Das dritte Philosophiefestival in den Allgäuer Alpen diskutierte vom 22.06. bis 26.06.2022 “Chancen und Herausforderungen” der Künstlichen Intelligenz (KI). Acht Referent:innen luden zu sieben Tagungsorten ein “im Tal und auf der Höh'”. Es zeigte sich wieder einmal, dass ein landschaftlich beeindruckendes Panorama nicht in Konkurrenz zu intensivem Diskurs steht, ganz im Gegenteil. Das Video dokumentiert eine Auswahl der vielfältigen Beiträge.
KI aus Sicht der Philosophie - Drittes Philosophiefestival in den Allgäuer Alpen
Zusammenfassung der Beiträge

Nach der Auftaktveranstaltung am Vorabend, machte Sebastian Rosengrün (CODE University, Berlin) mit “Erst kommt die KI, dann kommt die Moral” am 23.06. den thematischen Anfang auf dem Gipfel des sonnigen Fellhorn. Es war ein Hauptanliegen des Referenten, “Lust auf KI” zu machen und unbegründete Ängste zu nehmen. Schließlich sei KI kaum mehr als Mathematik. Andererseits sei Technik aber auch nicht nur ein schlichtes Werkzeug, sondern verändere Handlungsspielräume und Weltwahrnehmung. Am doppeldeutigen Computer”power” wurde darüber hinaus deutlich, dass es nicht nur um die steigende Leistungsfähigkeit der KI, sondern auch um Machtstrukturen geht, die Gesellschaft und menschliches Selbstverständnis herausfordern.
Der Vortrag packt eine philosophische Vesper für Ihre Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen naiver Fortschrittseuphorie und neurotischer Technikfeindlichkeit – in voller Zuversicht darauf, dass die Moral nicht erst dann kommt, wenn schon alles aufgegessen ist.
(Rosengrün im Einladungsflyer)

Zurück in Oberstdorf lieferte eine bedrohliche Wetterkulisse am Abend den atmosphärischen Rahmen für die Nachfrage, wie es sich anfühlt, sich zunehmend im Spiegel unserer eigenen Technik und KI zu begegnen – für viele nicht weniger bedrohlich. Mit dem Vortrag “Menschen im Zeitalter der KI” stellte Uwe Voigt ein gängiges Narrativ auf den Kopf. So gehe man üblicherweise davon aus, dass sich das Zeitalter des Menschen dem Ende zuneige und das Zeitalter der KI Fahrt aufnehme. Voigt indes spielte mit der These: Das Zeitalter der KI (in einem bestimmten Sinn) gehe zu Ende, während das Zeitalter des Menschen (Anthropozän) Raum gewinne. Dabei sei es die Chance des Menschen, durch das Entwickeln neuer symbolischer Formen und kultureller Verankerungen selbst zu einer Allgemeinen Starken Künstlichen Intelligenz zu werden, die sinnvollen Gebrauch von der Schwachen KI im Anthropozän machen kann. Diese symbolischen Formen sollten die digitalisierte Schwache KI an das menschliche Bewusstsein anbinden. Derzeit könne man jedoch die Gefahr beobachten, dass statt einer solchen Anbindung eher eine Loslösung und Verselbständigung der Schwachen KI stattfindet.
Digitalisierte Schwache Künstliche Intelligenz ist nur noch über Expertendiskurse und – allerdings maskiert – über ihre technische Nutzung an das menschliche Bewusstsein angebunden.
(Uwe Voigt)


Auf dem Walmendinger Horn stellte am 24.06. Uwe Meixner die “Gestalt des menschlichen Geistes” aus phänomenologischer Perspektive dar. Wenn man sich die menschliche Intentionalität, begriffliches Denken und reflexive Subjektivität vor Augen führe, werde klar, wie weit KI (noch) davon entfernt sei. Grundsätzlich ausschließen wollte Meixner indes nicht, dass bei einer gewissen Komplexität auch in künstlichen Strukturen quasi automatisch etwas Geistiges entstehen könnte. Schließlich sei auch im Rahmen der natürlichen Evolution aus Komplexitätssteigerung Geistiges emergiert.

Obgleich nicht emergentistisch argumentierend konnte Alena Bischoff thematisch an Meixner anknüpfen, als sie in dem Vortrag “Geist in der Maschine vs. geistbegabte Maschine” das Konzept des Panpsychismus vorstellte. Demnach gebe es in der Materie von Anfang an protomentale Eigenschaften. Das könne es möglicherweise plausibler machen, wie die Materie kontinuierlich zum Mentalen gelangen konnte (Evolution) und kann (über KI). Eine starke Emergenz, die hier bekanntlich in Erklärungsnot gerate (ex nihilo nihil fit – aus nichts entsteht nichts), sei damit vermieden. Allerdings bleibe auch ein panpsychistischer Ansatz spekulativ. Sollte es tatsächlich zu selbstbewusstem Geist in der Maschine kommen, gebe es auch theologische Herausforderungen: Wäre eine starke KI auch von Jesus Christus erlöst? Und: Gäbe es zwischen der Freiheit bzw. Würde einer Maschine und ihrer Zweckbestimmung nicht ein Dilemma?

