Junkers unbeantwortete Frage

von Heinz-Hermann Peitz

Heinz-Hermann Peitz
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Die 101 wichtigsten Fragen - Evolution Book Cover Die 101 wichtigsten Fragen - Evolution
Thomas Junker
München : Beck
2011
160

Der Biologiehistoriker Thomas Junker bietet mit dem populären Sachbuch „Die 101 wichtigsten Fragen - Evolution“ eine „ebenso umfassende wie kurzweilige Einführung in die Evolution und ihre Erforschung“ – so der Klappentext. Besonders neugierig hat mich der Hinweis gemacht, dass es Junker nicht nur um eine evolutionsbiologische Einführung geht, sondern auch um Fragen wie „Was sagen die großen christlichen Kirchen zur Evolution?“. Meine Besprechung konzentriert sich auf die Antwort, die Junker auf diese Frage gibt.

Der Biologiehistoriker Thomas Junker bietet mit dem populären Sachbuch „Die 101 wichtigsten Fragen – Evolution“ eine „ebenso umfassende wie kurzweilige Einführung in die Evolution und ihre Erforschung“ – so der Klappentext.

Besonders neugierig hat mich der Hinweis gemacht, dass es Junker nicht nur um eine evolutionsbiologische Einführung geht, sondern auch um Fragen wie „Was sagen die großen christlichen Kirchen zur Evolution?“. Meine Besprechung konzentriert sich auf die Antwort, die Junker auf diese Frage gibt.

Ziel des Buches

Zunächst sollte man die Zielrichtung des Buches aus Junkers Sicht zur Kenntnis nehmen. Die Einführung macht schon im Titel „Streitfall Evolution“ deutlich, dass es Junker um eine Verteidigung der Evolutionstheorie gegenüber kritischen Einwänden geht. Er bedauert die Kluft zwischen wissenschaftlicher und öffentlicher Wahrnehmung und führt die Konflikte weitgehend auf Missverständnisse und „beträchtliche Wissenslücken“ bei Kritikern und Öffentlichkeit zurück, obwohl es „eine Reihe ausgezeichneter Bücher“ gebe. Gegen diese Defizite, „Zerrbilder“ und „gezielte Desinformationen“ will das Buch „fundierte Aussagen“ ins Feld führen und damit ein „solides Grundlagenwissen über die Evolution“ vermitteln. Dabei verschweigt Junker nicht, dass es in der Evolutionsbiologie durchaus konfligierende Schulen und Denkrichtungen gibt, von denen er einen bestimmten, Dawkins ähnlichen, Standpunkt einnimmt und in dem vorliegenden Buch vorzugsweise vertritt. Dieser Einblick in die Forschungslandschaft und darin in die Transparenz der eigenen Position ist nur zu begrüßen. Die Nähe zu Richard Dawkins geht übrigens über die hier gemeinte rein innerwissenschaftliche Positionierung hinaus und äußert sich auch in der gleichen atheistischen Kampfeslust, welche die Aussagen zu Religion und Kirchen nicht unbeeinflusst lässt.

Hat Darwin Gott aus der Natur vertrieben?

Die historische Initialzündung für den Streit zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben verortet Junker bei Charles Darwin, dessen „Vertreibung des Schöpfergottes aus der belebten Natur“ (Nr. 82) er würdigt. Schon hier wird man kritisch anfragen müssenengels2_155: Hat Darwin Gott aus der Natur vertrieben oder vielmehr aus der Naturwissenschaft? Dieser kleine, aber feine Unterschied ist entscheidend. Die Darwinkennerin Eve-Marie Engels nimmt Darwin unmissverständlich vor atheistischer Vereinnahmung in Schutz: „Darwin hat nie gesagt: ‚Weil ich das Zweckmäßige ohne Rückgriff auf Gott nur mit Hilfe der natürlichen Selektion erklären kann, deswegen habe ich bewiesen, dass Gott nicht existiert.‘ Er hat nicht den Anspruch erhoben, theologische oder metaphysische Fragen beantworten, gar die Nichtexistenz Gottes beweisen zu können.“ (Engels: Charles Darwin und die Lehre vom Intelligent Design, Vortrag am 25. Sept. 2009).

So schrieb Darwin in einem Brief: „In my most extreme fluctuations I have never been an Atheist in the sense of denying the existence of God. I think that generally (and more and more as I grow older), but not always, that an Agnostic would be the most correct description of my state of mind” (Darwin, Francis ed. 1887: The life and letters of Charles Darwin. London: John Murray. Volume 1). Wovon sich Darwin deutlich absetzte, war das Bild eines Gottes, der separate konstante Arten erschaffen hat – also ein kreationistisches Gottesbild. Davon aber distanzieren sich auch die “großen Kirchen”, deren Evolutionssicht Junker eigens bedenkt. Kann sich die moderne Theologie der großen Kirchen in Junkers Darstellung wiederfinden?

