Stephen Hawking und der Papst – Würdigung eines großen Kosmologen

von Stefan Bauberger

Stefan Bauberger

Die Abendveranstaltung „Stephan Hawking und der Papst“ war eine kritische Würdigung, die mit dem Oscar-preisgekrönten Spielfilm nicht nur den Menschen in Erinnerung rief, sondern mit einem Vortrag von Professor Dr. Stefan Bauberger auch der Gedankenwelt des Naturwissenschaftlers nachspürte, die vor allem im Hinblick auf Hawkings Äußerungen zu theologisch-philosophischen Fragen ja durchaus kontrovers bewertet wird. Mit dem Jesuiten und Zen-Meister, promovierten Physiker und Professor für Naturphilosophie und Grenzfragen der Wissenschaft an der Hochschule für Philosophie in München, konnte dafür ein Referent gewonnen werden, der nicht nur Hawkings naturwissenschaftliche Theorien nachvollziehen kann, sondern auch in der theologisch-philosophischen Gedankenwelt zuhause ist.

      Problemaufriss

      Urknall = Schöpfung?

      Hawkings Begegnung mit Papst Johannes Paul II. greift ein Dauerthema auf, das bereits Georges Lemaître und Pius XII. beschäftigt hat. Der Priester und Astrophysiker Lemaître ist der eigentliche Vater des Urknall-Modells und durfte 1951 miterleben, wie Papst Pius XII. bei einer Rede vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften euphorisch ausführte: „Es scheint, dass es in der Tat der modernen Wissenschaft gelungen ist, durch geniales Zurückgehen um Hunderte von Jahrmillionen irgendwie Zeuge zu sein von jenem am Uranfang stehenden Fiat lux, als die Materie ins Dasein trat und ein Meer von Licht und Strahlung aus ihr hervorbrach. … Deshalb hat sie … die Epoche bestätigt, in der der Kosmos aus der Hand des Schöpfers entstand. Deshalb gibt es eine Schöpfung, die in der Zeit stattfand, und deshalb einen Schöpfer und deshalb Gott.“ Lemaître hat das weniger gefreut, vielmehr soll er die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben – er wollte den Urknall durchaus nicht theologisch vereinnahmt wissen.

      Zeitsprung, aber gleiches Motiv, gleicher Schauplatz. 1981 hielt Hawking bei einer Kosmologie-Konferenz der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag und berichtete über eine nachfolgende Audienz bei Johannes Paul II (in: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums, Seite 148) folgendermaßen: „Er sagte uns, es spreche nichts dagegen, dass wir uns mit der Entwicklung des Universums nach dem Urknall beschäftigten, wir sollten aber nicht den Versuch unternehmen, den Urknall selbst zu erforschen, denn er sei der Augenblick der Schöpfung und damit das Werk Gottes. Ich war froh, dass ihm der Gegenstand des Vortrags unbekannt war, den ich gerade auf der Konferenz gehalten hatte: die Möglichkeit, dass die Raumzeit endlich sei, aber keine Grenzen habe, was bedeuten würde, dass es keinen Anfang, keinen Augenblick der Schöpfung gibt. Ich hatte keine Lust, das Schicksal Galileis zu teilen.“ Es ist nicht sicher, dass der Papst es damals tatsächlich so gesagt oder gemeint hat. Denn 1988 hielt er es für erforderlich, „daß zumindest einige Theologen sich in den Wissenschaften genügend auskennen, um authentischen und kreativen Gebrauch von den Ressourcen zu machen, welche die bestbegründeten Theorien ihnen anbieten mögen. Eine derartige Fachkenntnis würde sie davon abhalten, zu apologetischen Zwecken unkritischen und übereil­ten Gebrauch von solchen neueren Theorien wie dem ‚Urknall‘ in der Kosmologie zu machen.“

      Dies ist hier deshalb so ausführlich angerissen, weil die Urknall-Schöpfung-Beziehung ein Paradebeispiel für die Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Theologie darstellt – und die Identifizierung von Urknall und Schöpfung, speziell von Urknall und Schöpfung aus dem Nichts dürfe weit verbreitet sein. Ist es eigentlich dasselbe Nichts, von dem Hawking spricht, und von dem die Philosophen und Theologen sprechen? Wir werden problematisieren, wie sinnvoll die Identifizierung von Urknall und Schöpfung ist.

      Naturwissenschaft statt Philosophie und Theologie?

