Wilson über den Sinn des Lebens

„Es wäre das Beste, die Religionen auszulöschen“, meint E. O. Wilson, Pionier der Soziobiologie, im Anreißer eines Interviews zu seinem neuen Buch (New Scientist magazine, vom 24.01.15, 28-29). Der martialisch anmutende Rat wird allerdings durch den Nachsatz, dass „die spirituelle Sehnsucht des Menschen“ von der Ausrottung auszunehmen sei, relativiert. 

Was Wilson damit meint, wird in dem Interview anlässlich seines neuesten Buches, „The Meaning of Human Existence“, deutlicher. Das Buch ist der zweite Teil einer Trilogie, welche die drei Hauptfragen von Religion und Philosophie beantworten will: Woher kommen wir, wer sind wir und wohin gehen wir?
Die erste Frage sei so gut wie beantwortet (evolutiv natürlich); davon handelte Wilsons The Social Conquest of Earth. Das aktuelle Buch nun sei der Antwort auf die zweite Frage dicht auf den Fersen. Wir müssten beide Antworten kennen, um vernünftig planen zu können, wohin wir künftig gehen werden.
Ein solcher Plan fehle uns, und unsere bisherigen Zukunftsaussichten liefen auf die Zerstörung der Erde hinaus, was in Wilsons drittem Buch thematisch werden wird (The End of the Anthropocene). Wilson warnt davor, dass die achtlose Dezimierung der Artenvielfalt unserer komplexen Biosphäre einem Selbstmordkommando gleichkomme.
Dass wir diese globale Bedrohung allen wissenschaftlichen Warnungen zum Trotz ignorieren, sieht Wilson gut soziobiologisch darin begründet, dass wir einem Denken in Stammesstrukturen verhaftet sind. An eben dieses Stammesdenken würden sämtliche Ideologien und Religionen auch ihre Antworten auf die drei Zentralfragen binden, die nur vom je eigenen Stamm, aber nicht von den anderen akzeptiert würden. „Jeder Stamm, egal wie großzügig, freundlich, liebevoll und barmherzig er sein mag, schaut nichtsdestoweniger auf alle anderen von oben herab. Was uns runterzieht ist religiöser Glaube“. Wilson sieht dabei sehr wohl, dass die Menschen als Individuen und als Gattung einen starken religiösen, spirituellen Impuls teilen, der die Menschheit vereine. Aber: „Diese transzendente Suche ist von den Stammesreligionen gekapert worden“. Darum also rät Wilson, „dass es zum Wohle des menschlichen Fortschritts wohl das Beste wäre, religiösen Glauben bis zu seiner Auslöschung zu dezimieren, nicht aber die natürlichen Sehnsüchte unserer Spezies oder das Stellen dieser großen Fragen zu eliminieren“.

 

Die Frage stellt sich jedoch, wie (wünschenswert und) aussichtsreich ein solches Wilsonsches Eliminationsprojekt ist. Als „natürliche Sehnsucht“ wird das „große Fragen“ nicht innerlich bleiben, sondern die Kommunikation suchen und sich Kommunikationsgemeinschaften, sprich: Religionen, schaffen. Wäre es nicht ein wünschenswertes Ziel, Religionen nicht abzuschaffen, sondern von fundamentalistischer (Stammes-)Konkurrenz zu globalem Dialog zu bewegen?

 

Zum Schluss bleibt noch die allgemeine Frage, ob die Woher- und Wohin-Fragen, wie Wilson sie stellt, tatsächlich mit den Woher- und Wohin-Fragen der Religionen identisch sind. Wird hier nicht der Geltungsanspruch überzogen, wie dies der Soziobiologie wiederholt – nicht zuletzt von Wilson selbst – vorgeworfen wurde?

Über den Autor

E. O. Wilson ist ein US-amerikanischer Biologie, Begründer der Soziobiologie und für seine Beiträge zur Evolutionstheorie bekannt. U.a. ist er mit der National Medal of Science und zweimal mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. 2014 wurde Wilson Ehrendoktor der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg.

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