Schöpfung oder Evolution? Die falsche Alternative

von Peter Sitte

Peter Sitte
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Schöpfung oder Evolution? Die falsche Alternative

Vortrag bei der Tagung “Christen gegen Darwin“, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 29. September 2005

Im Gegensatz zu manchen meiner Fachkollegen, und auch im Gegensatz zu vielen meiner Glaubensgenossen bin ich sehr entschieden der Meinung, dass die Frage ‚Schöpfung oder Evolution‘ falsch gestellt ist. Ich sehe keine Unvereinbarkeit von Schöpfungs- und damit Gottesglaube einerseits und biologischen, allgemein: naturwissenschaftlichen Erkenntnissen andererseits.

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Vortrag im Wortlaut

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Darf ich mich noch meinerseits kurz vorstellen. Ich bin Katholik, und ich bin ein Naturwissenschaftler. Mein Fachgebiet ist die Zellbiologie, aber damit bin ich doch auch Evolutionsbiologe. Vor 30 Jahren hat der weltberühmte Genetiker Theodosius Dobszansky festgestellt: „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution .

So ist es: Wo immer man sich mit Fragen der Lebenswelt befasst, kommt man auch in Berührung mit ihrer Evolution. Im Gegensatz zu manchen meiner Fachkollegen, und auch im Gegensatz zu vielen meiner Glaubensgenossen bin ich sehr entschieden der Meinung, dass die Frage ‚Schöpfung oder Evolution‘ falsch gestellt ist. Ich sehe keine Unvereinbarkeit von Schöpfungs- und damit Gottesglaube einerseits und biologischen, allgemein: naturwissenschaftlichen Erkenntnissen andererseits. Wird das eine wie das andere richtig verstanden und nicht über-interpretiert, dann ergibt sich nach meiner Überzeugung kein wirklicher Gegensatz. Weder zwingt der Genesis-Text zu einer Ablehnung der Evolutionstheorie, noch kann aus Einsichten der Naturwissenschaften die Existenz einer Schöpfergottheit bestritten werden (so wenig freilich, wie sie sich daraus beweisen lässt). Ich bedaure sehr, dass es da immer wieder unnötige Reibereien gibt, die aus Einseitigkeit, Mißverständnissen und Verdächtigungen erwachsen und jetzt gerade wieder an der medialen Meinungsbörse hochgespielt wurden. Darauf werde ich später konkret zurückkommen. Aber schauen wir uns zunächst die grundsätzlichen Aussagen beider Positionen, ihre Fundamente und ihr gegenseitiges Verhältnis näher an. Wir werden dann sehen, wie sehr auf dieser Bühne vermeidbare Mißverständnisse ihre verhängnisvolle Rolle spielen.

Überblick

Evolution ein Faktum

Beginnen wir mit der Evolutionstheorie. Ihre Basisaussage ist, dass die biologischen Arten, deren Vertreter uns in unvorstellbarer Fülle und Verschiedenheit in der Biosphäre umgeben, dass also diese Arten nicht – wie einst angenommen – unveränderlich sind, sondern sich in der ebenfalls unvorstellbar langen Existenzdauer des Lebens auf der Erde – nämlich etwa viertausend Jahrmillionen! – aus anderen, überwiegend einfacheren Formen nach und nach entwickelt, evoluiert haben. Diese Vor-Formen, letztlich Urformen gibt es längst nicht mehr. Aber aus Fossilfunden, heute auch aus den lesbar gewordenen genetischen Texten kann der Gang der Evolution weithin erschlossen werden, es können Stammbäume konstruiert werden.

