Zur Fragilität des Menschseins und die Künstliche Intelligenz – Ahmad Milad Karimi

Religionsphilosoph Ahmad Milad Karimi aus Münster zu Gast in Hohenheim

In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz rasant an Bedeutung gewinnt, wächst auch die Verunsicherung darüber, was den Menschen künftig noch ausmacht. Im Rahmen der Tagung des „Religion and Science Network Germany“ machte der Religionsphilosoph Ahmad Milad Karimi (Münster) deutlich: Die künstliche Intelligenz KI verändert nicht nur Arbeitswelt und Kommunikation, sondern greift tief in unser Menschenbild ein. Während technische Systeme immer schneller, präziser und „intelligenter“ werden, bleibt der Mensch hingegen ein fragiles Wesen – fehlbar, verletzlich und endlich. Genau darin, so Professor Karimi, liege jedoch seine unveräußerliche Würde. In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz immer stärker in den Alltag eingreift, plädiert der Religionsphilosoph für ein radikales Umdenken: Nicht Perfektion, sondern Imperfektion mache den Menschen aus.

Bereits jetzt greife die KI tief in unsere Körper und Psychen ein – etwa durch ständige Smartphone-Präsenz oder automatisierte Schreibprozesse. Die Technologie verschmelze zunehmend mit der Lebenswelt, ohne dass eine tiefgehende digitale Ethik vermittelt werde. Schulen etwa vermittelten lediglich Nutzungsregeln, nicht aber ein reflektiertes Verständnis darüber, was Technologie mit uns macht. Generell sieht Karimi In der Bildung Handlungsbedarf: Schulen und Universitäten müssten nicht nur Wissen, sondern Friedensfähigkeit, Reflexion und Verantwortlichkeit vermitteln. KI könne hier als Werkzeug dienen, dürfe aber nicht den Kern des Menschseins verdrängen.

Posthumanismus und Transhumanismus

Zwei Denkströmungen prägen laut Karimi die aktuellen Zukunftsentwürfe: Der Posthumanismus träume von der Ablösung des Menschen durch überlegene Maschinen, der Mensch sei quasi nur ein Übergangswesen. Der Transhumanismus hingegen setze auf technische Selbstoptimierung: Mit Hilfe von KI, Neuro- und Nanotechnologie solle der Mensch perfektioniert, und das Alter und der Tod letztlich überwunden werden. Der Mensch als „Homo Deus“ – ein Gott durch Technik.

Karimi hält beide Visionen für gefährlich. „Beide Modelle betrachten die menschliche Unvollkommenheit als Defizit, das es zu beseitigen gilt“, kritisierte er. Die Menschliche Würde zeige sich nicht in Perfektion, sondern in ethischem Handeln. Eine Ethik, die auf Perfektibilität fußt, sei gefährlich – entscheidend sei nicht das makellose Ergebnis, sondern der Weg, der Prozess des moralischen Handelns in Freiheit. Dabei sei es gerade die Begrenztheit, die das Menschsein definiere: Irren, Zweifeln, Lieben, Trösten, Scheitern – Fähigkeiten, die keine Maschine je authentisch besitzen könne. Technik könne menschliche Intelligenz simulieren, aber nie echtes Denken oder Empfinden ersetzen.

Unabgeschlossenheit des Menschen als Stärke

Für Karimi ist die Antwort kein Rückzug aus der Technologie, sondern ein neuer Humanismus. Dieser beruhe auf drei Prinzipien: Erstens müsse der Mensch als ethisches Subjekt verstanden werden, nicht als Zentrum, das alles beherrscht. Zweitens müsse er Verantwortung für andere Lebewesen und die Umwelt übernehmen. Drittens sei die Unabgeschlossenheit des Menschen zu akzeptieren – als Stärke, nicht als Schwäche.

Karimi formulierte einen „neuen Dekalog“ für das digitale Zeitalter: „Wir sollen unsere Fehlbarkeit annehmen, nicht nach Unsterblichkeit streben, Altern zulassen und die Hybris vermeiden, selbst Gott sein zu wollen. Die KI muss ein Werkzeug bleiben, aber kein Ersatz für den Menschen. „Die Maschine kann rechnen, aber nicht hoffen. Sie kann sprechen, aber nicht trösten“, fasste Karimi zusammen. „Der Mensch ist mehr als seine Funktionen. Seine Würde liegt in dem, was keine Technik je besitzen wird: in seiner Unverfügbarkeit.“

Für eine Theologie der Imperfektibilität

Zentral ist für Karimi die Idee einer „Theologie der Imperfektibilität“: Religiöse Traditionen hätten Perfektion nie als erreichbares Ziel verstanden, sondern als Kompass. Menschliches Streben sei notwendig – aber in der Bewusstheit, dass absolute Vollkommenheit unerreichbar bleibt. Schmerz, Sterblichkeit und Begrenztheit seien keine Defizite, sondern Quellen der Erkenntnis und spirituellen Tiefe. „Der Schmerz spricht zu uns“, sagt Karimi. „Er konfrontiert uns mit dem, was wir sind.“

Auch der Glaube müsse sich neu erfinden. Klassische, „analoge“ Theologien reichten nicht mehr aus, um die Herausforderungen der digitalen Welt zu begreifen. Zugleich warnt Karimi vor der Reduktion des Menschen auf reines Bewusstsein – ein zentraler Gedanke transhumanistischer Upload-Fantasien. Menschsein sei immer leiblich-seelisch und nicht beliebig reproduzierbar. KI könne Informationen verarbeiten, aber nicht Bedeutung erschaffen.

Der Mensch ist mehr als Mittel zum Zweck

Sein Gegenentwurf zur technokratischen Perfektion: epistemische Demut – das Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit. Statt Wahrheit zu verkünden, müsse Wissenschaft offen, transparent und überprüfbar bleiben. Die Verführung der Technik dürfe nicht den Blick darauf verstellen, dass der Mensch mehr ist als ein Mittel zum Zweck.

Am Ende formuliert Karimi eine Hoffnung, die bewusst gegen den Zeitgeist gestellt ist: Trotz Kriegen, Krisen und technologischer Übermacht gelte es, das Vertrauen in das Gute nicht zu verlieren. „Wenn wir es leicht haben wollten“, sagt er, „wären wir KI. Aber wir sind Menschen – und genau das ist unsere Stärke.“

Bericht: Dr. Daniel Meier

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