Ist der Papst Neo-Kreationist?

von Heinz-Hermann Peitz

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Benedikts Kreuzzug: Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft Book Cover Benedikts Kreuzzug: Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft
Alan Posener
Berlin : Ullstein
2009
286

Als der Papst einen Holocaust-Leugner zurück in den Schoß der Kirche holte, war das Entsetzen groß. Doch dieser Schritt war nicht gedankenlos, wie viele meinen. Alan Posener weist eindrucksvoll nach, dass Benedikt XVI. schon seit langem einen Feldzug gegen die Errungenschaften der Moderne führt - und zwar mit aller Konsequenz. Die Konfrontation mit der 68er-Bewegung und der »Theologie der Befreiung« machte Joseph Ratzinger zum Hauptvertreter eines kompromisslosen Konservatismus. Seither formuliert er mit großer Radikalität und Beharrlichkeit die Grundsätze eines intellektuellen Rollbacks der Moderne. Als Papst Benedikt XVI. bekämpft er den weltlichen Staat und die Werte der Aufklärung: Pluralismus der Gesellschaft und des Glaubens, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Frau, Emanzipation der Wissenschaft von der Religion. Mit seiner Rede in Auschwitz revidierte der Papst die Position der katholischen Kirche zum Holocaust; der Ton gegenüber den Juden hat sich ebenfalls verschärft. In ihrem Widerstand gegen die Moderne, so das provozierende Fazit dieses Buches, ist die katholische Kirche dem islamistischen Fundamentalismus bereits auf paradoxe Weise nahe gerückt.

Unter der Überschrift „Benedikt contra Galilei und Darwin“ (149-192) etikettiert Alan Posener den Papst als klaren Gegner der Evolutionstheorie und Intelligent-Design-Protagonisten. Beeindruckt davon, wie „pointiert und akribisch“ Posener seine Frontstellungen belegt, hält der Evolutionsbiologe und Neo-Atheist Thomas Junker in seiner Rezension lobend fest: „Ich habe selbst im Abschnitt über die Kritik der Kirche an der Evolutionstheorie, mit der ich mich im Zusammenhang mit Schönborns Schulterschluss mit der Intelligent design-Bewegung befasst habe, aufschlussreiche, neue Details gefunden“. Die zahlreichen Zitate haben auch andere Rezensenten beeindruckt: Zwar verstehe Posener sein Werk als Streitschrift, umso erfreulicher findet es Nikolaus German im Deutschlandfunk deshalb, „dass Posener trotzdem sachlich bleibt, sich mit Emotionen klug zurückhält und lieber Fakten sprechen lässt“. Schauen wir uns die “Fakten” und akribischen Belege einmal im Blick auf die vermeintliche Ablehnung der Evolutionstheorie an.

Was heißt “Evolutionismus”?

Zu Beginn der Darwinthematik bezieht sich Posener auf das wichtige Treffen des Ratzinger-Schülerkreises, das in dem Band “Schöpfung und Evolution” (S. O. Horn / S. Wiedenhofer [Hg.], Augsburg 2007) gut dokumentiert ist und breite Beachtung gefunden hat. Schon der erste Satz Poseners führt in die Irre. Für ihn handelte es sich um ein Treffen, “bei dem der wissenschaftliche Ansatz Darwins, die Evolution ohne Gott zu erklären, als ‘Evolutionismus’ verteufelt” (Posener 163) werde. Die These, der Papst lehne die Evolutionstheorie ab, kann Posener nur plausibel machen, weil er durchgängig Evolutionstheorie und weltanschaulich aufgeladene Deutung (!) der Evolutionstheorie in einen Topf wirft. Es wird sich zeigen, dass sich die kirchlich kritischen Stimmen im großen und ganzen gegen die weltanschauliche Ausweitung der Evolutionstheorie wenden, nicht gegen die Theorie als Wissenschaft. Keineswegs wird also der “wissenschaftliche Ansatz Darwins” verteufelt. Selbst Kardinal Schönborn, der mit seinem Artikel “finding design in nature” am ehesten im Ruf stand, die Evolutionstheorie zu kritisieren, fordert deutlich, “dass zwischen der wissenschaftlichen Theorie der Evolution und ihren weltanschaulichen bzw. philosophischen Deutungen unterschieden wird” (Horn 86), und fragt: “Wo ist in Darwins Theorie (und in ihren Weiterentwicklungen) wirkliche Wissenschaft am Werk, und wo handelt es sich um weltanschauliche, ideologische Elemente, die wissenschaftsfremd sind? Man muss Darwin vom Darwinismus lösen, ihn von den ideologischen Fesseln befreien.” (ebd. 84f.). Die von den Naturwissenschaften vorgenommene methodische Beschränkung auf das Quantifizierbare, bei der ein Design nicht vorkommen muss (89), wird nicht in jeder Hinsicht kritisiert, sondern hat nach Schönborn “die enormen Erfolge der Naturwissenschaften ermöglicht”. Was er kritisiert, ist hingegen folgendes: “Es wäre höchst problematisch, wollte man das, was hier methodisch ausgeblendet wurde, einfach als nichtexistent erklären” (92). Sofern Schönborn die Behauptung, der Mensch, die Natur etc. sind nichts anderes als das evolutionstheoretisch Beschreibbare alsEvolutionismus kritisiert, ist ihm nur zuzustimmen.

