Religiöse Erfahrung aus psychiatrischer Sicht

von Gabriele Stotz-Ingenlath

Gabriele Stotz-Ingenlath
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Gabriele Stotz-Ingenlath reflektiert über Religiöse Erfahrung aus psychiatrischer Sicht. Ausgangspunkt ist die Pathologie der religiösen Erfahrung, gegen Ende kommt die religiöse Erfahrung als Ressource in den Blick.

    An zwei Fallbeispielen und mit einer Kriterienliste illustrierte Stotz-Ingenlath den Unterschied von Glaube und religiösem Wahn:

    Glaube:

    • Zweifel möglich
    • wird in der religiösen Gemeinschaft geteilt
    • ausgerichtet auf Gemeinschaft
    • auf andere zugehend
    • Vertrauen, Gelassenheit
    • psychopathologisch sonst unauffällig

    Religiöser Wahn:

    • unerschütterlich gewiss
    • unverständlich auch in der religiösen Gemeinschaft
    • vereinzelnd (Eigenwelt)
    • Rückzug
    • Anspannung, Angst
    • weitere psychopathologische Auffälligkeiten

    Bei gläubigen Menschen kann religiöse Erfahrung als psychosoziale Ressource fungieren:

    • Coping in Krisen und Grenzsituationen
    • Vorbeugung von Einsamkeit in Religionsgemeinschaft
    • Heimat, Identität stiftend
    • Anti-Suizid-Pakt glaub-würdig
    • Suchtbehandlung (Suche)
    • Schutz vor Verzweiflung in der Depression
    • Selbstwertgefühl

    „Wer könnte wohl in einem Regenbogen genau die Linie angeben, wo das Violett aufhört und das Orange beginnt? Wir sehen zwar deutlich die verschiedenen Farben, aber nicht den genauen Ort, wo die eine in die andere übergeht. So ist es auch mit Vernunft und Wahnsinn.“ (Hermann Melville, Billy Budd)

    Beiträge der Tagung (inkl. Link zu den Projektvorstellungen)

    Unter dem Titel "Erfahrung und Transzendenz" ging es vom 1. bis 3. Oktober 2021 um die "Deutung von religiöser Erfahrung in Lebenswelt, Theologie und Naturwissenschaften" - so der Untertitel. Die Dokumentation des Kongresses im Rahmen des "Religion and Science Network Germany" (RSNG) enthält die Hauptvorträge und die Projektvorstellungen.

    Mutschler möchte zunächst einmal die Diskontinuität zwischen Spiritualität und Wissenschaft deutlich herausarbeiten. So stehe eine naturwissenschaftliche Weltbeschreibung für eine objektivierende Beobachterperspektive. Ganz anders die Kontemplation, die eher für die subjektive Betroffenheitsperspektive stehe. Der Wunsch nach Vereinbarkeit finde nicht immer eine glatte Lösung. Gerade der gläubige Mensch zeichne sich dadurch aus, Unvereinbares einfach stehen lassen und erdulden zu können.

    Das Thema der Nahtoderfahrung stellt nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern auch für die Theologie eine Herausforderung dar. Prof. Dr. Enno Edzard Popkes griff diese Spannung in seinem Vortrag „Nahtoderfahrung und ihre Bedeutung für die Theologie“ auf und zeigte die Beziehungen zwischen den nachösterlichen Berichten über den auferstandenen Jesus und Nahtoderfahrungen.

    Auch in diesem Jahr gab es zahlreiche Projektvorstellungen auf akademisch hohem Niveau. Wie üblich stellt die Auswahl zunächst Projekte vor, die dem Schwerpunkt “Erfahrung und Transzendenz” zuzuordnen sind, es folgen Projekte mit anderen interdisziplinären Fragestellungen.