Kosmologe Ellis im Interview

von grenzfragen

Kosmologe George F. R. Ellis Foto von H.-H. Peitz, CC BY-SA 3.0

Kosmologe George F. R. Ellis
Foto von H.-H. Peitz, CC BY-SA 3.0

In Scientific Americans Blogbeitrag “Physiker George Ellis kritisiert Physiker für deren Kritik an Philosophie, Falsifikation und freiem Willen” vom 22.07.14 würdigt der Wissenschaftsjournalist John Horgan zunächst das wissenschaftliche und menschliche Engagement des Mathematikers, Physikers und Kosmologen George Ellis, der sich zusammen mit Stephen Hawking einen Namen gemacht hat. Im Interview kommen Methode, Möglichkeiten und Grenzen der Naturwissenschaft, sowie deren Beziehung zum religiösen Weltzugang zur Sprache.

(Zusammenfassende Übersetzung von Heinz-Hermann Peitz mit freundlicher Genehmigung des Autors)

 

Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen der Physik

Zu den Grundlagen der Naturwissenschaft meint Ellis, dass die Auffassung Sean Carrolls, das Falsifikationskriterium werde überbewertet, ein Rückfall hinter die evidenzbasierte wissenschaftliche Revolution seit Galilei und Newton sei. Spekulationen und Extrapolationen mögen zwar von gut erprobten Bereichen der Physik ausgehen, deshalb seien sie aber noch nicht richtig. Wissenschaftler sollten solchen Attacken auf die Grundlagen ihres eigenen Erfolges nachdrücklich widerstehen.

Entsprechend ist Ellis weder ein Freund von Multiversumstheorien noch von der Stringtheorie, die ihm beide zu spekulativ sind. Das Anthropische Prinzip sei jedoch – egal wie man dazu stehe – eine Überlegung wert: “Die Feinabstimmung der fundamentalen physikalischen Parameter ist erforderlich für unsere Existenz” – diese Einsicht habe zu vielen interessanten Studien geführt.

Unter dem Schlagwort “Das Ende des Experiments” gibt Ellis zu bedenken, dass sich unser Wissen vom Mikro- und Makrokosmos den Grenzen des Wissbaren nähere – Details ausgenommen. Diese Aussage beziehe sich jedoch nicht auf komplexe Systeme. “Komplexität ist nahezu grenzenlos”, und Mikrobiologie, Biologie oder Hirnforschung mögen noch so manche Überraschung bereit halten.

Auch hält Ellis es für unwahrscheinlich, dass es letztendlich eine vereinheitlichte Theorie aller fundamentalen Kräfte einschließlich der Gravitation geben wird. Einstein habe uns bereits gelehrt, dass auf einer grundlegenden Ebene Gravitation gerade keine Kraft ist, sondern eher das Ergebnis der gekrümmten Raumzeit.

Grenzüberschreitungen

Lawrence Krauss, Neil deGrasse Tyson

Lawrence Krauss (rechts), Neil deGrasse Tyson
Foto: Erlend Aakre, CC BY-SA 3.0

Auf Horgans Frage, ob Ellis mit Lawrence Krauss Behauptung übereinstimme, dass die Physik grundsätzlich das Geheimnis, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, gelöst habe, antwortet Ellis eindeutig: “Sicherlich nicht”. Krauss habe eine untestbare philosophische Spekulation angestellt und nicht etwa Wissenschaft betrieben. Der Glaube, die gesamte Realität könne mit Mitteln der Physik vollständig begriffen werden, sei Fantasie. Darüber hinaus spreche Krauss nicht an, warum die Gesetze der Physik existieren, warum sie die Form haben, die sie haben, und in welcher Manifestation sie existiert haben, bevor das Universums existierte.

Es sei schon sehr ironisch, wenn Krauss das Verschwinden der Philosophie behaupte und sich dann selbst an Philosophie versuche. Naturwissenschaftliche Ausbildung sollte Basismodule über die großen klassischen wie zeitgenössischen Philosophen einschließen.

Wenn Krauss, Stephen Hawking and Neil deGrasse Tyson Philosophie für Zeitverschwendung hielten, sollten sie aufhören, in ihren eigenen Schriften in Billig-Philosophie zu schwelgen. Tatsächlich aber gelte: “Man kann keine Physik oder Kosmologie ohne vorausgesetzte philosophische Basis betreiben”.

Glaube und Wissenschaft

Horgan fragt, ob Ellis’ christlicher Glaube einen Einfluss auf seine naturwissenschaftlichen Ansichten habe. Der Glaube – so Ellis – könnte bis zu einem gewissen Grade Einfluss auf die Wahl der Themenfelder haben, nicht aber auf die Wissenschaft selbst mit ihrer eigenen Logik. Umgekehrt müsse seine philosophische und religiöse Sicht die aktuelle Wissenschaft ernst nehmen. Dabei beachtet Ellis, welche Aspekte der Realität von einem streng wissenschaftlichen Zugang begriffen werden können und welche außerhalb der Grenzen eines mathematikbasierten Zugriffs liegen. Viele Schlüsselaspekte des Lebens (wie Ethik oder Ästhetik) liegen außerhalb des Feldes der Wissenschaft. Versuche, diese neurowissenschaftlich oder evolutionstheoretisch zu erklären, führen immer ungeprüfte Wertannahmen durch die Hintertür ein. Von wissenschaftlicher Basis her sagen zu wollen, was z. B. in Israel oder Syrien zu tun sei, wäre ein Kategorienfehler.

Geist und freier Wille

Viele Naturwissenschaftler seien strenge Reduktionisten, die glaubten, dass allein die Physik die Geschehnisse der realen Welt determinierten. “Das ist nachweislich falsch”. Diese Wissenschaftler fokussierten einige Stränge im Kausalnexus, die tatsächlich existieren, ignorierten aber andere, die nachweislich ebenso vorhanden sind wie etwa Vorstellungen unseres Geistes. Diese bewirkten nachweislich in Top-Down-Kausalität physische Effekte in der realen Welt.

Einstein – so Horgan – habe offenbar am freien Willen gezweifelt. Die Frage, ob Ellis an den freien Willen glaube, beantwortet dieser mit einem klaren “Ja”. Einstein habe den Glauben perpetuiert, dass jede Kausalität bottom-up verlaufe, was eben nicht der Fall sei. Physiker sollten den vier aristotelischen Formen der Verursachung Beachtung schenken – wenn sie denn den freien Willen haben zu entscheiden, was sie tun. Wenn nicht: “Warum sollten wir dann die Zeit verschwenden, mit ihnen zu reden? Sie sind dann nicht verantwortlich für das, was sie sagen.”

Siehe auch: Audio-Interview mit Ellis (inkl. Zusammenfassung auf Deutsch) anlässlich seiner Ehrung mit dem Templeton-Prize 2004