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2004
112
Rezension von Michael Blume
Mit Bezug vor allem auf empirische Erkenntnisse der Demografie hatte ich … über die deutsch-europäische Theologie geklagt. Als ich jedoch vor wenigen Tagen bei der Akademie Hohenheim der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit einem Vortrag zu Christentum und Islam einsprang, wurde mir angeboten, ein Buch aus deren Schriftenreihe auswählen zu dürfen.
Und so wählte ich einen kleinen Band, in dem sich Naturwissenschaftler und Theologen mit Kosmologie und der Frage nach außerirdischem Leben auseinandersetzten – und erlebte eine profunde Überraschung!
Denn das Bändchen, das für gerade einmal 2,5 Euro hier bestellt werden kann, hat es in sich!
Nach einer Einführung durch Dr. Heinz-Hermann Peitz, der als diskreter Moderator des Forum Grenzfragen zu den heimlichen Motoren des Dialoges zwischen Naturwissenschaften und Theologie(n) in Deutschland gehört, thematisiert der Astrophysiker Prof. Ronald Weinberger “Sind wir allein im Universum?”, bezogen dabei nicht auf transzendentes, sondern biologisch-evolviertes Leben auf anderen Planeten. Die sorgfältig begründete Antwort, auch in einer katholischen Akademie, lautet: mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht.
Herzstück des Bandes ist der Vortrag der Philosophin (+ studierten Physikerin & Religionswissenschaftlerin) Prof. Regine Kather zu:
Wussten Sie, dass lange vor Nikolaus Kopernikus, Giordano Bruno, Galileo Galilei und Albert Einstein mit Nikolaus von Kues ein anerkannter Theologe das Undenkbare dachte und schrieb: nämlich nicht nur das geozentrische Weltbild hinter sich ließ, sondern sogar behauptete, dass auch die Sonne nur ein Himmelskörper in einem unendlichen Universum ohne fixen Mittelpunkt darstelle? Und vermutete, dass es auf anderen Welten ebenfalls Leben geben könnte?
“Es ist uns bereits klar geworden, daß sich die Erde wirklich bewegt, auch wenn es uns nicht so erscheint. Denn wir begreifen die Bewegung nur durch einen Vergleich mit etwas Feststehendem. Wie sollte jemand, der sich auf einem Schiff in der Mitte des Gewässers befindet, der das Ufer nicht sieht und nicht weiß, daß das Wasser fließt, begreifen, daß er sich bewegt? Da es jedem, ob auf der Erde, der Sonne oder einem anderen Stern, stets vorkommt, als wäre er im unbeweglichen Mittelpunkt und alles andere würde sich bewegen, so wird er sich deshalb, wenn er sich auf der Sonne, der Erde, dem Mond, dem Mars usw. befindet, stets neue Pole bilden. Darum verhält sich der Weltbau so, als hätte er überall seinen Mittelpunkt und nirgends seinen Umkreis, da sein Umkreis und sein Mittelpunkt Gott ist, der überall und nirgends ist.” (Nikolaus von Kues)
Und dass Giordano Bruno nicht nur fest von der Existenz außerirdischen Lebens ausging, sondern es auch mit eigener, auf Gott orientierter Religion ausgestattet sah?
“Wir brauchen die Gottheit nicht in der Ferne zu suchen; denn sie ist uns nahe und sogar tiefer in uns als wir selbst. Ebensowenig dürfen die Bewohner der anderen Welten die Gottheit bei uns suchen; denn auch sie haben sie bei sich und in sich.” (Giordano Bruno)
Ob theologisch oder kosmologisch orientiert, ob von der Naturwissenschaft oder dem Glauben her suchend: der (auch bebilderte) Vortrag von Prof. Kather ist ein historisches Highlight und ein anregender Genuss!
Mit Prof. Linus Hauser schließt ein katholischer Theologe den Band unter dem Titel “Außerirdisches Leben: Eine Herausforderung für die Theologie?” würdig ab. Neben den lesenswerten, inhaltlichen Aussagen, die evangelikale Fundamentalisten nicht erfreuen werden, sind auch die Reflektionen über das Warum des UFO-Glaubens in der modernen Zeit anregend.