Seit Darwins Tagen konnte immer überzeugender gezeigt werden, dass die Evolution der Lebenswelt nicht bloß eine gewagte Theorie, ein bloßes Gedankenkonstrukt ist, ein wackeliges Hypothesengebäude, sondern ein Faktum. Das wird bezeugt durch eine gar nicht mehr überblickbare Fülle von Beispielen und Belegen aus der vergleichenden Morphologie und Systematik, aus Anatomie und Embryologie, aus Paläontologie und Biogeographie, heute eben auch aus der Molekularbiologie. Durch Sequenzvergleiche von Genen wichtiger Proteine und Ribonucleinsäuren konnte die grundsätzliche Verwandtschaft aller heutigen Lebewesen, von den Bakterien bis herauf zu uns Menschen, zweifelsfrei nachgewiesen werden. Artumwandlungen hat man in einigen Fällen unmittelbar beobachten können. Im großen Überblick beeindruckt besonders, dass sich immer wieder neue Erkenntnisse nahtlos einfügen ließen. Die nach 1900 rasch aufblühende Genetik schien anfänglich der Evolutionstheorie zu widersprechen, weil man die Gene zunächst für unveränderlich hielt (so wie früher die Arten). Aber bald hatte sich die Genetik durch Mutationsforschung und Populationsgenetik zu einer der wichtigsten Stützen der Evolutionstheorie entwickelt. Es gab also schließlich eine umfassende Synthetische Evolutionstheorie. So konnte Ernst Mayr, der vor 100 Jahren in Kempten geborene, zu Beginn dieses Jahres in den USA verstorbene Großmeister der Biologie und Biophilosophie, mit Recht feststellen: „Die grundlegende Theorie der Evolution hat sich so durchgängig als zutreffend erwiesen, dass die moderne Biologie Evolution einfach als Faktum betrachtet.“ Natürlich lässt sich auch heute noch nicht alles restlos verstehen. Aber das ist bei naturwissenschaftlichen Gedankengebäuden immer so, es kann bei den ständigen Fortschritten der Forschung auch gar nicht anders sein und erfordert eben weiteres Forschen und noch gründlicheres Nachdenken. Aber eine weit gespannte, ‚große‘ und weitum bewährte Theorie deswegen in Bausch und Bogen abzulehnen, weil es in ihrem Bereich noch weiße Flecken gibt – das dürfte sich nur jemand erlauben, der eine bessere Theorie anzubieten hat.

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Missverständnis "Zufall"

Bei solchen Diskussionen ist es besonders wichtig, Missverständnisse zu vermeiden. Ein Beispiel: Es wird immer wieder behauptet, die Darwin’sche Selektionstheorie könne schon deshalb nicht stimmen, weil die Zufälligkeit erblicher Variationen keine Richtung vorgeben könne – Zufall sei ja ‚blind‘. Tatsächlich sind Mutationen, Rekombinationen und die interspezifischen Kombinationen bei Symbiogenese-Prozessen weitgehend zufällig. Aber das ist eben nur die eine Seite; denn dadurch wird der Selektion ein breites Bündel von Möglichkeiten angeboten, sie seligiert dann, wählt aus, was am ehesten tauglich ist, die Fackel des Lebens weiter zu tragen. Dazu kommen noch andere Determinanten, etwa innere Zwänge wie Körperbau und Ernährungsweise, die gewisse Veränderungen erlauben, andere ausschließen. Oder auch die von Teilhard de Chardin und weiter dann vor allem von Carsten Bresch entwickelte und begründete Sicht einer ‚Komplexifikation‘, eines Musterwachstums, das die Evolution zu immer komplexeren Organismen vorantreibt. Die Richtung der Evolution wird durch eine wachsende Zahl von Interaktionen und Vernetzungen entscheidend mitbestimmt, weil dieses Musterwachstum um so schneller erfolgt, je komplexer das bisher entstandene Netzwerk schon ist. Extreme Beispiele liefern die evolutive Entwicklung des Immunsystems bei Säugern, oder die des Großhirns in der Hominiden-Evolution. Entsprechendes gilt übrigens auch für die sozio-kulturelle Evolution der Menschheit, wie uns heute, im Zeitalter rasanter Globalisierung, täglich neu bewusst wird.

Nun, wenn alles so scheinbar in bester Ordnung ist, wie konnte es dann zu einer so vehementen Ablehnung der Evolutionstheorie kommen, die bei gar nicht so wenigen Zeitgenossen immer noch anhält?

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Evolutionstheorie als "biologische Kränkung"