Verschärft die Evolution die Theodizeefrage?

Bei Frage 82 behauptet Junker: „Für das Christentum sind Tod und Leiden Folgen des Sündenfalls“. Wohlgemerkt spricht er von „Christentum“ und nicht von „Kreationismus“. In der weiteren Entfaltung wird jedoch deutlich, dass hier eine typisch kurzzeitkreationistische Sichtweise unter dem Etikett „Christentum“ vorgeführt und freilich trefflich widerlegt wird: „Da Menschen aber erst seit zwei Millionen Jahren existieren, können sie schlecht für den Tod und das Leiden in den unermesslichen Zeiten vor ihrer Entstehung verantwortlich gemacht werden“. Das Christentum sei damit spätestens seit Darwin der Erklärung für die Übel der Welt beraubt. Damit habe – so Junker – „die Evolutionsbiologie das Theodizee-Problem … verschärft“.

Paradox – Die moderne Theologie behauptet das glatte Gegenteil: „Gäbe es keine Evolution, so wäre es angesichts der naturbedingten Übel viel schwerer, an Gott zu glauben“ (Kessler 15). Hans Kessler setzt hier nicht eine Behauptung gegen die andere; sein Urteil ist vor dem Hintergrund des Mainstream-Schöpfungsverständnisses nur konsequent. Wenn Gott nämlich nicht – wie beim Kreationismus – separate konstante Arten schafft, sondern die Schöpfung in ihre evolutive Eigendynamik freigibt, den Gang der Dinge eben nicht deterministisch auf ein Ziel hin festlegt, dann wird es faktisch auch Umwege, Abwege, Sackgassen mit Fehlern und Leid geben. Nicht alles, was in dieser evolutiven Eigendynamik geschieht, entspricht damit dem Willen Gottes. Gegenüber einer solchen evolutiven Sicht hat ein statisches Schöpfungsverständnis, in dem Gott jede einzelne Art direkt erschafft – auch jedes leiderzeugende Lebewesen – eine viel größere Erklärungsnot. Was Darwin nicht überzeugen konnte, dass nämlich „ein wohlwollender und allmächtiger Gott absichtlich die Schlupfwespen erschaffen haben würde, mit der ausdrücklichen Absicht ihrer Fütterung in den lebenden Körpern von Raupen“, war eben dieser kreationistische Gott, der direkt und statisch konstante Arten erschafft. Ausdrücklich wendete sich Darwin gegen einen solchen Gott des direkten Eingreifens, nicht gegen einen, der „raffinierte Gesetze“ schafft. Wenn man Junkers Zitat weiter verfolgt, liegen diese Aspekte offen zutage:

„There seems to me too much misery in the world. I cannot persuade myself that a beneficent and omnipotent God would have designedly created the Ichneumonidæ with the express intention of their feeding within the living bodies of Caterpillars, or that a cat should play with mice. Not believing this, I see no necessity in the belief that the eye was expressly designed. On the other hand, I cannot anyhow be contented to view this wonderful universe, and especially the nature of man, and to conclude that everything is the result of brute force. I am inclined to look at everything as resulting from designed laws, with the details, whether good or bad, left to the working out of what we may call chance.” (Quelle: Darwin-Online)

Diese Formulierungen sind direkt an die moderne Schöpfungstheologie anschlussfähig und korrespondieren bestens mit Formulierungen Teilhards, für den Gott nicht Dinge macht, sondern macht, dass die Dinge sich selber machen. Teilhard wusste aber auch, dass solches Erschaffen riskant und durchaus „keine Vergnügungsreise“ ist (zit. nach Kessler 109). Davon, dass die Evolutionsbiologie das Theodizee-Problem verschärft, kann also nicht die Rede sein.

Zufall oder Plan?

Im weiteren Verlauf (Frage 83) bemüht sich Junker, die Unvereinbarkeiten theologischer mit evolutionsbiologischen Aussagen gegen das Vereinbarkeitsdenken der Kirchen herauszustellen. Wieder einmal wird Plan gegen Zufall und Notwendigkeit gestellt ohne einzugestehen, dass die Begriffe auf ganz unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind und schon deshalb gar nicht in Konflikt geraten können. So macht die Intenationale Theologenkommission deutlich:

„Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass nach katholischem Verständnis von göttlicher Verursachung wahre Kontingenz innerhalb der geschöpflichen Ordnung nicht unvereinbar ist mit einer zweckvollen göttlichen Vorsehung. … Göttliche und geschöpfliche Verursachung unterscheiden sich radikal der Art, und nicht nur dem Grad nach. Aus diesem Grund kann sogar das Ergebnis eines wahrhaft kontingenten natürlichen Prozesses trotzdem einem providentiellen Plan Gottes entsprechen…“ (Theologenkommission 2004).

