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Persönliche Vorbemerkung

© unbekannt; http://www.hoimar-von-ditfurth.de/
Wenn Sie mich fragen, durch wen ich mein bis heute ungebrochenes Interesse am Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie gewonnen habe, ist die Anwort eindeutig: Durch den Wissenschaftsjournalisten Hoimar von Ditfurth. Lange bevor ich in theologischen Traktaten von Kreationismus, Deismus oder im Gegenzug von „creatio continua“ gelesen habe, hat mich Hoimar von Ditfurth genau mit diesen Themen auf den Geschmack gebracht. Grund genug, 30 Jahre nach seinem Tod eine persönliche Würdigung zu versuchen, auch wenn dies nur ein winziges Schlaglicht auf das Gesamtwerk v. Ditfurths werfen kann.
Wir sind nicht nur von dieser Welt
Im Jahr 1981 veröffentlicht Hoimar von Ditfurth in „Wir sind nicht nur von dieser Welt“ seine wohl eindrücklichsten Überlegungen zur Vereinbarkeit von Evolution und Schöpfung. „Evolution“ ist dabei weit gefasst und meint neben der biologischen Evolution auch die kosmische. Er legt damit einen Gesamtentwurf vor, der in heutiger Terminologie in bestem Sinne das Etikett „Big History“ verdient hat. So findet v. Ditfurth in Gerhard Vollmers neuestem Werk (2016, 112f.) unter dem Stichwort „Big History“ eine ausdrückliche Erwähnung.
Im Blick auf die Theologie seiner Zeit empfiehlt v. Ditfurth ein Neuformulierung derjenigen theologischen Wahrheiten, die einem statischen Weltbild verhaftet sind und in einem evolutiven Weltbild unverständlich bleiben. Er wendet sich dabei nicht grundsätzlich gegen „metaphorische oder mythologische Umschreibungen anders nicht aussagbarer Inhalte“ (136), sieht aber die Gefahr, dass sie wortwörtlich und daher missverständlich gedeutet werden, zu bloßem Aberglauben degenerieren und letztlich für den Menschen unverständlich bleiben. Hierin sieht v. Ditfurth eine Ursache für die Krise der christlichen Kirchen (136): „Die Kirchen aber verabfolgen die abgestorbenen mythologischen Formeln vergangener Epochen. Fossilien, Steine anstelle von Brot. Und führen dann, wenn diese Kost nicht angenommen wird, laut Klage darüber, dass offenbar kein Hunger bestehe“ (220). Das sind starke Worte, die auch heute noch – wenn nicht verstärkt – Geltung beanspruchen können. In seiner Zeit und in seinem Kontext fordert v. Ditfurth im Dienste einer verständlichen Vermittlung die Berücksichtigung des evolutiven Weltbildes bei der Neuformulierung theologischer Inhalte (221).
Hauptthese: Evolution ist der Augenblick der Schöpfung
Dazu setzt v. Ditfurth die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entwicklung der Welt mit theologischen Vorstellungen in Beziehung. Diese Bezogenheit geht über eine bloße Verträglichkeit hinaus; v. Ditfurth spricht von „gegenseitiger Bestätigung, ja sogar wechselseitiger Verstärkung“ (143). Zielpunkt seiner Argumentation ist die Hauptthese „die Evolution ist der Augenblick der Schöpfung“. Gedacht werden könne dies, da ‚Zeit‘ keine die Welt umgreifende Größe sei, sondern eine Eigenschaft dieser Welt; entsprechend wäre das ‚Jenseits‘ zeitlos, zeitlich disparate Ereignisse wären letztlich nicht voneinander getrennt. Die kosmische und biologische Evolution seien „die Projektionen des Schöpfungsereignisses in unseren Gehirnen“, und der Mensch erlebt in der Form des Werdeprozesses die Schöpfung „von innen“ mit, die „von außen“, quasi aus transzendentem Blickwinkel, „der Akt eines Augenblicks ist“ (145).
