – so der Untertitel. Die Veranstaltung zielt neben der Entfaltung des thematischen Schwerpunkts auf die Vorstellung neuer interdisziplinärer Projekte, sowie auf die Vernetzung von (Nachwuchs-)Wissenschaftlern. Auch in diesem Jahr gab es zahlreiche Projektvorstellungen auf akademisch hohem Niveau. Wie üblich stellt die Auswahl zunächst Projekte vor, die dem Schwerpunkt “Erfahrung und Transzendenz” zuzuordnen sind, es folgen Projekte mit anderen interdisziplinären Fragestellungen.

Sarah Scotti: Nur eine Fehlfunktion des Gehirns? Zur neurowissenschaftlichen Erforschung religiöser Erfahrungen

    Sarah Scotti geht von der populären Annahme aus, dass neurowissenschaftliche Forschung Religion entschlüsselt und entzaubert habe. Religiöse Erfahrung sei nichts anderes als eine neuronal erzeugte Halluzination, eine Fehlfunktion des Gehirns. Scotti vertritt die These, dass die religionskritische Deutung der neurowissenschaftlichen Forschung durch ein reduktiv-naturalistisches Verständnis von Wirklichkeit bedingt ist. Erst wenn diese Hintergundannahme expliziert werde, könne diese Form der Religionskritik angemessen verstanden werden. In einem abschließenden Teil thematisiert Scotti, wo eine theologische Auseinandersetzung mit dieser Form der Religionskritik ansetzen kann.

    Nadiia Klymchuk: Das Göttliche in der Lebenswelt. Die Rolle der religiösen Erfahrung im non-dualen Śivaismus von Kaschmir

      In ihrem Studium von Philosophie und Indologie hat sich Nadiia Klymchuk auf indische Philosophie, speziell den Shivaismus ausgerichtet. Der Begriff der Erfahrung werde in den religionsphilosophischen Denksysteme Indiens nicht selten als der Hauptgegenstand verstanden und habe meistens mit dem Erleben des Göttlichen zu tun. Dieses soll zur Erleuchtung und zugleich zum Ausstieg aus dem Kreis der Wiedergeburten führen. Die Ausrichtung der Erfahrung stoße dabei auf eine große Ambivalenz stößt. Die einen orientierten sich dabei an Erfahrungen der Außenwelt, die anderen lehnten das Erleben in der phänomenalen Welt komplett ab, da die göttliche Wirklichkeit nur im Inneren des Menschen zu finden sei.

      Hakan Turan: Einblicke in den islamischen „Science & Religion“-Diskurs

        Hakan Turan führt in Geschichte und vor allem Gegenwart der Naturwissenschaft-Religion-Debatte ein. Er führt unterschiedliche Ansätze aus, die vom Konflikt über Unabhängigkeit zur Integration führen. So sind beispielsweise bei der Kalām-Theologie “die Naturgesetze Schöpfungsgewohnheiten Allahs. Sie operieren als Creatio Continua”. Turan schließt mit seinem eigenen Forschungsbeispiel, der Suche nach einer „islamischen Theologie“ der Quantenfeldtheorie.

        Dr. Andreas Losch: Der gestirnte Himmel über uns – Perspektiven auf das Verhältnis von Theologie, Naturwissenschaften und Ethik

          Losch: Der gestirnte Himmel über uns – zum Verhältnis von Theologie, Naturwissenschaften und Ethik

          Andreas Losch stellt in einem ersten Teil unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften vor. Ein zweiter Teil ist eine Auseinandersetzung mit Astrobiologie und Weltraumforschung und wirft u. a. die Frage auf, wie theologisch auf eine Entdeckung außerirdischen Lebens reagiert werden kann. Die Ethik einer planetaren Nachhaltigkeit will “Himmel und Erde bewahren” helfen. Loschs Beziehungsverständnis ist auch eine Anfrage an das im deutschsprachigen Raum vorherrschende statische Unabhängigkeitsmodell des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaften. Losch empfiehlt dagegen ein zyklisches Voranschreiten im wiederholten Durchlaufen der Stadien Konflikt, Unabhängigkeit, Dialog und Integration.

          Dr. Daniel Saudek: Zeit: real, aber nur lokal – Zeitpfeil in Relativitätstheorie und Kosmologie, mit Bezügen zur philosophischen Theologie

            Daniel Saudek stellt sich physikalischen Zeitparadoxa, die sich daraus ergeben, dass es kosmisch gesehen eine Gleichzeitigkeit nicht gibt, der Zeitpfeil daher oft als Illusion angesehen wird. Saudek diskutiert zwei Lösungsansätze des Paradoxons (kosmische A-Theorie, Blockuniversum), favorisiert aber einen dritten, bislang weniger bekannten Ansatz, nach dem Zeit durchaus als real angesehen wird, aber nur in lokalem Kontext: Wenn die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur lokale Berechtigung hat, hier aber durchaus real ist, lasse sich das Dilemma auf einfach Art lösen. Eine solche Lösung habe dann auch Konsequenzen für eine philosophische Theologie, die beispielsweise nach der Vereinbarkeit von göttlichem Vorherwissen und menschlicher Freiheit fragt.