Aber offenbar gibt es für Junker gar keine unterschiedlichen Ebenen. Letztlich ist alles auf die Ebene der Naturwissenschaft reduzierbar. So wird die „gemeinsame Überzeugung beider Kirchen …, dass es Bereiche der Wirklichkeit gibt, zu denen die Wissenschaft nichts sagen kann und darf“ polemisch geleugnet. Hier zeigt sich ein harter weltanschaulicher Naturalismus, der keine anderen Zugänge zur Welt gelten lässt.

Um evolutive Ziele zu leugnen, holt Junker bei Frage 85 erneut aus: „Wenn die Entstehung des Menschen und ihres Geistes das wichtigste Ziel der Evolution war, warum hat dies vier Milliarden Jahre gedauert und warum ist dieser Weg von Umwegen und Sackgassen gekennzeichnet? … Auf diese Fragen gibt es von religiöser Seite keine Antwort“. Dass es hierauf sehr wohl Antworten gibt, ist oben hinlänglich gezeigt worden.

Evolution schon in der Bibel?

Punkt 86 fragt nach „Übereinstimmungen zwischen Evolution und Schöpfungsgeschichte“ und der religiösen Hoffnung „in den Berichten des Alten Testaments … auch Wahrheiten über die Natur zu finden“. In der Tat wird immer wieder versucht, in den Schritten der ersten Schöpfungserzählung Parallelen zur Evolution zu entdecken. Sogar manche Biologen legen diese Übereinstimmungen nahe. Was z. B. für Josef H. Reichholf den Konflikt zwischen Evolution und Schöpfung zu entschärfen scheint und „die Genesis so faszinierend macht, liegt in der so dicht gedrängten Darlegung des Ablaufs … Denn die Abfolge in sechs Hauptschritten trifft im Kern das Geschehen, so wie wir es gegenwärtig aus der naturwissenschaftlichen Forschung heraus verstehen … Ersetzt man die ‚Tage der Schöpfung’ durch Phasen (oder lange Zeiten) der Evolution, kommt in der Grundidee eine recht gute Übereinstimmung zustande“ (120f.).

An dieser Stelle ist Junker in vollem Maße zuzustimmen, wenn er solche vermeintlichen Übereinstimmungen mit guten Gründen ablehnt (siehe auch meine Reichholf-Besprechung). Aber damit rennt er bei Theologen offene Türen ein. Dass die Wahrheit der Bibel nicht in naturkundlichen Aussagen liegt, ist ein theologischer Allgemeinplatz. Das Faszinierende der Genesis liegt eben nicht in der naturkundlichen Übereinstimmung, sondern auf einer ganz anderen Erkenntnisebene, z. B. in der entmythologisierenden Dimension: Im Vergleich zu den benachbarten Mythen ist die biblische Schöpfung kein Produkt eines ermordeten und zerteilten Gottes (vgl. den babylonischen Schöpfungsmythos Enûma elîsch); der biblische Gott schafft nicht mit der Keule, sondern mit dem Wort. Und sein Schaffen schließt die Eigendynamik der Natur nicht aus: „Das Land lasse junges Grün wachsen“ (Gen1,11). Gott schafft alles; auch die Gestirne, die nun nicht mehr selbst als Götter dargestellt werden, sondern als schlichte Lampen dienen. Die Menschen werden nicht geschaffen, um den Göttern zu dienen; mit der Gottebenbildlichkeit wird ihnen eine einzigartige Würde zuteil, und sie sind zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt. Usw., usf.

Die Schöpfungserzählungen jedenfalls wörtlich und historisch zu verstehen ist nicht die Theologie der „großen Kirchen“, sondern ein kreationistischer Grundansatz.

Fazit

Alles in allem können sich „die großen Kirchen“ – auch in den ihnen gewidmeten Abschnitten – nicht wiederfinden. Man kann hier genau das beklagen, was Junker den Evolutionskritikern vorwirft, nämlich eine Reihe von Missverständnissen, „Zerrbildern“ und „beträchtliche Wissenslücken“, obwohl es auch theologisch „eine Reihe ausgezeichneter Bücher“ gibt.

Heinz-Hermann Peitz