Vor 145 Jahren hat Darwins Hauptwerk „On the Origin of Species by Means of Natural Selection …“ eine Kulturrevolution ausgelöst, deren Nachbeben auch heute noch, und eben heute gerade wieder zu spüren sind. An sich könnte es uns Menschen ja vielleicht gleichgültig sein, ob es eine Evolution gegeben hat oder nicht; so wie es uns ja auch egal sein könnte, ob die Erde um die Sonne kreist oder umgekehrt. Aber so ist es eben nicht. Denn was da von Seiten der Naturwissenschaften behauptet wird, bringt fest gefügte Vorstellungen zum Einsturz, trifft unser Selbstverständnis ins Mark, erfordert ein grundsätzlich neues Denken über uns und die Welt, in der wir leben. Plötzlich stand vieles als dünkelhafte Anmaßung da, was man sich seit Urzeiten mit großer Selbstverständlichkeit zugeschrieben hatte. Erinnern wir uns bitte: Das Weltbild des christlichen Abendlandes war bis zum Beginn der Neuzeit nicht nur ein theozentrisches, sondern auch ein geozentrisches und vor allem ein anthropozentrisches: Der Mensch als Ebenbild Gottes war der Vogt Gottes auf Erden; die Erde bildete den Mittelpunkt des Universums mit seinen Sphären, alles drehte sich buchstäblich um sie und damit um ihn – den Menschen. Er war die Krone der Schöpfung, die letztlich für ihn und auf ihn hin erfolgt war und in deren Zentrum er steht. So sah bis zum Beginn der Neuzeit die geistige Heimat der abendländischen Menschheit aus. Wenn man sich das vergegenwärtigt, wird das ganze Ausmaß des Umsturzes klar, den das heliozentrische Kopernikanische Weltbild bedeuten musste und der historisch vor allem mit den Namen Giordano Bruno, Galileo Galilei und Johannes Kepler verbunden ist. [Ich würde übrigens sagen, dass auch wir Heutige wieder einer solchen Vertreibung aus geistigen Heimatgefilden ausgesetzt sind, die den meisten noch gar nicht bewusst geworden ist. Wenn man die Bilder fernster Galaxien sieht, deren Licht Milliarden von Jahren unterwegs war bis zu unseren Riesenteleskopen, oder die Bilder gigantischer, leuchtender kosmischer Nebel, dann rückt auch jene Gottheit, die alles dieses geschaffen haben soll, für uns in unendliche Fernen, wir sollen uns nicht nur kein Bild von ihr machen – wir können es gar nicht. Religiöser Glaube muss damit ins Unermessliche wachsen: Denn dass diese unvorstellbar ferne, unvorstellbar übermächtige Gottheit sich jedem einzelnen von uns, jedem dieser Stäubchen im Giga-Universum, persönlich liebevoll zuwenden soll – das zu glauben, ja nur zu hoffen, ist schon wirklich eine geradezu überweltliche Herausforderung.]

Aber zurück auf die heimatliche Erde! Auch und gerade die Abstammungslehre hat erneut unser Humanum zutiefst betroffen. Sigmund Freud sprach von der „biologischen Kränkung“ des Menschen als der zweiten Kränkung nach der ersten, kosmologischen. Dazu kam dann nach Freud als dritte noch die von ihm selbst bewirkte psychologische, und seither die ethologische, die epistemologische, die soziobiologische, die ästhetische. Aber alle neueren „Kränkungen“ wurden mit ausgelöst durch die Vorstellung einer Evolution der Menschheit aus dem Tierreich.

Dass Freud in diesen Zusammenhängen von „Kränkung“ sprach, trifft die psychische Seite perfekt, und so muss das damit Gemeinte entsprechend ernst genommen werden. In jedem Kulturkreis gab und gibt es nun einmal mehr oder weniger fest gefügte Vorstellungen über jene Bereiche, die dem positiven Wissen und seiner Überprüfung nicht (oder noch nicht) zugänglich sind. In dieser Sphäre der Weltbilder finden sich vor allem kollektive religiöse Glaubensinhalte, eine Summa von Vorstellungen über die Welt, ihr Werden und Wachsen, ihr mögliches Ziel und ihren Sinn, und letztlich auch über jenseitige Mächte, die all das geschaffen haben, es beherrschen und steuern, und denen auch wir Menschen unterworfen sind. Hier geht es jedenfalls primär um Glauben und nicht um Wissen, das diesen Bereich nicht zu erreichen oder gar zu erschließen vermag.

