Die Vermessung des Universums

von Gottfried Kleinschmidt

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Die Vermessung des Universums - Wie die Physik von Morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist. Book Cover Die Vermessung des Universums - Wie die Physik von Morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist.
Lisa Randall
Fischer
April 2012
496

In keiner anderen Naturwissenschaft kündigen sich so umwälzende und aufregende Erkenntnisse für Mensch und Kosmos an wie in der Physik. Das große Ziel ist es, so kleine Dinge wie Atome und so große wie Galaxien einheitlich zu erklären. Doch wie soll das gelingen?
In ihrem neuen Buch berichtet Besteller-Autorin Lisa Randall spannend und anschaulich aus den Laboren und Denkfabriken ihrer Kollegen: Welchen Fragen gehen Physiker nach? Welche Rolle spielen so gigantische Apparate wie der Teilchenbeschleuniger im CERN? Was hat es mit der Suche nach dem Higgs-Boson auf sich? Wie hängt angewandte mit theoretischer Physik zusammen? Lisa Randall zeichnet das Bild der gegenwärtigen Physik in all ihren Facetten und lässt ganz konkret werden, wie die moderne Grundlagenforschung funktioniert. Ein unterhaltsamer, lehrreicher Einblick in die faszinierende Welt der Physik und gleichzeitig ein Lob der kreativen Fähigkeiten des menschlichen Geistes und der Wissenschaft.

Lisa Randall gehört zu den intemational bekannten Expertinnen für Elementarteilchenphysik und arbeitet an der Harvard University und am MIT in Boston. Ihr vorangehendes Werk Verborgene Universen – Eine Reise in den extradimensionalen Raum (vgl. NR 2/2007, S. 103) hat nicht nur in den USA und Europa viel Anerkennung gefunden. In dem neuen Buch findet der Large Hadron Collider (LHC) beim CERN in Genf in mehreren Kapiteln besondere Beachtung. In diesem Hadronenbeschleuniger prallen Protonen bei hoher Energie aufeinander. Jedes Proton enthält drei Valenz-Quarks und zusätzlich viele virtuelle Quarks und Gluonen, die ebenfalls an den Kollisionen teilnehmen können.
Die Elementarteilchenphysiker erhoffen sich aus derartigen Kollisionen neue Erkenntnisse über Materie / Energie und die Bestätigung oder Widerlegung von Theorien und Modellen über Elementarteilchen. Außerdem können die Versuchsreihen mit dem LHC Kosmologen über die Zusammensetzung und die Gesetze des Kosmos (Universum und Multiversen) Aufschluss geben, was dann auch philosophische Fragen der Naturwissenschaften berühren wird.
Neben der Beschreibung der Grenzen heutiger Forschung steht die Klärung des Wesens der Naturwissenschaften im Zentrum des neuen Buches: Was ist das Entscheidende der modernen Naturwissenschaft? Welche Prinzipien sind für einwandfreies naturwissenschaftliches Denken bestimmend? Woher kommen die verschiedenen Standpunkte der Forscher? Wie setzen sich richtige Ideen letztendlich durch? L. Randall wendet sich an interessierte Laien, die tiefere Einblicke in den aktuellen Stand der theoretischen und der experimentellen Physik gewinnen wollen. Ein Grundgedanke, der in immer neuen Zusammenhängen wiederkehrt, ist der „Begriff der Skala“. Skalen spielen auch in der Geschichte der Physik eine entscheidende Rolle. Die Autorin wirft auch einen Blick auf die materialistische Auffassung der Materie und diskutiert die heiklen Folgen für die Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion.
Nach der Forschungsreise in das Innere der Materie erfolgt ein Blick nach außen. Unsere Epoche könnte nach Auffassung der Autorin Zeuge von neuen Entwicklungen in der Kosmologie werden, der Wissenschaft, die sich mit der „Evolution“ des Weltalls beschäftigt.
Viele Fragen harren einer Antwort, und viele Theorien enthalten Konsequenzen, die noch nicht einzuschätzen sind: Was war vor dem Urknall? Was ist das Wesen dunkler Energie und dunkler Materie? Das intensiv diskutierte Standardmodell sagt zwar etwas über Wechselwirkungen von Elementarteilchen aus, lässt aber Fragen darüber unbeantwortet, warum deren Eigenschaften so und nicht anders sind. Dunkle Materie und das Higgs-Boson können sich „verstecken“, genau wie Belege für neue Raumzeitsymmetrien oder gar neue Dimensionen des Raumes.
Am Schluss stellt L. Randall Überlegungen zum Thema „Kreativität“ an und hebt „die Bedeutung des rationalen, naturwissenschaftlichen Denkens und seiner materialistischen Prämissen“ hervor. Sie betont: „Naturwissenschaftliches Denken“ anerkennt, dass Unsicherheit kein Scheitern ist. Es bewertet auf angemessene Weise Risiken und berücksichtigt sowohl kurzfristige als auch langfristige Einflüsse.“ Damit ist die naturwissenschaftliche Methode, die uns hilft, die Grenzen des Universums zu verstehen, nicht nur für Spezialisten und Theoretiker relevant. Sie kann uns vielmehr nach Randalls Überzeugung auch bei kritischen Entscheidungen leiten, die wir für diese Welt, in der wir jetzt leben, zu treffen haben. Darum ihr Plädoyer: „Unsere Gesellschaft muss diese Prinzipien aufnehmen und sie künftigen Generationen lehren.“