Börner: Schöpfung ohne Schöpfer?

von Gottfried Kleinschmidt

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Schöpfung ohne Schöpfer? Das Wunder des Universums Book Cover Schöpfung ohne Schöpfer? Das Wunder des Universums
Gerhard Börner
München : Dva
2006
215 S.

Die alten Fragen "Woher kommen wir?", "Wohin gehen wir?" haben in der modernen Kosmologie eine interessante Antwort erhalten. Wir sind Teil einer langen Kette von Entwicklungen in einem Kosmos, in dem kein Atom verlorengeht und in dem unser Leben sogar mit der Entwicklung der Sterne verknüpft ist. Die frappierenden Erkenntnisse der Physiker über die komplexe Struktur des Universums, in dem unsere solide Alltagswelt offenbar getragen wird von einem Untergrund aus Teilchen und immateriellen Feldern, führen zu einem Verzicht auf eine umfassende Weltdeutung. Sie öffnen aber den Blick für die Bedeutung von Glaubensaussagen. Gerhard Börner erkundet die Grenzen der naturwissenschaftlichen Weltbeschreibung und liefert einen spannenden Beitrag zur Diskussion zwischen naturwissenschaftlichen und religiösen Weltsichten.

Der bekannte Kosmologe und Astrophysiker G. Börner beschäftigt sich in der Einführung mit den Wundem des Universums und stellt die Frage: Steckt was dahinter?
Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht die Welt im Großen: Vom Urknall bis zu den “Schwarzen Löchern”.
Nach der Welt im Großen folgt die Welt im Kleinen; es geht um den Urgrund aller Dinge, und zwar um die “Quantenwelt” und die “Elementarteilchen” (Leptonen, Quarks, Strings usw.).
Entscheidend ist die “Grenzziehung und Grenzüberschreitung”, die im vierten
Kapitel vorgenommen wird. Hier beschäftigt sich der Autor mit den Nahtstellen von Naturwissenschaft und Religion, mit der Entstehung des Lebens und des Bewusstseins, mit dem “Schöpfungsprinzip” und dem möglichen Entwicklungsplan der Welt.
Mit ähnlichen Fragen in anderen Argumentationsketten beschäftigen sich der polnische Kosmologe, Mathematiker und Priester Michal Heller, der nach dem Sinn des Lebens und dem Sinn des Universums fragt, oder die bekannte Harvard-Astrophysikerin L. Randall, die sich mit “verborgenen Universen” auseinander setzt und zu einer “Reise in den extradimensionalen Raum” einlädt.
Ebenso interessant und abwechslungsreich sind die Modelle, Konzepte und Theorien, die F. Adams zum “Leben im Universum” vorträgt. Sowohl Erhard Scheibe als auch Gerhard Börner setzen sich detailliert und kenntnisreich mit der „Philosophie der Physiker” auseinander.
Die Frage “Schöpfung ohne Geschöpf?” und die Beschäftigung mit den Wundern des Universums ist also sehr aktuell und fordert Wissenschaftler, Theologen, Philosophen zum Nachdenken heraus. Eine interessante und ergiebige Informationsquelle ist diesbezüglich auch das neue Werk des bekannten amerikanischen Erkenntnistheoretikers John R. Searle zu dem wichtigen Thema “Geist” (Frankfurt, 2006). Dieses Thema spielt auch im zusammenfassenden Kapitel des vorliegenden Werkes eine entscheidende Rolle. Man kann die “gesamte Wirklichkeit”, das ganze Universum in kühner Spekulation als ein “System von Möglichkeiten” betrachten. Dieses System tastet sich Schritt für Schritt im Raum (Kosmos) voran. In diesem kühnen Bild wäre die eigentliche “Schöpfung” die Erschaffung “dieses Raums der Möglichkeiten”. Das Leben auf der Erde entwickelte sich dann nach dem gleichen Schöpfungsprinzip, und dieses besagt ganz einfach: “Wahrscheinlich geschieht das Wahrscheinliche”. Die Verwirklichung der Formen und Gestalten, die als mögliche Konfigurationen angelegt sind, geschieht somit “zufällig, bestimmt durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung”, die in den Grundgleichungen begründet ist. Dieses Denkmodell führt zu der folgenden Schlussfolgerung: “Jeden momentan verwirklichten Weltzustand können wir als Punkt im unermesslichen Raum der Möglichkeiten ansehen”.
Alles, was die Naturwissenschaftler “wirklich” nennen, existiert als Objekt in Raum und Zeit, doch diese “Wirklichkeit” ist nur ein winziger Ausschnitt “aus dem Reich der Möglichkeiten”, aus dem Reich der geistigen Gestalten. Dieses seelisch-geistige Geschehen ist nicht von grundsätzlich anderer Natur als all die anderen “realen” Vorgänge im Universum.
Gerhard Börner stellt zusammenfassend Folgendes fest: “Gefühle und Gedanken umkreisen attraktive Ideen und erreichen ab und zu spontan noch attraktivere, auf höherem Komplexitätsniveau, aber nach dem gleichen Prinzip, das wir bei der Entwicklung der Materie zu immer raffinierteren Molekülen und bei der Entwicklung der Arten zu einer immer komplexeren Biosphäre beobachten”. Vielleicht können wir sogar in diesem Denkmodell “die Seele als Attraktor im Raum der Möglichkeiten deuten”. Das folgende Bild befindet sich im Einklang und in bester Harmonie mit religiösen Vorstellungen: “Der in Raum und Zeit existierende ‘Leib’ versucht, sich IHR (der Seele) im Verwirklichungsprozess, das heißt im Fortschreiten in der Zeit, anzunähern. Warum sollten wir nicht im Urgrund all dieser Attraktoren, dieser anziehenden Gestalten, im Reich des Geistes, das Göttliche erkennen”?
In dieser Spekulation gibt es Anklänge an ein Schöpfungsprinzip, das vom Urknall bis zur Struktur des menschlichen Gehirns und bis zu den Errungenschaften der Sprache und der Kultur (einschließlich der Religion) reicht. Der Pfad der Verwirklichung des Universums im Raum der Möglichkeiten kann als Spur “und Zeichen des transzendenten Schöpfers im Bereich seiner Geschöpfe gedeutet werden”. In diesen Kontext gehören auch die Gedanken und Ideen, die Alfred Gierer in seinem Werk “Die Physik, das Leben und die Seele” (München, 1985) vorgetragen hat.