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Wissen und Weltbilder

Andererseits gibt es aber auch im Bereich des Wissens Weltbilder und Theoriengebäude, die über die unmittelbar überprüfbaren Einzelfakten hinausgehen und mit denen wir uns das ständig wachsende Wissen durch zusammenfassende Übersichten bzw. in ihnen erkennbar gewordene allgemeine Gesetzmäßigkeiten beherrschbar und nutzbar machen wollen. Hier lässt sich immerhin prüfen, und hier muss auch ständig geprüft werden, ob diese Bereiche unserer Vorstellungswelt zutreffend und kohärent sind, ob alle Detailbefunde wirklich ins große Puzzle passen oder eine Korrektur nötig ist. Vielleicht sollten wir uns da an ein Wort des hl. Thomas von Aquin erinnern, mit dem auch jeder Naturforscher voll einverstanden sein kann: „veritas est adaequatio intellectus et rei“ [sinngemäß übersetzt: Wahrheit ist die Annäherung unseres Verstehens an die Realität].

Franz von Kobell hat in seiner von Kurt Wilhelm verfilmten Erzählung „Der Brandner Kaspar und das ewig‘ Leben“ den Tod, den ‚Boandlkramer‘, sagen lassen: „Wo’s Wissen aufhört, fängt der Glauben an.“ So ist es. Nun werden aber jene Grenzen, wo’s Wissen aufhört, ständig weiter hinausgeschoben durch die immer weiter vordringenden Naturwissenschaften. Da kann es nicht nur, da muss es immer wieder Probleme geben. Seien wir uns dabei bitte über folgendes im klaren: Wann immer gut gesichertes Wissen einer Glaubensvorstellung widerspricht, muss diese geändert werden. Dogmatische Starrheit ist für jeden Glauben schlechthin weit gefährlicher als Weiterentwicklung der Glaubenswelt durch Einpassung in eine stetig wachsende Weltsicht. Fides certior ratione, der Glaube ist sicherer als das Wissen, dieser Jesuitenspruch darf nicht mißverstanden werden, er betrifft nur die psychologische Seite. Aber sonst sollte man sich etwa an die schrecklichen Fehler erinnern, in die unsere Kirche durch die Verbrennung des Giordano Bruno und den Prozess Galilei verfallen ist und die ihr Ansehen auf lange Sicht stark geschädigt haben; während eine angemessene Korrektur im Glaubensbereich diesen erweitert und reifer gemacht und wohl nur einige Ultrakonservative enttäuscht hätte.

Grundsätzliche Probleme dieser Art hat es übrigens schon immer gegeben. Schaut man sich etwa das philosophische System von Platon und das seines Schülers Aristoteles an, dann wird schnell klar, dass diese großen Philosophen einen völlig verschiedenen Wahrheitsbegriff hatten und daher auch ganz verschieden vorgingen. Für Platon mit seiner Ideenlehre galt das als Wahrheit, was er selbst als solche festgesetzt hatte. Sein ‚Idealstaat‘ ist dementsprechend ein totaler Staat mit radikalen Ketzergesetzen, Obrigkeitszensur und Polizeiaufsicht. Ganz anders Aristoteles: Er will zur Wahrheit gelangen, indem er die Naturgesetze erforscht. Ich zitiere Eberhard Orthbandt: „Er [Aristoteles] schreibt nicht das, was er für ‚Wahrheit‘ hält, der Natur vor, weshalb er sich auch nicht darüber zu empören braucht, dass sie sich um eine solche Wahrheit nicht kümmert. Vielmehr will Aristoteles die Wahrheit aus der Natur herausholen, herausforschen, und zwar mittels solcher Untersuchungsverfahren, welche der Natur angepasst sind. Folglich muss seine Wahrheit von der … tatsächlichen Realität bestätigt werden, andernfalls wäre es keine Wahrheit.“ Wir sehen: Platons Philosophie war dogmatisch, starr und deduktiv; die von Aristoteles suchend und induktiv. Er war der frühe, eigentliche Begründer der Naturwissenschaften – durchaus im heutigen Sinne – und einer der ersten, zugleich einer der größten Aufklärer. Gerade in unserem Kreis sollten wir übrigens nicht vergessen, dass Albertus Magnus im 13. Jahrhundert diese Sicht des Aristoteles dem christlichen Abendland erschlossen und Naturforschung nicht nur gefordert, sondern auch selbst betrieben hat.

