25.-27. September 2009, Tagungszentrum Hohenheim
Diesjähriges Schwerpunktthema:
Evolutionsbiologie im Darwinjahr
Rückblick und Ausblick
Referate von: Dr. Bernhard Dörr, Prof. Dr. Eve-Marie Engels, Dr. Michael Gudo, Dr. Peter Hess, Prof. Dr. Hans Dieter Mutschler, Dr. Heinz-Hermann Peitz, Matthias Roser, Dr. Eugenie Scott

Michael Gudo stellt auf dem RSNG-Kongress 2009 die Frankfurter Evolutionstheorie zur Diskussion. Im weiteren Verlauf der Tagung bietet sie ideale Anknüpfungspunkte für eine prozesstheologische Deutung durch Bernhard Dörr.
Projektvorstellungen von: Prof. Dr. Carsten Bresch, Prof. Dr. Ludwig Ebersberger, Dr. Helmut Etzold, Ludwig Jawskolla, Prof. Dr. Christian Kummer, Andreas Losch, Dr. Tobias Müller, Dr. Rudolf Matzka, Prof. Dr. Hans Dieter Mutschler, Dr. Frank Vogelsang, Dr. Gerd Weckwerth, Prof. Dr. Kurt Wuchterl
Auszüge aus den Hauptbeiträgen
Weder atheistisch noch theistisch
Als Darwinbiografin war die Tübinger Philosophin Eve-Marie Engels prädestiniert für den Eröffnungsvortrag. Engels konnte zeigen, dass die heutigen Konflikte um Darwinismus und Intelligent Design ihre Wurzeln bereits im 19. Jahrhundert haben und vieles von Darwin bereits vorweggenommen wurde. Unmissverständlich wies Engels dabei darauf hin, dass sich Darwin selbst – anders als manche seiner Rezipienten – weder atheistisch noch theistisch vereinnahmen lässt: „Darwin hat nicht den Anspruch erhoben, theologische oder metaphysische Fragen beantworten zu können und er hat nicht den Anspruch erhoben, die Nichtexistenz Gottes zu beweisen.“ Darwin kannte offenbar die erkenntnistheoretischen Grenzen seiner Wissenschaft sehr genau.
„Wir können verstehen, dass Ereignisse nicht durch isolierte Eingriffe einer göttlichen Macht verursacht werden, in jedem Einzelfall angewandt, sondern durch die Einrichtung allgemeiner Gesetze.“ W. Whewell als Motto in Darwins Werk „Über den Ursprung der Arten“
Grenzen der heutigen Evolutionstheorie
Um die Grenzen der heutigen Evolutionstheorie ging es dem Evolutionsforscher Michael Gudo. Als Vertreter der so genannten Frankfurter Evolutionstheorie wies er einen überzogenen Erklärungsanspruch der Selektionstheorie zurück. Mit dem Schlagwort „Evolution ohne Anpassung“ hob Gudo die Bedeutung der inneren Faktoren von Organismen bei der Gestaltung ihrer Lebensbereiche und Weiterentwicklung hervor. Damit werden auch vormenschliche Lebewesen als „intentionale Akteure (Mitspieler) bzw. Subjekte der Evolution“ verstanden. Das Interessante an dieser Ausprägung der Evolutionstheorie ist, dass sie durch ihre Betonung der ‚Autonomie’ der Organismen gut mit dem naturphilosophischen Programm Whiteheads korreliert werden, der allen Entitäten einen (analog) psychischen Pol zuerkennt.
Whiteheads Naturphilosophie
Der Frankfurter Theologe Bernhard Dörr hat in seiner Dissertation diese Verbindung von Frankfurter Evolutionstheorie und Whiteheads Naturphilosophie durchgeführt. Dem Innen-Außen-Modell der Materie, wie es von Christian Kummer ins Spiel gebracht wurde (siehe Bericht über den ‚Fall Darwin’), entspricht bei Whitehead der physische und mentale Pol einer jeden Entität. Eine solche Entität denkt Whitehead prozesshaft. Allein dieser Unterschied zum substanzontologischen Denken bewirkt eine größere Konvergenz zu evolutivem Denken, ob es sich an der Frankfurter Theorie festmacht oder nicht. Indem sich eine solche prozesshafte Entität auf unrealisierte Möglichkeiten ausrichtet, schafft sie sich jeden Moment selbst neu. Diese Ausrichtung gilt für alle Entitäten, vom kleinsten Baustein der Materie bis hin zur Person – freilich mit zunehmenden Freiheitsgraden. Wie aber wirkt Gott in diesem Whitehead’schen System? Gott wirkt hier nicht durch Intervention in die kausalen Wechselwirkungen, sondern indem er dem mentalen Pol der Entitäten adäquate Möglichkeiten präsentiert. In diesem Prozess zwingt Gott nichts und niemanden, er macht den Prozess allererst möglich, indem er jede Entität zur Realisierung ihrer Möglichkeiten verlockt. Was für die menschliche Freiheit gilt, kann man analog auf vormenschliche Entitäten und deren mentale Pole übertragen. Über Whitehead kann so sehr viel konkreter aufgezeigt werden, dass göttliche und innerweltliche Aktivitäten nicht in konkurrierendem, umgekehrtem Maße, sondern in gleichem Maße wachsen. Es bleibt spannend – soviel ist als Ausblick festzuhalten –, inwieweit man sich über diese Whitehead-Rezeption noch konkreter an das Sowohl-als-auch der innerweltlichen (und naturwissenschaftlich beschreibbaren) und göttlichen Aktivitäten wird annähern können. Eine Münchener Arbeitsgruppe stellte in ihrer Projektvorstellung bereits viel versprechende Weiterführungen in diese Richtung in Aussicht. Nicht weniger spannend wird es aber auch sein, wie sich eine solche auf Whitehead gestützte Synthese popularisieren und vermitteln lässt.
„Der Theismus scheint also dem Materialismus klar überlegen. Das gilt aber nur, solange man nicht den Preis der Evolution berücksichtigt, nämlich die vielen Wesen, die jämmerlich zugrunde gehen. Es gibt also ein Theodizeeproblem auf dem Niveau der Natur. Dieses ist, wie beim Menschen, theoretisch unlösbar, fordert vielmehr eine existenzielle Entscheidung.“ Hans-Dieter Mutschler
RSNG 2009 – Auswahl an Beiträgen
Laut Darwin-Biografin Eve-Marie Engels gründen die heutigen Konflikte um Darwinismus und Intelligent Design im 19. Jhdt. Dabei lässt sich Darwin weder atheistisch noch theistisch vereinnahmen.
Laut Michael Gudo erhebt die Frankfurter Evolutionstheorie einen makroevolutiven Erklärungsanspruch mit dem Schlagwort "Evolution ohne Anpassung": Organismen erschließen und gestalten ihre Lebensbereiche selbst nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit ihrer Körperkonstruktion.
Unter ‚Geschichtlichkeit der Natur‘ sollte man laut Hans-Dieter Mutschler Prozesse verstehen, die kontingent sind und Neues, d. h. Emergentes produzieren.
Nach Matthias Roser gibt es drei Versuche von Seiten des deutschsprachigen Kreationismus, eine so genannte Schöpfungswissenschaft argumentativ zu begründen.
Ein allen Wirklichkeitszugängen gerecht werdendes Grundverständnis der Wirklichkeit als ganzer bietet eine trinitarisch-theologisch fundierte Kosmologie, die in der Form einer trinitarischen Prozess-Kosmologie im Rückgriff auf Whitehead ausgearbeitet werden kann.