progetto intelligente = intelligent design

Aus dem genannten Buch (Horn 21) entnimmt Posener auch eine kurze Charakterisierung der Papstposition, “der vom Kosmos als einem ‘intelligenten Projekt’ spricht” (Posener 163). Hier hat sich Posener sogar eine argumentative Chance entgehen lassen. Das ursprünglich italienische “progetto intelligente” ist in der offiziellen englischen Fassung gar als “intelligent design” wiedergegeben, was zumindest auf der sprachlichen Oberfläche Posener unterstützt hätte. Aber: die Verwendung von “Design” im Sinne von “Plan” ist in rein theologischem (nicht naturwissenschaftlichem) Kontext legitim. Eine inhaltliche Nähe dieser theologischen Äußerung zur Intelligent-Design-Bewegung, die ja auf der naturwissenschaftlichen Ebene ansetzt, ist damit nicht notwendig gegeben (siehe weiter unten und auch meine Rezension des Horn-Buches).

Ist der Mensch kein Evolutionsprodukt?

Indikator für die Evolutionskritik ist für Posener auch das Papstzitat, das das Vorwort des Hornbandes anführt: “Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution” (Posener 163). Genauer besehen sagt der Papst hier aber keineswegs, dass der Mensch kein Evolutionsprodukt ist. Die Betonung liegt auf “zufällig” und “sinnlos”: Der Mensch ist eben keinsinnloses Evolutionsprodukt. Denn – so die Weiterführung des Zitates – “jeder von uns ist Frucht eines Gedanken Gottes” (Horn 7). Hier deutet sich die Frontstellung an, die schon Ratzinger auf naturphilosophischer Ebene gegen Jacques Monod eingenommen hat (siehe unten).

Will Benedikt eine “physikalische Theologie”?

Posener behauptet, nach Ratzinger mache “das Christentum keinen Unterschied … zwischen wissenschaftlicher und religiöser Betrachtungsweise”, es sei in Ratzingers Worten eine “physikalische Theologie” und erhebe “den Anspruch, die Antwort auf alle Fragen der Naturwissenschaften bereits zu kennen”. Blanker Unsinn!
Ganz im Gegenteil zu Poseners Unterstellung fordert Ratzinger geradezu “die durch das christliche Denken vollzogene Trennung von Physik und Metaphysik” (Ratzinger, Glaube – Wahrheit – Toleranz, Freiburg 2005, 143, auch in Horn 17). Und wenn Ratzinger von einer “physikalischen Theologie” spricht (der Term findet sich in einer Zwischenüberschrift), so meint er “Physik im antiken Sinn” (Ratzinger, Glaube, 135), nicht etwa Physik im modernen naturwissenschaftlichen Sinne. Treffender kommt dies in den Begriffen theologia physica und theologia naturalis zum Ausdruck. Wenn Theologie auf Physis und Natur bezogen wird, soll ihr Realitätsbezug betont werden in Abgrenzung zu einer Rechtfertigung von Religion “aus ihrer politischen Funktion” heraus (Ratzinger, Glaube, 136): “Der christliche Glaube beruht nicht auf Poesie und Politik, … er beruht auf Erkenntnis” (ebd. 137). Vor dem Hintergrund dieses völlig anderen Begriffs von Physik kann von einem “Anspruch, die Antwort auf alle Fragen der Naturwissenschaften bereits zu kennen” nicht die Rede sein.

