Jenseits der Konflikte

von Andreas Losch

Andreas Losch
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Jenseits der Konflikte Book Cover Jenseits der Konflikte
Andreas Losch
Religion
Vandenhoeck & Ruprecht
2011
284

Theologie und Naturwissenschaften, sind das nicht Gegensätze? So erscheinen sie zwar in der medialen Öffentlichkeit, besonders die Fälle Galilei und Darwin werden dann genannt, um daran das Rückzugsgefecht der Kirche gegenüber einer triumphierenden Wissenschaft zu illustrieren. Andreas Losch stellt den Konflikt jedoch als einen modernen Mythos dar. Er präsentiert den Ansatz des Cambridger Physikers und Priesters John C. Polkinghorne, der von einer Übereinstimmung der Disziplinen ausgeht. Welche Alternativen gibt es jenseits der Konflikte außerdem? Dazu stellt Losch die übersichtliche Einteilung Ian G. Barbours vor, der als Verhältnisbestimmungen von Theologie und Naturwissenschaften neben dem Konflikt auch ein unabhängiges Nebeneinander, einen Dialog oder eine Integration der beiden Disziplinen für möglich hält.

Andreas Losch bleibt nicht bei einer bloßen Wiedergabe Barbours stehen, sondern fragt, worauf seine Überlegungen beruhen. Er kommt zu dem Schluss, dass ein sogenannter »Kritischer Realismus« die Grundlage dafür darstellt. Der Autor fragt nach der jeweiligen Definition und Bedeutung des kritischen Realismus in Wissenschaft, Philosophie und Theologie. Anschließend stellt Losch zwei prominente deutschsprachige Ansätze zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften dar und vergleicht sie mit dem angelsächsischen Modell auf Basis dieses Kritischen Realismus: die Zeittheorie des Physikers A.M.K Müller und das Gestaltkreiskonzept des Arztphilosophen Viktor von Weizsäcker. Das Fazit am Schluss der Arbeit integriert die verschiedenen Modelle in einem originellen Vorschlag für das Gespräch der Disziplinen. Zwei Exkurse bieten zusätzliche Analysen der Überlegungen des Theologen Jürgen Hübner und des Wissenschaftsphilosophen Michael Polanyi zum Thema.

Theologie und Naturwissenschaften, sind das nicht Gegensätze? Andreas Losch stellt den Konflikt jedoch als einen modernen Mythos dar.

      Einführung in das Buch

      (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht)

      Theologie und Naturwissenschaften erscheinen oft, besonders in der medialen Öffentlichkeit, als ein unüberwindbarer Gegensatz. Besonders die Fälle Galilei und Darwin werden genannt, um daran das Rückzugsgefecht der Kirche gegenüber einer triumphierenden Wissenschaft zu demonstrieren. In dieser Arbeit beleuchte ich diesen Konflikt auf dem Stand der heutigen Geschichtswissenschaft und decke ihn als modernen Mythos auf. Als Gegenpol zum Konfliktmodell wird der Ansatz des Cambridger Physikers und Priesters John C. Polkinghorne präsentiert, der von einer Konsonanz (Übereinstimmung) der Disziplinen ausgeht. Es wird der Frage nachgegangen, welche Alternativen es insgesamt jenseits der Konflikte gibt. Dazu wird das übersichtliche Einteilungsmodell Ian G. Barbours (ebenfalls Physiker und Theologe) vorgestellt, der als Verhältnisbestimmungen von Theologie und Naturwissenschaften neben dem Konflikt auch ein unabhängiges Nebeneinander, einen Dialog oder eine Integration der beiden Disziplinen als Möglichkeiten ansieht. Ein Exkurs vergleicht diese für den angelsächsischen Sprachraum typische Einteilung mit der kontinentaleuropäisch orientierten Typologie von Jürgen Hübner. Was diese unterschiedlichen geographischen Verwurzelungen für eine inhaltliche Bedeutung haben, das wird im Laufe der Arbeit deutlich werden.