Moralische Überlegungen spielten auch am nächsten Tag im Walserhaus bei Klaus Arntz‘ Überlegungen zur Digitalisierung in der Medizin eine Rolle. Mit dem Wortspiel “An APPLE a day keeps the doctor away” machte Arntz zunächst auf die großen Chancen der Digitalisierung und Datenerhebung in der Medizin aufmerksam. Zusammen mit den Daten werde KI eine zentrale Rolle bei Diagnose, Therapie und der Unterstützung der Patient:innen spielen. Am Beispiel der Diabetes könne der Fortschritt der Digitalisierung die derzeitige Unterversorgung signifikant ausgleichen, Diabetes sei geradezu eine “Datenmanagementerkrankung”. Die Digitalisierung ist für Arntz auch eine Chance gegen ärztlichen Paternalismus und für ein “shared decision making”. Das gleiche Beispiel der Diabetes zeige aber auch, wie nahe der Missbrauch dieser sensiblen Daten liegt und die Gefahr, dass viele die Herrschaft über ihre Daten irreversibel aus der Hand gäben. Mit einem kleinen Augenzwinkern warnte Arntz die jüngeren Teilnehmenden davor, dass sie als “digital natives” nur allzu leicht zu “digital naives” werden könnten.
Was in der mosaischen Zeit für den gläubigen Juden das portable Heiligtum darstellt, gilt heute – mit Blick auf dessen quasi religiöse Relevanz – für das Handy.
(Arntz in: Heichele (Hg.), Mensch – Natur – Technik, Münster 2020, 131-153, 131)


Einer der Höhepunkte war am 26.06. die Verleihung des dritten “Meckatzer-Philosophie-Preises” an den KI-Experten Klaus Mainzer. Mit “Quo vadis KI?“, dem Festvortrag im Oberstdorfhaus, plädierte Mainzer für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Künstliche Intelligenz. Die ausdrückliche Betonung der Verbindung von Künstlicher Intelligenz und Nachhaltigkeit fügte dem Philosophiefestival ein bisher fehlendes, aber eminent wichtiges, Mosaiksteinchen hinzu.
Digitalisierung durch nachhaltige Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Kreislaufwirtschaft durch Digitalisierung
(Mainzer, in: Heichele (Hg.), Mensch – Natur – Technik, Münster 2020, 155-168, 166)
Es gelte dabei nicht nur, mit der KI die Bewältigung des Klimawandels algorithmisch zu unterstützen, sondern zunächst einmal die Digitalisierung selbst klimafreundlicher zu gestalten, indem die Energieintensität der verwendeten Hardware durch neue technische Lösungen drastisch reduziert werde. “Quantencomputer” und “Quanteninternet” sind in diesem Zusammenhang einschlägige Schlagworte, die gleichzeitig für eine schnellere und intensivere Vernetzung stehen. Analog zur Schwarmintelligenz, wie man sie aus dem Tierreich bereits kenne, bilde sich dabei ein überindividuelles, gigantisches Datennetzwerk heraus – mit allen bekannten Chancen und Gefahren. Zum einen gelte es, über eine solche (theoretisch mögliche) “Superintelligenz” die Kontrolle nicht zu verlieren, zum anderen gehe es schon jetzt darum, gegenüber Überwachungsmächten wie China und anderen autoritäre Regimen einen konkurrenzfähigen Gegenentwurf mit einer europäischen Wertordnung zu etablieren und zu verteidigen. Individuelle Menschenrechte und das internationales Völkerrecht seien dabei unverzichtbare ethische wie rechtliche Maßstäbe für die Zukunftsgestaltung einer verantwortbaren KI.

Um eine Antwort auf die Frage “quo vadis KI?” zu finden, bleibt es zu wünschen, dass die Diskussionen um Künstliche Intelligenz, wie sie exemplarisch bei diesem Philosophiefestival geführt wurden, Eingang in eine breite, informierte Öffentlichkeit und Politik finden.
Credits
Dank an die vielfältige Unterstützung durch:
Philosophie in den Allgäuer Alpen e.V.
Stefanie Fuchs, Fuchs PR & Consulting, und Dr. Thomas Heichele als Veranstalter
Musik Festakt: Trio Burgglögglar; Hintergrundmusik: Last Day of Spring, via musicfox.com
Dank an alle Referent:innen für die O-Töne
Video und Fotos: Heinz-Hermann Peitz