Evolutionstheorie und das Ganze der Wirklichkeit

Generös will Posener bei Ratzinger “über einige – durchaus typische – sprachliche Tricks hinwegsehen” (176). Genau an dieser Stelle versucht Posener es selbst mit einem sprachlichen Trick: der Vertauschung von Restriktion durch Explikation. Was ich damit meine, wird unmittelbar klar, wenn Posener Ratzinger die Aussage unterstellt, “die Evolutionstheorie wolle ‘umfassend das Ganze alles Wirklichen erklären'” (176). Das hat Ratzinger so nicht gesagt. Er spricht auch nicht von der Evolutionstheorie, sondern von einer bestimmten Variante. Er kritisiert “eine umfassend das Ganze alles Wirklichen erklärende Evolutionstheorie” (so auch von Posener 175 zitiert). Anders ausgedrückt kritisiert er nur eine solche Evolutionstheorie, die umfassend das Ganze alles Wirklichen erklärt. Die Menge der kritisierten Evolutionstheorien wird auf eine bestimmte eingegrenzt (Restriktion). Bei Posener liest sich das so, als ob Ratzinger die Evolutionstheorie, die bekanntlich umfassend das Ganze alles Wirklichen erklärt, kritisiere. Der Zusatz grenzt hier nicht ein, sondern erklärt die Bezugsgröße “Evolutionstheorie” (Explikation). Noch einmal anders formuliert: Ratzinger kritisiert

im Original:
diejenige Evolutionstheorie, die umfassend das Ganze alles Wirklichen erklärt

bei Posener:
die Evolutionstheorie, die bekanntlich umfassend das Ganze alles Wirklichen erklärt

Durch diesen Trick gelingt es Posener wieder, wie eingangs dargestellt, “Evolutionstheorie” und “weltanschaulich aufgeladene Deutung (!) der Evolutionstheorie” (diejenige Evolutionstheorie, die …) in einen Topf zu werfen. Man braucht schon diesen Trick, um Ratzinger zu dem pauschalen Evolutionskritiker zu machen, den man gern hätte.

Benedikt = Schönborn?

Posener erinnert daran, dass Johannes Paul II. 1996 einräumte, in der “Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen“. Der jetzige Papst wolle diesen wichtigen Schritt wieder rückgängig machen: “Keine zehn Jahre nachdem Johannes Paul II. den Darwinismus vorsichtig anerkannt hat, lässt sein Nachfolger diese Anerkennung mit einem Paukenschlag wieder zurücknehmen und schlägt sich auf die Seite der Kulturkrieger” (Posener 181). Der Paukenschlag hat einen Namen: Kardinal Christoph Schönborn, auf dessen Argumentation Posener das Folgende aufbaut, statt auf Originaltexte aus der Feder Benedikts zurückzugreifen. In der Tat hatte Schönborn in dem Beitrag “Finding Design in Nature” in der “New York Times” 2005 die Anerkennung der Evolutionstheorie durch Johannes Paul II. als “rather vague and unimportant” heruntergespielt. Posener übersetzt hier übrigens richtig mit “unwichtig”, während die Website der Erzdiözese Wien die Schärfe mit “weniger bedeutend” etwas herausnimmt. Die Wortwahl (“design”) in Überschrift und Hauptthesen nährt freilich den Verdacht der Nähe zum “Intelligent Design”. Wenn Schönborn im englischen Original schreibt, “that by the light of reason the human intellect can readily and clearly discern purpose and design in the natural world”, und dass “any system of thought that denies or seeks to explain away the overwhelming evidence for design in biology is ideology, not science”, dann ist es durchaus nicht illegitim, wenn Posener bei der Übertragung ins Deutsche weiterhin von “design” statt von “Plan” spricht. In der Tat war der genannte Beitrag Schönborns international und interdisziplinär heftig umstritten. Auch aus eigenen, sprich: theologischen Reihen wurde mit Kritik nicht gespart.