      Mit der Annahme von Alternativen zum Konflikt ist schon viel gewonnen. Die Arbeit bleibt aber nicht bei einer bloßen Wiedergabe der Einteilung Barbours stehen, sondern fragt weiter, worauf diese einflussreiche Einteilung und ihre Derivate beruhen. Sie kommt zu dem Schluss, dass ein sogenannter »kritischer Realismus« die Grundlage für die Einteilung darstellt. Demnach ist es tatsächlich die Welt, die von den Naturwissenschaften entdeckt wird, ihre Forschungsergebnisse sind keine reine Konstruktion des menschlichen Geistes. »Kritisch« ist der Realismus aber insofern, als der menschliche Geist in der Forschung durchaus nicht unbeteiligt ist, wie besonders neuere Wissenschaftstheoretiker wie Thomas Kuhn und Michael Polanyi gezeigt haben. Gleiches soll für die Theologie gelten: auch sie hat es mit der Wirklichkeit, in diesem Falle Gottes, zu tun, aber natürlich ist bei dessen »Erforschung« auch der menschliche Geist im Spiel. Die Bibel ist ernst, aber nicht wörtlich zu nehmen. Die Arbeit fragt damit nach der jeweiligen Definition und Bedeutung des kritischen Realismus in Wissenschaft, Philosophie und Theologie. Anschließend sollen zwei prominente deutschsprachige Ansätze zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften dargestellt und mit dem angelsächsischen Modell auf Basis dieses kritischen Realismus verglichen werden: die Zeittheorie des Physikers A.M.K Müller und das Gestaltkreiskonzept des Arztphilosophen Viktor von Weizsäcker. Das Fazit am Schluss der Arbeit integriert die verschiedenen Modelle in einem eigenen Vorschlag für das Gespräch der Disziplinen.

      Die Arbeit stößt in eine Forschungslücke, die darin besteht, dass der sehr umfassende angelsächsische Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften im deutschsprachigen Raum bislang noch zu wenig rezipiert worden ist. Insbesondere das Paradigma dieses Dialogs – der »kritische Realismus« – wurde kaum untersucht oder zum deutschsprachigen Modell in Beziehung gesetzt. Ausgangsthese der Arbeit ist die Überlegung, dass der genannte kritische Realismus, wie er dem angelsächsischen Gespräch zwischen Naturwissenschaften und Theologie zugrunde liegt, einiger Modifizierungen bedarf, um wesentliche Anliegen der deutschsprachigen Diskussion aufnehmen zu können. Ihm ist gewiss darin zuzustimmen, dass man heutzutage keinen naiven Realismus mehr vertreten kann, der die Rolle des Subjektes im Forschungsprozess ignoriert. Der Ansatz des kritischen Realismus ist jedoch sehr von einer naturwissenschaftlichen Rationalität geprägt und ignoriert mit der ihm zugrunde legenden These eines durchgängigen Spektrums der Wissenschaften die exemplarisch von Dilthey herausgearbeiteten Eigenheiten der Geisteswissenschaften. Der konstruktiv-kritische Realismus, den ich vorschlagen möchte, sieht die Rolle des Subjektes nicht nur »kritisch«, sondern besonders in Bezug auf die Geisteswissenschaften als wesentlich konstruktiver an als es im kritischen Realismus berücksichtigt wird. Das hat Auswirkungen auf das Verständnis der Theologie, der unabhängig davon jedoch auch ein Eigenraum zuzugestehen ist.

      Der Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie ist zwar auch in der deutschsprachigen Theologie ein klassisches Thema, aber eines, das einen neuen Ansatz braucht. Sigurd Martin Daecke hat auf die Unterschiede zwischen der angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Literatur verwiesen: Während in der deutschsprachigen Literatur eine »indifferentistische« Sicht, ein Modell der Unabhängigkeit der beiden Disziplinen weit verbreitet ist, steht dem in der angelsächsischen Literatur meist eine ganzheitliche Betrachtungsweise gegenüber. Gott und Natur werden als eine Einheit gesehen und die »Eine Welt« wird betont. Der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen wurde auch damit beschrieben, dass im angelsächsischen Bereich oft eine realistische Epistemologie dominiert, während man sich im kontinentaleuropäischen Bereich der nominalistischen Herausforderung der neuzeitlichen Wissenschaft zu stellen versucht. Die Frage, die dahinter steht, ist die: Spiegeln die Erkenntnisse der Naturwissenschaften die Welt wieder, so wie sie wirklich beschaffen ist (Realismus) oder beschränken sie sich auf die Beschreibung von Kausalketten, ohne damit eine Aussage über die Welt, wie sie im Innersten beschaffen ist, zu machen (Nominalismus)? Ich denke, dass es sich dabei nicht um einen unbedingten Gegensatz handeln muss, wie ich im Laufe der Arbeit erläutern werde.