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Weltsicht der Natur- und Kulturwissenschaften

Heute spiegelt sich das alles in etwa auch in der unterschiedlichen Weltsicht der Natur- und der Kulturwissenschaften. Wie jede Naturwissenschaft muss auch die Biologie vor allem um Objektivität bemüht sein. Alles Subjektive muss da ganz zurückgenommen werden. Gefühle, Hoffnungen, Enttäuschungen, Stimmungen, und eben auch Glaubensinhalte dürfen keine Rolle spielen. Im ‚Leben des Galilei‘ lässt Brecht seinen Helden sagen: „Ja, wir werden alles, alles noch einmal in Frage stellen. … Und was wir zu finden wünschen, das werden wir, gefunden, mit besonderem Mißtrauen ansehen.“ Wegen dieser bedingungslosen Forderung nach möglichster Objektivität (d.h. Überprüfbarkeit durch andere) ist das Weltbild der Naturwissenschaften (auch das der Biologie) zwar ein klares, offenes, ein dynamisches, aber zugleich ein nüchternes Bild ohne Sinngebung, ohne Ziel, ohne Empfindungen oder gar warmes Gefühl, ohne Ideale, ohne Seele, letztlich einfach ohne uns – ohne uns als Subjekte. Von Albert Einstein stammt der Satz: „Naturwissenschaft bedeutet die Wendung vom ich zum es.“ In diesem Bereich ist nicht der Mensch das Maß aller Dinge. Es geht um Realität, nicht um Humanität; um Erkennen, nicht um Erleben.

Ganz anders die Weltsicht der Kunst- und Kulturwissenschaften! Hier steht der Mensch, das Subjekt, im Mittelpunkt. Es geht nicht primär darum, was Dinge sind und wie sie funktionieren, sondern darum, was sie uns bedeuten; und damit um jenen weiten Bereich, der den Naturwissenschaften wegen ihrer methodischen Eingrenzungen grundsätzlich verschlossen bleibt. Von dem Biologen Hans Mohr stammt die Feststellung: „Die Wissenschaft [gemeint ist Wissenschaft im Sinn von Science, also Naturwissenschaft] kann keine Werturteile, keine Sinnkriterien, keine Zielmodelle begründen, die den Charakter und die Verbindlichkeit wissenschaftlicher Sätze hätten. Die Wissenschaft kann den Menschen nicht verbindlich sagen, was im moralischen Sinn ‚gut‘ ist oder was ‚schön‘ ist.“ Nun befinden wir uns halt ständig an der Schnittstelle zwischen Objektivem und Subjektivem, zwischen Rationalem und Emotionalem, zwischen Hirn und Herz, und das wirkt sich natürlich auf alle Entwicklungen des gesellschaftlichen Lebens aus. Dass uns Menschen alles unmittelbar Erlebbare näher liegt als das oft unverstandene Naturgeschehen, ist verständlich. Gustav Theodor Fechner hat es plakativ so ausgedrückt: „Wer gibt schon sein Blut hin für eine Vernunftswahrheit? Für irrationale Werte haben Unzählige ihr Leben gelassen!“ Man könnte auch so sagen: Über Vernunftwahrheiten lässt sich eben nicht streiten – über andere schon; und die Menschheitsgeschichte ist bis heute randvoll von fürchterlichsten Beispielen.

1959 hat der englische Physiker und Romancier Charles Percy Snow die gegenseitige Distanzierung von Geistes- und Naturwissenschaften in seinem viel diskutierten Vortrag “The Two Cultures and the Scientific Revolution” ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Snow hat weniger Zuständigkeiten markiert, als vielmehr auf einen regelrechten ‚Kampf der Kulturen‘ hingewiesen. Keine Seite fühlt sich von der anderen gebührend be- und geachtet, man argwöhnt ungehörige Einmischung und Bevormundung durch arrogante Unzuständige, fühlt sich rasch gekränkt, und so beherrschen kaum verhehlte Aversion, Eifersüchtelei und gegenseitige Herabwürdigung die ungute Szene. Konkretes Beispiel: Dietrich Schwanitz hat in seinem Bestseller ‚Bildung – alles was man wissen muss‘ die These aufgestellt: „Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.“ Gegenbeispiel: Antwort eines englischen Nobelpreisträgers auf die Frage, ob er an Gott glaube: „Of course not, I am a scientist.“ Hans Küng schreibt dazu in seinem Buch ‚Existiert Gott?‘: „Es mag Naturwissenschaftler geben, die sagen, philosophisch-theologische Fragen gingen sie nichts an und seien uninteressant, wie es [andererseits] Philosophen und Theologen geben mag, die sagen, mathematisch-naturwissenschaftliche Fragen gingen sie nichts an und seien uninteressant. Aber damit sind die Fragen nicht erledigt, sondern nur mit Ignoranz und Arroganz verdrängt.“ [S. 143]