            Dr. Lorns-Olaf Stahlberg: Weltfremd im Diesseits verankert? Klimawandel und die Interpretationsbedürftigkeit naturwissenschaftlicher Theorien

              Neben Theorien und empirischen Beobachtungen spielen in der Wissenschaft mitunter auch Narrative eine Rolle, die den Interpretationsspielraum wissenschaftlicher Befunde beeinflussen und gegebenenfalls eingrenzen können. Im Zusammenhang mit der angewandten Forschung zur Corona-Pandemie und zur Klimakrise kann dieser Zusammenhang zu Verkürzungen von politischen Schlussfolgerungen führen. Stahlberg will zum einen das Verhältnis von wissenschaftlicher Prognose und Zukunfts-Narrativ beleuchten, zum anderen danach fragen, inwieweit ein selbstgewähltes Ausblenden des „Transzendierens ins Diesseits“ (Bloch zugesprochen) und utopischer Perspektiven gesellschaftlichen Bewegungen wie bspw. „Fridays for Future“ schaden könnte.

              Prof. Dr. Patrick Becker: Untersuchung von Selbst- und Fremdwahrnehmungen sowie Approximationsstrategien in ökumenischen Diskursen anhand von Worteinbettungen

                Patrick Becker greift das Schlagwort “digital humanities” auf und möchte es auch für die Theologie fruchtbar machen. Es gehe um die digitale Verarbeitung großer Textmengen (hier Werke zur Ökumene), bei denen die bisherige analoge Arbeit versagt hätte. Die Textmengen werden dann mit künstlicher Intelligenz auf Muster hin untersucht. Forschungsfragen wären z. B.: Wann wurde welcher Begriff benutzt? Hat da eine Denomination der anderen etwas übergestülpt oder ist das wirklich miteinander entstanden? Wie wird es rezipiert? Wenn z. B. Dialogtexte bestimmte Formeln kennen, die sich in kirchlichen Verlautbarungen der eine Denomination wiederfinden, in den anderen aber gar nicht, könne man Einseitigkeiten lokalisieren. Eine spannende Hintergrundfrage dabei: Was passiert mit der Kultur einer Disziplin, wenn sich eine bisher weitgehend analoge Wissenschaft wie die Theologie digitalisiert und künstliche Intelligenz einsetzt?

                Dr. Tobias Hoppe: LehrerInnen über Einstellungen von SchülerInnen zu Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube

                  Der Biologiedidaktiker Tobias Hoppe stellt ein Projekt vor, das zusammen mit Religionspädagogen und pädagogischen Psychologen durchgeführt wird. Es fragt danach, wie Lehrkräfte über Einstellungen von Lernenden zu Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie urteilen. Ausgangspunkt sind Äußerungen von SchülerInnen, die dann einem diagnostischen Urteil durch LehrerInnen unterzogen werden. Wie diese diagnostischen Urteile bei LehrerInnen zustande kommen, steht im Zentrum dieser Untersuchung. Um zu diagnostischen Urteilen zu gelangen, werden dabei im Wesentlichen zwei diagnostische Prozesse unterschieden: Wahrnehmen und Interpretieren. Beide Prozesse würden u. a. von Eigenschaften der diagnostizierenden Lehrkraft beeinflusst. Vor diesem Hintergrund wurden Forschungsfragen entwickelt wie: “Welche Hinweisreize (Schüleräußerungen) werden von Biologie- und Religionslehrer*innen wahrgenommen und in Hinblick auf ein diagnostisches Urteil verarbeitet?” und “Inwiefern spielen Personenmerkmale (a) Biologie- bzw. Religionslehrer*innensein; (b) eigene Einstellungen, Wissen etc. dabei eine Rolle?” usw. Die Haupterhebung findet im Wintersemester 2021/2022 statt. Auf Basis der Ergebnisse soll ein Treatment zur Förderung diagnostischer Fertigkeiten bei angehenden Lehrkräften entwickelt werden.

                  Weitere Beiträge folgen …

                  Beiträge der Tagung (inkl. Link zu den Projektvorstellungen)

                  Unter dem Titel "Erfahrung und Transzendenz" ging es vom 1. bis 3. Oktober 2021 um die "Deutung von religiöser Erfahrung in Lebenswelt, Theologie und Naturwissenschaften" - so der Untertitel. Die Dokumentation des Kongresses im Rahmen des "Religion and Science Network Germany" (RSNG) enthält die Hauptvorträge und die Projektvorstellungen.

                  Mutschler möchte zunächst einmal die Diskontinuität zwischen Spiritualität und Wissenschaft deutlich herausarbeiten. So stehe eine naturwissenschaftliche Weltbeschreibung für eine objektivierende Beobachterperspektive. Ganz anders die Kontemplation, die eher für die subjektive Betroffenheitsperspektive stehe. Der Wunsch nach Vereinbarkeit finde nicht immer eine glatte Lösung. Gerade der gläubige Mensch zeichne sich dadurch aus, Unvereinbares einfach stehen lassen und erdulden zu können.

                  Das Thema der Nahtoderfahrung stellt nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern auch für die Theologie eine Herausforderung dar. Prof. Dr. Enno Edzard Popkes griff diese Spannung in seinem Vortrag „Nahtoderfahrung und ihre Bedeutung für die Theologie“ auf und zeigte die Beziehungen zwischen den nachösterlichen Berichten über den auferstandenen Jesus und Nahtoderfahrungen.

                  Auch in diesem Jahr gab es zahlreiche Projektvorstellungen auf akademisch hohem Niveau. Wie üblich stellt die Auswahl zunächst Projekte vor, die dem Schwerpunkt “Erfahrung und Transzendenz” zuzuordnen sind, es folgen Projekte mit anderen interdisziplinären Fragestellungen.