      Das hier durchaus Arbeit vonnöten ist, kann man exemplarisch an dem ansonsten sehr ansprechenden deutschsprachigen Werk von Guy Marcel Clicqué festmachen, das resümiert, dass es bereits ein Gewinn für das Gespräch von Theologie und Naturwissenschaft anzusehen sei, wenn es auf Grundlage der wissenschaftstheoretischen Reflexionen von »Fleck, Polanyi und Kuhn« geführt werde, »was gegenwärtig aber leider noch nicht der Fall ist«. Tatsächlich stellen Polanyi und Kuhn aber bereits für Ian Barbours Issues in Science and Religion wesentliche Gewährsleute dar, und Polanyi ist außerdem für Arthur Peacocke und John Polkinghorne von hoher Bedeutung. Die sich daraus ergebende differenziertere Sicht von Naturwissenschaft ermöglicht die Annahme einer engeren Verwandtschaft zur Theologie, die alle drei genannten »Wissenschaftler-Theologen« (Barbour, Peacocke, Polkinghorne) so sehen. Dies führt in Folge dann zu einer Betonung der Nähe der Disziplinen in einem kritisch-realistischen Modell. Hat der deutschsprachige Dialog diese wissenschaftstheoretisch reflektierte Sicht der Naturwissenschaften bereits nachvollzogen? Oder geht er in seiner Betonung der Unabhängigkeit der Disziplinen noch von einem (damals notwendigen) Kontrastmodell von Naturwissenschaften und Theologie aus dem 19.Jahrhundert aus? Umgekehrt muss man an den angelsächsischen Dialog die Frage stellen, ob er nicht auch etwas vorschnell eine Nähe der Disziplinen postuliert und der qualitative Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften verwässert wird, und zwar zu Lasten der Eigenständigkeit der geisteswissenschaftlichen und insbesondere der theologischen Rationalität.

      Die Darstellung beginnt in Kapitel 1 mit einer Kritik an der medial weit verbreiteten (und in neuerer Zeit wieder durch Richard Dawkins vertretenen) Anschauung eines Konflikts zwischen Theologie und Naturwissenschaften (Fälle Galilei, Darwin) und der Idee, dass der Fortschritt der Wissenschaften die Religion zum Rückzug zwinge. Historisch waren die Bestseller von John William Draper und Andrew Dickson White prägend für diese Sicht eines Konfliktes zwischen Wissenschaft und Glaube. Das Kapitel wird sich mit Inhalt und Intention dieser Schriften kritisch auseinandersetzen. Es soll auch um die Problematik der medialen Darstellung des Themas gehen und der Art und Weise, wie es in zeitgenössischen populärwissenschaftlichen Werken (vornehmlich in deren ›letzten Kapiteln‹) dargestellt wird. Beispielhaft sei hier Stephen Hawkings Kurze Geschichte der Zeit genannt. Sein jüngst erschienener Großer Entwurf bleibt dabei ganz auf der zuvor gezeichneten Linie.

      Dem setzt die Arbeit als ersten Kontrastpunkt in Kapitel 2 das Modell einer Konsonanz der beiden Disziplinen, wie es der Cambridger Physiker und Theologe John C. Polkinghorne vertritt, entgegen. Behauptet dessen früherer Kollege Hawking, mit einer GUT (Grand Unifying Theory) könne man die Gedanken Gottes erkennen, sieht Polkinghorne die Physik hier an ihren Grenzen und die Theologie als eigentliche GUT an. Es ist zu fragen, wie weit Polkinghornes Gedanken hier nicht zu stark apologetisch geprägt sind. John Polkinghornes Werk wurde bereits wiederholt einer Betrachtung unterzogen, allerdings liegen seit der Dissertation Dinters zahlreiche neuere Publikationen Polkinghornes vor, und Steinkes Arbeit beschränkt sich auf eine philosophische Einordnung des Ansatzes Polkinghornes. Es soll ein kurzer Überblick über Polkinghornes Positionen als exemplarische Darstellung einer typisch angelsächsischen Position geboten werden, die dann konstruktiv-kritisch bewertet werden kann.