Dieses Büchlein hat mich in seinen Bann geschlagen. Bislang hatte ich eher zu der Auffassung tendiert, dass sich Theologen zu oft über die Zahl der Engel auf einem Stecknadelkopf gestritten hätten. Dieser kleine Ausflug in “Astrotheologie” hat mir jedoch gezeigt, dass die Diskussion interstellarer Fragen auch immer eine Möglichkeit ist, zu den Dingen und Positionen eine neue Perspektive einzunehmen und historische sowie naturwissenschaftliche Erkenntnisse überraschend neu zu verknüpfen und entdecken. Wer z.B. über außerirdisches Leben und mögliche Religionen ernsthaft sinniert, dem wird die lächerliche Intoleranz mancher Zeitgenossen, die sich für allwissende Zentren des Universums halten, noch ein Stück bewusster. Gleichzeitig wächst der Respekt vor jenen, die sich bereits vor Jahrhunderten das Denken nicht verbieten ließen.
Denn selbst wenn wir (was ich nicht glaube) das einzige Leben im Universum wären: im Umstand der unfassbaren Größe und Majestät des Universums liegt eine tiefe Weisheit verborgen, der nachzusinnen sich lohnt.
Danke, Hohenheim, dem Forum Grenzfragen und der katholischen Theologie für dieses wunderbare Büchlein!
blume-religionswissenschaft – 26. Sep, 04:33
Reaktionen auf die Rezension
ingo_34 – 27. Sep, 09:37
Schöner Beitrag!!!
Ein schöner, wichtiger Satz des Giordano Bruno, der da zitiert wird, und der (wieder einmal) zeigt, daß Atheisten kein Recht haben, Giordano Bruno als ihnen zugehörig zu deklarieren.
– – – Noch eine kleine Anmerkung, Michael. Du schreibst: “… dass die Diskussion interstellarer Fragen auch immer eine Möglichkeit ist …” – Ich frage: AUCH???? Wie kann man noch etwas anderes als Ausgangspunkt für sein Weltbild nehmen, als die Diskussion interstellarer Fragen? (Schon Giordano Bruno hat ja diese Frage gestellt.)
Und übrigens empfehle ich ja immer wieder die beiden Bücher (zu dieser Thematik)
1. “Inevitable Humans in a LONELY Universe” (von Simon Conway Morris)
2. “Einsame Erde” (von Peter Ward)
(Nur um zu betonen, daß es zu der These von der Existenz außerirdischen Lebens auch wichtige Gegenpositionen gibt. Auch der deutsche Paläontologe Heinrich K. Erben wäre zu nennen.)
Damit soll gesagt sein: Vom wissenschaftlichen Standpunkt ist die Frage noch längst nicht geklärt, ob es genau wir Menschen hier auf dieser Erde sind – und “niemand” anderer -, die Sinn und Ziel dieses Weltalls waren. Wahrscheinlich spricht derzeit sogar wesentlich mehr dafür als dagegen.
Aber wenn man – vom Komplexitätsgrad her gesehen – im “Zentrum” des Universums steht, kann sich daraus zunächst eigentlich nur eine große Haltung großer Demut und des Verantwortungsbewußtseins (Hans Jonas) ableiten. Erst wenn man das GEFÜHL hätte, man würde dieser Stellung auch gerecht werden, könnte man allmählich auf diese Stellung auch Stolz sein.
Also müßte man ungefähr so argumentieren und denken wie ein Herrscher in einer Erbmonarchie: Vielleicht BIN ich tatsächlich der Staat (“l’etat c’est moi”) (also der Sinn des Universums) – aber werde ich dem wirklich gerecht, WENN es so wäre? Bzw.: Was würde das für mein Selbst- und Weltbild eigentlich bedeuten? Etwa Selbstgerechtigkeit? Das wäre doch absurd.
blume-religionswissenschaft – 27. Sep, 10:47
Ein schöner Beitrag…
…war das aber auch von Dir!
Danke! Ja, zumal ich im Vortrag morgen zum ersten Mal eine astrobiologische “Prognose” als Diskussionseinstieg einbiete, denke ich ernsthaft darüber nach, diesen wissenschaftlichen und philosophischen Zweig noch stärker zu beackern.
Das Büchlein von Peitz war einfach ein Hammer, ein Augenöffner!
Dir alles Liebe, bis bald!
Michael