Nun ruht aber Poseners Behauptung, der Papst vertrete den evolutionskritischen Intelligent-Design-Ansatz auf zwei Voraussetzungen: 1. Schönborn vertritt diesen Ansatz tatsächlich, 2. Benedikts Auffassung ist mit der Schönborns in diesem Punkt identisch. Beide Voraussetzungen treffen schlicht nicht zu!

Zu 1.: Schönborn wird man spätestens seit seiner März 2009 gehaltenen Rede vor der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nicht mehr einfach neokreationistisch vereinnahmen können. Schönborn selbst räumt dort ein: “Mein NYT-Artikel hat heftige Debatten ausgelöst. Ich gebe zu, er war etwas holzschnittartig und hätte noch einiger Differenzierungen bedurft.” Damit nicht genug: Ausdrücklich, unmissverständlich und mit guten Gründen distanziert sich Schönborn von “Intelligent Design”, was hier ausführlich wiedergegeben werden soll: “Genau hier liegt m.E. der Fehler der ‘Intelligent Design’-Schule (mit der ich zu Unrecht immer noch in Verbindung gebracht werde). Der Versuch dieser Schule, hohe Komplexität in der Natur als Aufweis oder Beweis für ein ‘intelligent design’ zu bewerten, krankt an dem fundamentalen Denkfehler, dass ‘design’, Plan, Zielgerichtetheit nicht auf der Ebene der Kausalität gefunden werden kann, mit der sich die naturwissenschaftliche Methode befasst.” Diese Klarstellung findet sich bei Posener zufälligerweise (?) nicht.

Zu 2.: Posener nimmt die kritische Anfrage, dass der Papst ja durchaus “nicht unbedingt hinter Schönborns Verteidigung des ‘Intelligent Design’ in der ‘New York Times’ stehen müsse” (183), vorweg. Er verweist als Antwort auf ein Interview mit Schönborn, in dem dieser angibt, er sei “von Ratzinger persönlich unmittelbar vor dessen Wahl zum Papst ‘ermutigt’ worden, eine ‘eindeutigere Stellungnahme’ zum Thema Evolution abzugeben” (183). Damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass sich Benedikt auch mit dem tatsächlichen Inhalt identifiziert. So sagt Schönborn in demselben Interview, dass sein Essay nicht vom Vatikan genehmigt sei, und der Politikwissenschaftler und Philosoph Otto Kalscheuer meint zu Schönborn: “Der Vatikan hütete sich natürlich wohlweislich, dessen Vorstoß zu ‘decken'” (Die Wissenschaft vom lieben Gott, Frankfurt 2006, 269). Man kann die Differenz Papst / Schönborn aber auch an Äußerungen Benedikts selbst festmachen. Das zitierte Buch von Horn gibt Antwort auf die Frage, ob auch für Benedikt die Vernunft die Existenz eines Designers aus den Designmerkmalen der natürlichen Welt mit Gewissheit erkennen kann? Benedikt gibt abgrenzend zu bedenken: „Natürlich gibt es die Rationalität in der Natur, aber sie gestattet uns nicht, eine totale Einsicht in den Plan Gottes zu gewinnen. Es bleiben also die Kontingenz und das Rätsel des Schrecklichen in der Natur“. Diese „Komponente des Schreckens“ sei „nicht mehr philosophisch auflösbar“, sondern verweise in den Diskurs des Glaubens, der ein ganz anderes Gesicht des Logos und Designers zeigt, „als wir es aus einer Rekonstruktion der Gründe für die Natur erahnen und ertasten können“ (Horn 161). Der Papst will mit der Schönborn-Kritik zwar nicht so weit gehen wie Siegfried Wiedenhofer im selben Band, aber er empfiehlt: “Kardinal Schönborn und Herr Wiedenhofer sollten sich deshalb zusammentun, um eine gemeinsame Schau zu finden” (161). Gerade bei dem entscheidenden Schluss von Designmerkmalen auf den Designer grenzt sich Benedikt von Schönborn ab – bei aller sonstigen Geistesverwandtschaft.

War Ratzinger schon immer evolutionskritisch?