      Welche weiteren Alternativen zum Konfliktmodell es gibt, fragt Kapitel 3. Äußerst einflussreich in der Beschreibung dieser Alternativen war die Typologie Ian Barbours, auf die sich auch Polkinghorne bezieht. Demnach sind als Typen Konflikt, Unabhängigkeit, Dialog und Integration zu unterscheiden. Das Konfliktmodell ist in dieser Arbeit bereits im ersten Kapitel kritisch hinterfragt worden und wird von Barbour auch eher der Vollständigkeit halber erwähnt. Im Blick auf den amerikanischen Kontext muss man vielleicht darauf hinweisen, dass auch von christlicher Seite teilweise ein Konfliktmodell vertreten wird, wenn man an die Kreationismus-Debatte, jüngst um die Frage nach »Intelligent Design« erweitert, denkt. Demgegenüber stellt ein Unabhängigkeitsmodell schon einen wesentlichen Fortschritt dar. Im deutschsprachigen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften ist im Gefolge des nachhaltigen Einflusses u.a. der Theologie Karl Barths dieses »schiedlich-friedliche« Unabhängigkeitsmodell noch dominant, während im angelsächsischenwissenschaftlichen Diskurs ein Dialogansatz bzw. sogar ein Integrationsmodell vorherrschen. Allerdings ist zu fragen, ob ein Integrationsmodell nicht auch zu weit führt und zu einer Assimilation der Theologie an die Naturwissenschaften verleitet. Es ist weiterhin kritisch zu untersuchen, von welchem Paradigma aus die Typologie Barbours entworfen worden ist und ob es im deutschsprachigen Kontext möglich ist, die Voraussetzungen dieses Paradigmas zu teilen.

      Erkenntnisse dazu soll in Kapitel 4 ein Exkurs mit einem Vergleich mit der deutschsprachigen Typologie Jürgen Hübners liefern, die auf dem jeweiligen Verhältnis zur Evolutionstheorie beruht. Hübner unterscheidet dabei fünf Typen. Der Exkurs fragt nach den philosophischen und theologischen Prämissen des Hübnerschen Modells und nach der weiteren Entwicklung seines Denkens. In wie weit lassen sich an Barbours und Hübners Modell typische Merkmale der jeweiligen Traditionen erkennen?

      Typisch für Barbours Modell ist sein »kritischer Realismus« als Hintergrund der Überlegungen. Es ist daher in Kapitel 5 zu fragen, wo dieser kritische Realismus, den auch John Polkinghorne und Arthur Peacocke vertreten, herkommt. Kritische Realismen sind in der Philosophie mehrfach verfochten worden, im deutschsprachigen Bereich u.a. von Wundt, Külpe und Hartmann, im englischsprachigen Bereich u.a. von Sellars, Lonergan und Niiniluoto. Wie hängen diese kritischen Realismen zusammen (falls sie in Beziehung zueinander stehen)? Ist Barbour die Quelle des kritischen Realismus im Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie, oder von welchen Traditionen wurde er selbst beeinflusst? Es ist nach dem Ursprung des kritischen Realismus zu fragen und sein erstes Auftauchen bei Barbour zu analysieren. Eine Berücksichtigung der gesamten Realismus-Debatte würde sicher zu weit führen, so dass die Arbeit sich auf eine Durchsicht der kritischenRealismen beschränkt.

      Beschäftigt sich dieses Kapitel zunächst nur mit dem kritischen Realismus in Naturwissenschaften und Philosophie, beschäftigt sich Kapitel 6 dann mit dem für das angelsächsische Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften typischen Auftreten dieser Konzeption auch in der Theologie. Wie wird diese Parallelität eines kritischen Realismus in Naturwissenschaft und Theologie dargestellt und begründet? Es ist zu vermuten, dass der vom kritischen Realismus postulierten Parallelität der Erkenntnis in Naturwissenschaft und Theologie die These eines kontinuierlichen Spektrums der Wissenschaften zugrunde liegt, welche der deutschen geisteswissenschaftlichen Tradition widerspricht. Um dem Unterschied in der Erkenntnis von Natur- und Geisteswissenschaften gerecht zu werden, wird eine Modifikation des kritischen Realismus zum »konstruktiv-kritischen Realismus« vorgeschlagen.