Wirkungsvoll grenzt sich v. Ditfurth mit dem evolutiven Weltbild von einem auch heute noch verbreiteten Deismus ab. Während sich nämlich in einem statischen Weltbild der Schöpfer auf eine Rolle beschränke, „die so einmalig und unwiederholbar ist wie der Schöpfungsakt selbst“ (226) und in ferner Vergangenheit liege, sei bei der vorgenommenen Identifizierung von Evolution und Schöpfung ein noch immer andauernder Schöpfungsakt und eine noch immer bestehende Beziehung denkmöglich. Die dauernde Schöpfertätigkeit mache indes den konkreten Ablauf der Evolution nicht geheimnisvoll: „Nicht wie die Evolution sich abspielt ist das Geheimnis, sondern dass sie sich abspielt“ (229). Die gleiche Formulierung übrigens, die der Theologe Joseph Ratzinger im gleichen Zusammenhang verwendet.
Von hier aus legt der Autor dann – ausgehend von der Kontingenz der Welt – die Existenz eines transzendenten Grundes nahe: „Warum gibt es überhaupt etwas, warum gibt es diese Welt und ihre Ordnung?“ (229) Die Antwort könne nicht in der Welt selbst liegen. Logisch möglich sei zwar der Hinweis auf den Zufall, doch mit dieser Annahme müsse man ihre „gigantische Unwahrscheinlichkeit“ (229) in Kauf nehmen. Das ist freilich kein Gottesbeweis, aber es gibt „kein Argument, das uns an der Annahme hindern könnte, dass die Ordnung, die sich in dieser Welt vor unseren Augen … entfaltet, der Widerschein einer Ordnung ist, die jenseits der Grenzen unserer Welt existiert“ (229f.). Zu jener Zeit konnte v. Ditfurth nicht wissen, was später einmal Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI zur Deutung der Ordnung der Welt in verblüffender Parallelität schreiben wird:
“Es gibt zum einen eine Rationalität der Materie selbst. Man kann sie lesen. … Zum anderen scheint mir, dass auch der Prozess als Ganzer eine Rationalität hat. … Woher stammt diese Rationalität? Gibt es eine ursprunggebende Rationalität, die sich in diesen beiden Zonen und Dimensionen von Rationalität spiegelt?” (Ratzinger in: Horn [Hg.], Schöpfung und Evolution, Augsburg 2007, 152).
Was eine Ameise von den Sternen weiß - Hoimar von Ditfurth über Evolution und Schöpfung
Neue Antworten auf theologische Kernfragen
Vor dem Hintergrund der Hauptthese schlägt v. Ditfurth für einige theologische Fragen aktualisierte Antworten vor.
- Im Rahmen der Theodizeefrage verliere der Widerspruch zwischen dem allmächtigen und guten Gott einerseits und dem physischen und moralischen Übel andererseits an Schärfe. Denn da die Schöpfung als unvollendet angesehen werden müsse, seien Unvollkommenheiten und Mangelhaftigkeiten verständlich. (145f.)
- Dem Menschen werde die „Ehre einer aktiven Beteiligung“ am Vollzug dieser Schöpfung zuteil, gleichzeitig aber auch eine Mitverantwortung für den Lauf der Geschichte (146).
- Menschliches Handeln müsse „dem der Vollendung der Welt zustrebenden Ablauf der Dinge“ (146) dienen. Konkret bedeute dies Verminderung von Schmerz, Angst und Krankheit.
- Wegen dieses Zusammenhangs von individuellem Handeln und Gesamtschicksal der sich vollendenden Schöpfung müsse dieser Zusammenhang anderen Menschen erfahrbar und erkennbar gemacht werden. Konkret erfordere dies z. B. die Bekämpfung von Analphabetentum und Hunger, die eine solche Erkenntnis behinderten.
- Eine Beschränkung auf individuelle, von allem Übrigen isolierte Erlösung sei undenkbar. Sie erfolge nur als Teilnahme an einer Erlösung der Welt als Ganzer. Diese sei am Endpunkt der Geschichte erreicht, wenn „der Augenblick der Schöpfung abgeschlossen ist“ (147). Gutes werde in dem Maße sittlich gut, „in dem es zu der Herstellung einer moralischen Solidarität beiträgt, die alles einbezieht, ohne eine einzige Ausnahme, da niemand ohne Einfluss auf den Ablauf der Geschichte ist, von der für uns alle alles abhängt“ (147).