Die vermeintliche Evolutionskritik Benedikts will Posener mit früheren Schriften Ratzingers konsolidieren. Dieser habe “wiederholt seine Ablehnung der Darwin’schen Evolutionstheorie öffentlich kundgetan” (183). So meine Ratzinger in einer Schöpfungskatechese von 1981 in Poseners Worten, “die ‘neue Gesinnung’, die sich bei Galilei ankündigt, wolle ‘jene Frage der Vernunft nach dem Woher der Welt und ihrem Design’ (sic!) wegschieben” (Posener 183). Schauen wir ins Original und stellen die Zitatfragmente in den Satzzusammenhang. O-Ton Ratzinger: “Marx will damit jene Frage der Vernunft nach dem Woher der Welt und ihrem Design … wegschieben” (Ratzinger, Im Anfang schuf Gott, München 1986, 33). Man traut seinen Augen nicht, wenn man gewahr wird, dass es gar nicht Darwin ist, von dem sich Ratzinger abgrenzt, sondern Marx und der Marxismus.

Dass Ratzinger übrigens in diesem Zusammenhang von “Design” spricht, kommt Posener, der den Papst gern in der Ecke des Intelligent Designs hätte, natürlich wie gerufen – darum sein “sic!” hinter “Design”. Dabei ist die Verwendung von “Design” i. S. v. “Plan” in rein theologischem (nicht naturwissenschaftlichem) Kontext zum einen legitim, zum anderen zur damaligen Zeit (1981) völlig unverdächtig: Der Begriff “Intelligent Design” wurde erst nach einer juristischen Schlappe für den US-amerikanischen Kreationismus 1987 geprägt!

Die zweite angeblich evolitionskritische Stelle wird von Posener wie folgt zitiert: “Die großen Projekte des Lebendigen, sie sind nicht Produkt von Zufall und Irrtum. (…) Nur der Schöpfergeist war stark genug und groß und kühn genug, dieses Projekt zu ersinnen” (183). Der Originalkontext legt auch hier offen, dass Ratzinger sich nicht von Darwin oder der Evolutionstheorie abgrenzt, sondern von der naturphilosophischen Deutung durch Jacques Monod: “Monod findet dann dennoch den Weg für die Evolution in der Feststellung, dass es in der Weitergabe des Projektes Übertragungsfehler geben kann. … Wir sind ein Produkt zufälliger Fehler” (Ratzinger, Im Anfang 45). Selbst naturwissenschaftliche Kollegen ohne theologische Ambitionen, wie der Chemie-Nobelpreisträger Manfred Eigen, grenzen sich hier von Monod ab und zeigen, dass Monod hier auf einer anderen als einer naturwissenschaftlichen Ebene argumentiert: “Sosehr wir in der Darstellung der Molekularbiologie mit Jacques Monod übereinstimmen, so eindeutig grenzen wir uns in den auf den Menschen und die Gesellschaft bezogenen Schlussfolgerungen von ihm ab. In Monods Forderung nach ‘existenztieller Einstellung zum Leben und zur Gesellschaft’ sehen wir eine animistische Aufwertung der Rolle des ‘Zufalls'” (Eigen, Das Spiel, München 1985, 13). Der auf dieser Ebene hypostasierte Zufall ist in der Tat Konkurrent des Glaubens und darf auf dieser Ebene auch theologische kritisiert werden. Die Naturwissenschaft bleibt von dieser Kritik unberührt, wie Ratzinger selbstverständlich klarstellt: “Es bleibt Sache der Naturwissenschaft zu klären, durch welche Faktoren der Baum des Lebens im einzelnen weiterwächst und neue Äste aus ihm aufsteigen. Dies ist nicht die Frage des Glaubens.” (Ratzinger, Im Anfang 45).

Poseners Pauschalurteil der päpstlichen “Ablehnung der Darwin’schen Evolutionstheorie” erweist sich auch in diesen beiden Fällen als krasses Fehlurteil, das von der Verwechslung von Evolutionstheorie und ihren weltanschaulichen und naturphilosophischen Deutungen lebt.

Papst beruft sich auf Kreationisten?