      Ein Exkurs zur Philosophie Michael Polanyis (Kapitel 7) wird dem Rezeptionsdefizit dieses originellen Chemikers und Wissenschaftsphilosophen im deutschsprachigen Bereich gerecht. Die Forderung Clicqués nach einer noch ausstehenden Diskussion seiner Positionen im Gespräch von Theologie und Naturwissenschaften macht auf den deutschen Sprachraum bezogen ja durchaus Sinn. Daneben ist Michael Polanyi für Polkinghorne der Vertreter des kritischen Realismus par excellence, weswegen im Exkurs genau untersucht werden soll, ob dieser Gebrauch der Philosophie Polanyis als Gewährsmann des kritischen Realismus gerechtfertigt ist. »Wir wissen mehr als wir zu sagen wissen«. Diese zentrale These Polanyis soll in ihrer Bedeutung für die Wissenschaftstheorie und das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften dargestellt werden. Dass nach Polanyi zu jedem Wissenserwerb ein stillschweigender und leidenschaftlicher Beitrag der Person, die zu wissen wünscht, gehört, macht verständlich, warum er als Gewährsmann des kritischen Realismus herangezogen worden ist: im Gegensatz zum naiven Realismus weiß der kritische Realismus ja um die Bedeutung des Subjektes im Forschungsprozess. Polanyis objektorientierte Unterscheidung von Verifikation und Validation von Wissen berücksichtigt der kritische Realismus allerdings nicht, ein weiterer Grund, ihn so zu modifizieren, dass er dem Unterschied Rechnung tragen kann.

      Der Schlussteil der Arbeit vergleicht die Idee eines kritischen Realismus mit den Grundannahmen und wesentlichen Themen des deutschsprachigen Gesprächs zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Ein Thema in Kapitel 8 ist die Auseinandersetzung um ein angemessenes Zeitverständnis, wie es von A.M.K. Müller im Anschluss an Carl Friedrich von Weizsäcker und Georg Picht entwickelt worden ist. Dieses konvergiert mit Eberhard Jüngels Betonung der Möglichkeit vor der Wirklichkeit. Es ist zu fragen, wie sich Müllers Zeitverständnis zum kritischen Realismus verhält und wie die Autoren, die diesen unterstützen, mit dem Thema Zeit umgehen.

      Abschließend soll diskutiert werden, ob der kritische Realismus zu Viktor von Weizsäckers Einblicken in die Einheit von Wahrnehmung und Bewegung in Beziehung gesetzt werden kann (Kapitel 9). Lebendes zu erforschen heißt demnach sich am Leben zu beteiligen, wesentlich ist hier die Einführung des Subjektes in den Erkenntnisprozess. Dies korreliert mit der Einsicht meines konstruktiv-kritischen Realismus, nachdem das Subjekt nicht nur im Forschungsprozess eine Rolle spielt, sondern mehr noch die Wirklichkeit im Zusammenspiel mit den Forschern konstruktiv gestaltet werden muss. Das Modell Viktor von Weizsäckers wurde als den Gegensatz zwischen Nominalismus und Realismus überwindender Ansatz eingebracht, und eben deswegen ist es als möglicher Lösungsansatz für die eingangs dargestellte Problematik zu diskutieren. Auch wenn die Gegensätze nicht so scharf ausfallen sollten, wie bislang angenommen, ist doch eine die angelsächsische und deutschsprachige Tradition vermittelnde Position zu suchen.

      Dies soll im Fazit in Kapitel 10 dann ausführlich versucht werden. Das Kapitel wird die Ausgangsthese entfalten, nach der der kritische Realismus zum konstruktiv-kritischen Realismus modifiziert werden muss, um das Werden der Welt als Schöpfung erkenntnistheoretisch einzuholen und der Verantwortung des Menschen in der Gestaltung der Welt gerecht zu werden. Dabei soll auch das im angelsächsischen Raum ebenfalls sehr verbreitete Modell Philipp Hefners, den Menschen als »geschaffenen Mit-Schöpfer« zu betrachten kritisch bewertet werden. Letztlich geht es auch um die Positionierung der Theologie im andauernden Gespräch mit den Naturwissenschaften.