- Ebenso sei „Weltflucht“ und ein „räumlich missverstandenes Verhältnis von Diesseits und Jenseits“ zu überwinden. Durch die Gleichsetzung von Evolution und Schöpfungsgeschichte werde eine alternative Trennung von ‚Welt‘ und ‚Jenseits‘ verunmöglicht. Darum gehe es um Überwindung der Übel und nicht um Abkehr von den Unvollkommenheiten der Welt.
- Ditfurth versteht diese Punkte lediglich als „Beispiele“ und „Andeutungen“ (149), die dem Theologen keine Interpretationen vorschreiben, sondern über eine mögliche Vereinbarkeit von naturwissenschaftlichen Einsichten und theologischen Aussagen Bilder anbieten wollen, „die der religiösen Aussage gänzlich neue Wege erschließen“ (149).
Prophet der Klimakatastrophe – Schon 1978 nimmt Hoimar von Ditfuth vorweg, was inzwischen wissenschaftlicher Konsens ist: Der Klimawandel ist menschengemacht!
Kritische Rezeption
Das beeindruckende Dialogangebot Hoimar v. Ditfurths hätte eine breite Diskussion und Rezeption von Seiten der Theologie verdient gehabt. Doch nicht überall stieß er auf stürmischen Beifall. Es verwundert kaum, dass die antimodernistischen Konservativen, denen schon Teilhard de Chardin oder Karl Rahner Dornen im Auge waren, erst recht bei Hoimar von Ditfurth katholischen Substanzverlust fürchteten. Das Sonderheft „Macht der Mysterien“ (Beilage zu „Theologisches“ Nr. 140, 1981) strotzt von kritischen Beiträgen zu v. Ditfurth. Und der Philosoph Georg Scherer mahnt in seinem „Gutachten für die Erwachsenenbildung“ (Annweiler 1993) an, „das katholische Profil wieder deutlicher hervortreten zu lassen“ (284), da „heute gängige Weltanschauungen aufs neue Schöpfung durch Evolution ersetzen“ (298). Bei der konkreten ‚Besprechung‘ v. Ditfurths verlässt er den Boden der Sachlichkeit derart, dass die Worte des Rezensierten ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt und nur noch als Mittel der Konfrontation und Selbstbehauptung missbraucht werden. Widersetzt sich der Originaltext v. Ditfurths dem absolut gesetzten eigenen Vorurteil, wird er gewaltsam eingepasst (Belege bei Peitz, Kriterien des Dialogs, Innsbruck 1998, 334ff.).
Dass es Kritikpunkte gibt (nicht zuletzt die „Relativierbarkeit auch der Person Jesus Christus“, Ditfurth, Wir sind nicht nur von dieser Welt, 22) ist nicht in Abrede zu stellen. Wer ein ernsthaft gemeintes Angebot aber derart pauschal in den Wind schlägt, begibt sich einer wertvollen Dialog- und Aktualisierungsmöglichkeit theologischer Inhalte.
Im Gegenzug zur Pauschalkritik gibt es allerdings auch wertschätzende Beschäftigungen mit Hoimar v. Ditfurth, exemplarisch seien die Gespräche mit Kardinal König oder die damalige Besprechung von Hans Küng genannt. Eine aktuelle Würdigung findet sich immerhin im Jugendlichen-Katechismus „Youcat“, der seine Schöpfungstheologie mit einem Zitat von Hoimar v. Ditfurth garniert. Nette Geste und besser als nichts, aber leider zu spät: Wer (erst recht: welcher Jugendliche) kennt heute noch Hoimar v. Ditfurth? Keiner! Schade eigentlich.
Heinz-Hermann Peitz, 1. November 2019
PS.: Wer sich über Hoimar von Ditfurth als Prophet der ökologischen Katastrophe informieren will, findet ein dem Artikel von Eckart Löhr eine gute Zusammenfassung.