Menschenaffen zwischen Bestialisierung und Humanisierung

von Hans Werner Ingensiep

Hans Werner Ingensiep
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Kunstwerk des Orang Utan „Barito“ (c) Ingensiep

Kunstwerk des Orang Utan „Barito“ (c) Ingensiep

Menschenaffen zwischen Bestialisierung und Humanisierung – Primatenforschung in Geschichte und Gegenwart

Vortrag bei der Tagung „Der kultivierte Affe – Über Intelligenz, Empathie und Moral bei Tieren“, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Tagungshaus Weingarten, 3.-4. Juli 2015 (Videodokumentation siehe unten)

Zwischen „Monster“ und „Personen“

Die Mensch-Tier-Beziehung wurde von Hans-Werner Ingensiep (Duisburg-Essen) am Beispiel der Geschichte von Aneignungs-, Abgrenzungs- und Begegnungsmustern gegenüber  Primaten konkretisiert. Kurz nach ihrer Entdeckung als „Monster“ eingestuft, seien die Menschenaffen mittlerweile auf dem besten Weg, zu „Personen“ zu werden. Schon vor Darwin hätten bedeutende Philosophen des 18. Jahrhunderts gefragt, ob die „aufrecht gehenden Wilden“ tatsächlich Affen oder doch Menschen seien, ob man sie zu Bürgern erziehen und ihnen das Sprechen beibringen könne.

Als „Primaten“ seien sie seit Carl von Linné eng mit dem Menschen in Verbindung gebracht worden. Nach Erscheinen von Darwins Hauptwerk Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Gorilla entdeckt. Zusammen mit Schimpansen und Orangs sei eine neue Epoche der Menschenaffen angebrochen, in der sie dem Menschen besonders als evolutionäre Abstammungshelfer gedient hätten. Die Vorstellung des Gorillas als aggressiven Monsters sei durch Reiseschilderungen von Afrika-Abenteurern verstärkt worden und habe sich unter anderem über das Medium Film („King Kong“) weit ins 20. Jahrhundert verbreitet.

Der bestialisierte Gorillamythos habe jedoch schon früh ambivalente Züge gezeigt und Spuren der „Humanisierung“ freigelegt. Importierte Jungtiere hätten in besonderer Weise zur öffentlichen Entmythologisierung des Gorillabildes beigetragen. Vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie habe das 20. Jahrhundert – auch dank der Pionierarbeiten von Wolfgang Köhler – einen umfassenden experimentellen Zugang zu den Primaten gesucht und vordringlich die Frage nach Intelligenz und Kreativität der Affen gestellt.

Begegnung auf der „Subjektebene“

Das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts habe dann mit neuen experimentellen Settings nach Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Affe und Mensch gesucht. Nicht distanzierte, objektivierende Beobachtung wie noch bei Köhler, sondern teilnehmende Beobachtung, die den Affen auf der „Subjektebene“ begegnet, habe einen neuen Zugang in Freilandforschung oder Wohngemeinschaft („Multi-Spezies-Familie“) erschließen wollen. Berühmt seien Schimpansen geworden, die der Taubstummensprache mächtig waren und denen man Moral und selbst Todesbewusstsein zu unterstellen geneigt war.

Durch diese Befunde seien Menschenaffen nach und nach zu „Personen“ geworden, was Ingensiep den Schluss ziehen ließ: „Der ‚gute Wilde‘ des 18. Jahrhunderts scheint auf seinem langen Marsch durch die Jahrhunderte nun doch ein gleichberechtigter ‚Bruder‘ des Menschen zu werden, was grundsätzliche ethische Fragen aufwirft.“ Zu denken sei hier unter anderem an den australischen Philosophen Peter Singer, der mit seinem „Great Ape Project“ Lebensrecht, Freiheit und Folterverbot für Menschenaffen fordere und diesen einen moralischen Personen-Status zuerkennen möchte.

Der Vortrag als Video

      „Die Wälder sind derartig überfüllt mit Pavianen, Meerkatzen, Affen und Papageien, dass sich jedermann fürchtet, in denselben zu reisen. Namentlich gilt dieses für zwei Ungeheuer, welche in diesen Waldungen leben und im höchsten Grade gefährlich sind. Das größte dieser Scheusale wird von den Eingeborenen Pongo, das kleinere Ensego genannt. … Oft vereinigen sie sich zu Gesellschaften und töten manchen Neger im Walde, oft auch überfallen sie Elefanten, welche weidend in ihre Nähe kommen, und schlagen dieselben so mit ihren mächtigen Fäusten, dass sie brüllend davon laufen.“ Aus dem Reisebericht von Andrew Battel, zitiert in: Brehms Thierleben (3. Aufl. Leipzig 1890, S. 60f.)

      Die Vorträge der Tagung

      Für Regine Kather ist die Vielfalt der Arten eine Folge der genetischen Abstammung aller Lebewesen von den einfachsten Organismen. Das menschliche Bewusstsein sei somit nicht in einem unvermittelten Sprung aus toter Materie entstanden, sondern habe sich aus Vorformen entwickelt. Schon einfache Lebewesen hätten einen Anteil an den Möglichkeiten des Menschen.