Im Diesseits gefangen? Schöpfung und endzeitliche Vollendung im interdisziplinären Diskurs
23.-24.06.2012, Stuttgart-Hohenheim
In einem naturwissenschaftlich bestimmten Weltbild scheint das Diesseits die einzige Wirklichkeit zu sein. Dagegen kennt der biblische Schöpfungsglaube Diesseits und Jenseits, eine sichtbare irdische und eine unsichtbare geistige oder himmlische Welt. Beide Dimensionen sind dabei nicht unabhängig voneinander, sondern bilden eine Einheit wie Leib und Seele. Über das Verhältnis beider Größen wird seit Anfang der Philosophiegeschichte gestritten.
Ebenso spannungsreich ist das Verhältnis von Kirche und Welt, wie die jüngste Forderung von Papst Benedikt XVI. in seiner Freiburger Rede nach “Entweltlichung” der Kirche deutlich gemacht hat. Bereits seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wendet sich Joseph Ratzinger gegen eine Reduzierung von Mensch und Welt auf das bloß Diesseitige. “Wenn wir Gott kennen und er uns”, so der heutige Papst in seiner Enzyklika über der Hoffnung “Spe salvi” (2007), “dann ist wirklich die unerbittliche Macht der materiellen Ordnung nicht mehr das Letzte; dann sind wir nicht Sklaven des Alls und seiner Gesetze, dann sind wir frei”.
Wie ist diese erlösende Dimension – die österliche Hoffnung der ganzen Schöpfung auf die Überwindung des Todes in der Auferstehung (Röm 8,19-29) – in einer naturwissenschaftlich geprägten und zunehmend diesseitsorientierten Gesellschaft neu zur Sprache zu bringen, und zwar ohne Überbau, Fremdkörper oder Vertröstung zu sein? Die Tagung wollte hierzu einen interdisziplinären Beitrag leisten. Zu Wort kamen Natur- und Religionsphilosophen, ein katholischer und ein evangelischer systematischer Theologe sowie ein Bibelwissenschaftler.
ReferentInnen
Regine Kather
(*1955), Studium der Philosophie, Physik und Religionswissenschaften in Freiburg, Basel, Paris. 1989 Promotion, 1997 Habilitation in Philosophie an der Universität Freiburg. Lehrtätigkeiten in Freiburg, Bremen, Hagen, Bukarest und Klausenburg (Rumänien); seit April 2004 außerplanmäßige Professorin an der Universität Freiburg.
Jörg Splett
(*1936), Studium der Philosophie, Psychologie, Fundamentaltheologie und Pädagogik in Pullach, Köln und München. Nach der Promotion bei Max Müller Assistent von Karl Rahner. 1971-2005 Professor für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und an der Hochschule für Philosophie, München.
Georg Steins
(*1959), Studium der Theologie und Philosophie in Münster, Tübingen und Innsbruck. 1993 Promotion, 1998 Habilitation mit einer Studie zur Methode kanonischer Schriftauslegung. Seit 2002 Professor für Biblische Theologie/Exegese des Alten Testaments und Mitglied der Forschungsstelle für Christlich-jüdische Studien an der Universität Osnabrück.
Dirk Evers
(*1962), Studium der Theologie in Münster, Tübingen und Madurai (Südindien). 1999 Promotion, 2005 Habilitation. 2005-2010 Forschungs- und Studieninspektor am FORUM SCIENTIARUM der Universität Tübingen. Seit 2010 Professor für Systematische Theologie/Dogmatik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Wolfgang Beinert
(*1933), Studium der Theologie in Bamberg und Rom. Nach der Promotion Habilitation mit dogmengeschichtlichem Schwerpunkt. 1972 Professor für Dogmatik an der Ruhr-Universität Bochum; 1978-1998 Ordinarius für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Regensburg; Schüler und Lehrstuhlnachfolger von Joseph Ratzinger.
Die Beiträge der Tagung
Schöpfung, so Georg Steins, sei ein politisch-moralischer Diskurs, ein „Schrei nach Gerechtigkeit“ im umfassendsten Sinn angesichts verbreiteter Ungerechtigkeit. Es gehe um Erlösung als Neuschöpfung des Himmels und der Erde.
Dirk Evers deutet an, dass der entgötterte Himmel zwar zu unseren Lebensfragen schweige, er schaffe aber „zugleich Raum für ein Weltverständnis, das das Diesseits von innen heraus als gottoffen verstehen kann“.
Der Mensch wird nach Jörg Splett nicht zum Opfer und Nahrungsgeber für die Götter erschaffen (wie in Mesopotamien), sondern um seiner selbst willen; eine aus Nichts ins Sein gerufene Freiheit zur Liebe.
Nur wenn das menschliche Leben durch seine Selbstüberschreitung in seinen transzendenten Grund zu charakterisieren ist, könne – so Kather – Unsterblichkeit im Sinn eines ewigen, der Zeit enthobenen Lebens gedacht werden.