An einer Stelle kritisiert Posener allerdings völlig zu Recht (Posener 185-190). In Ratzingers Rede an der Pariser Sorbonne, die Schönborn als “ausführlichste Stellungnahme zu unserem Thema” (Horn 17) ausweist, bezieht sich Ratzinger in seiner Argumentation auf Reinhard Junker und Siegfried Scherer (Horn 18), deren evolutionskritisches Lehrbuch zwar nicht mehr so offensiv wie in früheren Auflagen einen Kurzzeitkreationismus nahelegt, immerhin aber die Makroevolution durch punktuelle Schöpfungen von separaten, nicht evolutiv verbundenen Grundtypen (darunter auch den Menschen) ersetzen will. Dies ist auch zuvor schon dem Biologen Josef Reichholf aufgefallen: In der Rede “beruft sich der heutige Papst auf die beiden namhaftesten deutschen Kreationisten, Reinhard Junker und Siegfried Scherer, und ihr Buch ‘Evolution. Ein kritisches Lehrbuch’. In dieser prekären Lage ist ein befreiendes Wort erforderlich.” (Reichholf in Bild der Wissenschaft 9/2007; siehe Textauszug)

Wenn Poseners Kritik an dieser Stelle ansetzt, trifft sie also in der Tat einen wunden Punkt. Und die Bezugnahme auf Junker / Scherer wundert auch insofern, als deren Grundtypen-Schöpfung so gar nicht mit Ratzingers Schöpfungsverständnis (“Schöpfung ist nicht nach dem Muster des Handwerkers zu denken, der allerlei Gegenstände macht”, Ratzinger in Horn 13) vereinbar ist. Deshalb ist auch der Hinweis wichtig, dass es Ratzinger nicht wirklich um die Detailfrage der Makroevolution geht, sondern um den eigentlich intendierten Kontext: “Die Frage, die hier zu stellen ist, reicht freilich tiefer: Es geht darum, ob die Evolutionslehre als Universaltheorie alles Wirklichen auftreten darf, über die hinaus weitere Fragen nach Ursprung und Wesen der Dinge nicht mehr zulässig und auch nicht mehr nötig sind” (ebd. 18f.). Die Detailfrage nach der Makroevolution ist also eingeklammert von der Hauptfrage nach der Grenzüberschreitung Richtung Weltanschauung, die damit die Funktion eines hermeneutischen Schlüssels einnimmt. Eine Detailfrage “X” hat demgegenüber eine abgeleitete oder konkretisierende Funktion: “X ist kritisierbar, insofern X eine illegitime Grenzüberschreitung impliziert”. Impliziert “X” dies nicht, gehört X dem rein naturwissenschaftlichen Diskurs an und hat damit den Kampfplatz (Philosophie) erst gar nicht betreten.

Noch einmal und diesen Punkt zusammenfassend: Es geht Ratzinger in seiner Kritik also um die weltanschauliche Ausweitung der Evolutionstheorie, auch wenn man mit gutem Recht – und hier stimme ich mit Posener überein – bestreiten kann, dass die Makroevolution eine solche illegitime Ausweitung darstellt.

Zusammenfassung

Poseners pauschale Verurteilung “Benedikt contra Darwin” kann in dieser Undifferenziertheit nicht aufrecht erhalten werden. Aus der viele beeindruckenden Fülle an Belegen erweist sich gerade einmal eine Positionierung Benedikts als wirklich kritisierbar. Und auch diese Stelle relativiert sich, nimmt man die eigentliche Frontstellung Benedikts ernst: die weltanschauliche Ausweitung der Evolutionstheorie zu einer Universaltheorie alles Wirklichen. Da Posener diese Unterscheidung von Evolutionstheorie und weltanschaulicher Deutung der Evolutionstheorie durchgängig überspielt, wird der Papst überall dort, wo er letzteres (zu Recht) kritisiert, automatisch zu einem Kritiker des ersteren, der wissenschaftlichen Evolutionstheorie. Das aber ist nur ein suggestives Konstrukt Poseners, ermöglicht durch aus dem Kontext gerissene Zitate und sprachliche Tricks. Man kann nur hoffen, dass der Rest des Buches, über das ich mir kein Urteil erlaube, seriöser gearbeitet ist und über entstellenden Zitat-Eklektizismus hinauskommte. Benedikt gegen Darwin ausspielen zu wollen gehört – und da schließe ich mich dem Rezensenten Bernd Buchner an – eindeutig “zu den schwächeren Passagen im Buch”.

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