- Die Macht der Gefühle als evolutionäres Erbe - 13. Dezember 2022
Bei der Online-Tagung “Die Macht der Gefühle” am 3. und 4. Dezember 2022 entfaltete Wulf Schiefenhövel, wie Humanethologie, evolutionäre Psychologie und verwandte darwinische Zugänge zur conditio humana die phylogenetisch alten Anteile unserer neurobiologischen Ausstattung erforschen. Dabei ergebe sich, dass Wahrnehmung, Emotion, Kognition und Verhalten ein höheres Maß an kultur-übergreifender Universalität aufweisen als es z.B. in kulturrelativistisch akzentuierenden Disziplinen für möglich gehalten wird.
Abstract
Trauer und romantische Liebe als menschliche Universalien – Die Macht der Gefühle als evolutionäres Erbe
Unsere Art wird Homo sapiens genannt. Diese Zuschreibung ist berechtigt, denn wir sind aufgrund unseres besonders leistungsfähigen Gehirns in der Lage, die Welt und uns selbst aus der Perspektive des Verstandes zu sehen und zu beurteilen. Dementsprechend wird in Zweigen der Geisteswissenschaften dem Großhirn eine, oft die zentrale Rolle der Steuerung unseres Verhaltens zugedacht. Das „rational choice“ Modell, als eine Art Königsweg zum Verständnis menschlichen Handelns beschrieben, hat jedoch einen Teil seiner heuristischen Potenz verloren. Die Humanethologie, evolutionäre Psychologie und verwandte darwinische Zugänge zur conditio humana beziehen die phylogenetisch alten Anteile unserer neurobiologischen Ausstattung, etwa das hypothalamisch-limbische System als Haupt“Sitz“ unserer Emotionalität, ausdrücklich in die forschende Betrachtung ein. Dabei ergibt sich, leicht verständlich, denn wir alle auf diesem Planeten gehören ja einer Linné’schen Spezies an, dass Wahrnehmung, Emotion, Kognition und Verhalten ein höheres Maß an kultur-übergreifender Universalität aufweisen als es z.B. in Disziplinen für möglich gehalten wird, die davon ausgehen, dass kulturrelativistische Kräfte, etwa über linguistische Kodierung, die geistige Welt der Angehörigen verschiedener Gesellschaften je ganz unterschiedlich prägen.
Aus meiner eignen Arbeit in Melanesien möchte ich in diesem Beitrag über Trauer und romantische Liebe in einer Ethnie des Hochlands von Neuguinea berichten, deren Angehörige bis zum Beginn eines interdisziplinären Forschungsprogramms der DFG im Jahre 1974 eine von steinzeitlichen Ausstattungen und Techniken geprägte Lebenswirklichkeit aufwiesen.
Wenn der Tod das Band zu einem uns nahe stehenden Menschen unwiederbringlich zerreißt, reagieren wir, unabhängig von der Kultur in der wie leben, mit tiefer Trauer, dem Gefühl des Verlassenseins. Wir sind eine soziale Spezies, und enge, durch positive Emotionen abgesicherte und bestärkte Beziehungen zu anderen Menschen, insbesondere innerhalb Familie und Gruppe, sind ein starkes einigendes Band. Wir brauchen die Anderen, weil wir in vielfältigster Weise auf sie angewiesen sind, für unsere emotionale Stabilität wie auch für unsere Position, unseren Erfolg in der Gemeinschaft. So trauern wir denn nicht um das je nach Religion mehr oder weniger ungewisse Schicksal der Totenseele, sondern um uns selbst. Dieses egoistisch erscheinenden Impulses müssen wir uns keineswegs schämen. Vom Anderen für immer verlassen zu sein, wirft uns auf uns selbst zurück und offenbart unsere Verletzlichkeit.
Ganz im Gegensatz zur kulturrelativistischen Soziologie und Ethnologie, in denen die „romantische Liebe“ als Produkt einer sich mit dem Beginn der Renaissance formierenden modernen Gesellschaft mit Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit und damit als neue psychische Reaktionsform gesehen wird, kann die erotisch-sexuelle Begegnung zwischen zwei Menschen von einer mächtigen Welle spezifischer, positiver Gefühle begleitet sein. Es ist inzwischen deutlich geworden, welche biopsychischen Faktoren, insbesondere im Gehirn wirksame Überträgersubstanzen und Hormone an diesen elementaren Ereignissen in uns beteiligt sind. Insofern überrascht es auch nicht, dass die romantische Liebe auch dort zu finden ist (vgl. Salomos Lied), wo von Renaissance keine Rede sein kann. Ich werde über romantische Liebesbeziehungen bei den Eipo berichten und den Text eines von einer Frau gedichteten Liedes vorstellen, das in seiner packenden Metaphorik ein Beispiel eindrucksvoller Liebeslyrik darstellt.
Siehe auch den ZDF-Beitrag Abenteuer Südsee mit Wulf Schiefenhövel.
Beiträge der Tagung
Regine Kather geht es unter dem Titel "Zwischen Hass und Mitgefühl, Zorn und Gelassenheit" um das Spektrum menschlicher Gefühle und ihren Einfluss auf die soziale Identität. Wie lenkt man Gefühle in die richtige Richtung, so dass sie die Vernunft nicht behindern, sondern unterstützen?
Wulf Schiefenhövel entfaltet, wie Humanethologie und verwandte darwinische Zugänge zur conditio humana die phylogenetisch alten Anteile unserer neurobiologischen Ausstattung erforschen und z. B. Trauer und romantische Liebe als Universalien freilegen.