      Ein zweites Schlaglicht auf die Beziehung Hawkings zu Philosophie und Theologie. Während der Schlusssatz seiner kurzen Geschichte der Zeit noch vom Plan Gottes spreche, werde Hawking in „Der große Entwurf – Eine neue Erklärung des Universums“ von 2010 deutlicher (siehe die Besprechung):

      “Da es ein Gesetz wie das der Gravitation gibt, kann und wird sich das Universum … aus dem Nichts erzeugen. Spontane Erzeugung ist der Grund, warum es das Universum gibt, warum es uns gibt. Es ist nicht nötig, Gott als den ersten Beweger zu bemühen, der das Licht entzündet und das Universum in Gang gesetzt hat.” (S. 177)

      Mehr noch: Nicht nur wird der Rückgriff auf Gott als Schöpfer entbehrlich, mit der greifbar nahen Weltformel (theory of everything) glaubt Hawking die letzten Fragen der Menschheit beantworten zu können. Fundamentale Fragen wie “Warum gibt es etwas und nicht einfach nichts?” waren bisher Gegenstand der Philosophie, die Hawking schon im zweiten Absatz des Buches schlicht für tot erklärt (S. 11). Er behauptet, “dass es möglich ist, diese Fragen ausschließlich in den Grenzen der Naturwissenschaft und ohne Rekurs auf göttliche Wesen zu beantworten” (S. 168). Philosophie und Theologie scheinen also letztlich überflüssig, da durch Naturwissenschaft ersetzbar.

      Entgegnungen

      Diese Vorlagen griff Bauberger auf und stellte u.a. die grundsätzliche Frage, ob es jenseits der Naturwissenschaft eine zusätzliche Dimension gibt. Die Naturwissenschaft formuliere ihre Erkenntnisse in Modellen, die eine lediglich instrumentelle Perspektive auf die Wirklichkeit böten: „Die Wahrheit der Wissenschaft besteht darin, dass das Modell funktioniert“. Allerdings machte Bauberger auch die Grenzen der Modelle am Beispiel der Masse deutlich: „Masse ist ein theoretisches Konstrukt. Als Parameter geht Masse in Rechnungen ein, aber Masse selber ist unzugänglich.“ Masse entspräche einer gewissen Realität, aber die Wissenschaft nähere sich damit der Realität nur an.

      Spezifisch für die Naturwissenschaft sei dabei die Suche nach Erklärungen, die ein Ereignis auf vorausliegende Ursachen zurückführt (Hempel-Oppenheim-Schema). Eine solche Erklärung finde am Urknall insofern eine Grenze, als mit dem Urknall die Zeit selbst enstehe und es sinnlos sei, nach ‚vorausliegenden‘ Ursachen zu fragen. Die Frage, was ‚vor‘ dem Urknall gewesen ist, sei vergleichbar mit der Frage, was ‚südlicher‘ als der Südpol ist. Doch wenn es keine naturwissenschaftliche Erklärung außerhalb der Kausalität der Zeit gebe, welches Prinzip könne dann zur „Letzterklärung“ taugen?, fragt Bauberger.

      Für die Theologen ist Gott die Letzterklärung, die aber keinesfalls mit dem Urknall verwechselt werden dürfe. Die Schöpfungstheologie geht nicht von einer einmaligen Schöpfung am Anfang (Deismus), sondern von einer „Creatio continua“ aus, von einer fortwährenden Schöpfung; Gott ist überall und in allem, was passiert, erklärte Bauberger diese Sicht.  Ähnliche Überlegungen gebe es im Buddhismus. In der Schöpfungsgeschichte Genesis 1,31  heiße es:  „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“  Es werde damit nicht nur eine Aussage darüber getroffen, woher die Welt kommt, sondern zugleich auch die Frage beantwortet: Wie ist die Welt? Für Bauberger sprengt diese Frage eine naturwissenschaftliche Kausalität. Es komme eine weitere Dimension hinzu, denn die zweite Erklärung könne nicht auf die erste zurückgeführt werden.

      Bei aller Unterschiedlichkeit gäbe es jedoch auch Analogien und Brücken: Haben vielleicht die Prinzipien, die bei der Quantenkosmologie die ‚Erklärung‘ der Welt liefern, mit Platons Idee des Guten zu tun? Christlich gewendet hieße das: „Die Welt existiert aus Liebe“. Dass sich diese Aussage nicht naturwissenschaftlich beschreiben lasse, erinnere an die Sperrigkeit unseres Bewusstseins:  „Wir können das Bewusstsein nicht chemisch-naturwissenschaftlich rekonstruieren“, argumentiert Bauberger und erläutert dies mit einem bekannten Gedankenexperiment: Eine farbenblinde Neurologin mag die Farbe Rot bis ins Kleinste wissenschaftlich erklären können – sie erlebe sie aber nicht als Rot.

      Ein zweites Beispiel spreche für die Überzeugung, dass die Welt mehr ist Naturwissenschaft: „Schönheit ist nicht messbar. Aber Schönheit ist real und personal, denn wir empfinden sie. Vielleicht ist Schönheit sogar wichtiger als das Messbare?“

      Zur Ergänzung: Ein großer Film über Hawking

        DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT Offizieller Trailer 1 (HD)