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Darwin oder Bibel die falsche Alternative

So – jetzt sollten wir prüfen, ob die immer wieder gestellte Frage: „Hat Darwin Recht oder die Bibel“ richtig gestellt ist. Sie haben schon aus dem Titel meines Vortrages und aus der Einleitung meine Überzeugung ersehen, dass hier eine Alternative aufgebaut wird, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Ich stimme darin mit meinem weitum bekannten Konstanzer Kollegen Ernst Peter Fischer überein, der kürzlich festgestellt hat: „Die unerbittliche Sturheit der Teilnehmer an dieser Debatte, die meinten, sie müssten die Schöpfungsgeschichte gegen die Stammesgeschichte ausspielen, [hat] die Einsicht verhindert, dass der biblische Bericht über die Erschaffung der Welt und Darwins Darstellung der Anpassung der Arten viel besser zusammenpassen als man meint. Sie sind komplementäre Formen des Umgangs mit ein und demselben Geheimnis.“ Also: kein starres, apodiktisches ‚entweder oder‘, sondern ein versöhnliches ‚sowohl als auch‘. Die vermeintlichen Schwierigkeiten resultieren aus Grenzüberschreitungen, die es auf beiden Seiten immer wieder gegeben hat und gibt.

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Grenzüberschreitung: Ultradarwinismus

Fangen wir bei den Naturwissenschaften an und bei der Biologie. Die Wissenschaft muss, wenn sie methodisch einwandfrei vorgehen will, Gott – der ja nicht empirisch konstatiert und analysiert werden kann – notwendig aus dem Spiel lassen [Küng, S. 151]. Aber das heißt eben auch, dass nicht nur hinsichtlich der Existenz eines Schöpfergottes keine Aussage gemacht werden kann, sondern auch hinsichtlich möglicher Steuerung der Evolution durch eine Gottheit. Gerade in diesem historischen Ablauf haben ja immer wieder Zufälligkeiten zu entscheidenden Bifurkationen und Umsteuerungen geführt, und mit Zufällen (auch wenn sie nicht akausal sind) tut sich die Wissenschaft schwer. Sie kann sie zur Kenntnis nehmen, aber nicht erklären, und sie will das letztlich auch gar nicht. Ich erinnere an das bekannte Statement des Physik-Nobelpreisträgers Eugene Wigner: „Physics does not describe Nature. It describes regularities among events, and only regularities“ – nur Gesetzmäßigkeiten! Dennoch haben einige, auch sehr bedeutende Biologen die Deszendenztheorie als Rechtfertigung für einen (bezeichnenderweise dann sehr aggresiven) Atheismus zu nützen versucht und damit den ‚Darwinismus‘ zu einer Ideologie umstilisiert. Leider muss ich in diesem Zusammenhang vor allem zwei Biologen nennen, deren sonstige Leistungen ich sehr bewundere: Ernst Haeckel, und in unseren Tagen Richard Dawkins. Sie und ihre Anhänger hat Simon Conway Morris als ‚Ultradarwinisten‘ bezeichnet. Dass wir gewisse Ereignisse und Zusammenhänge in der Natur dank wissenschaftlicher Fortschritte plötzlich verstehen können, sollte nicht zu einer Überheblichkeit verleiten, die uns glauben machen will, wir könnten jetzt alles verstehen und es gäbe hinter unserem Horizont nichts mehr. Nein – jede erweiterte Einsicht, jede Antwort führt ja immer zu neuen Fragen, und wir haben keine irgendwie begründbare Ahnung vom Ausmaß und dem Umfang des uns noch Unbekannten. Ignoramus, und in vielem wohl auch: Ignorabimus.

Kürzlich hat Robert Gernhart die unglaubliche Hybris jener Menschen, die Gott ganz zu durchschauen und noch zu übertreffen glauben, in einem Kurzgedicht auf seine Art wie folgt bewitzelt:

Lieber Gott, nimm es hin,
dass ich was Besondres bin.
Gib auch ruhig einmal zu,
dass ich klüger bin als du.
Preise fortan meinen Namen,
denn sonst setzt es etwas. Amen

Aber zurück zum Ernst der Sache, und damit nun auf die andere Seite. Sie ist für uns Menschen ganz allgemein von enormer Bedeutung – Religion ist nun einmal „Äußerung der nach Trost“ und helfender Liebe „suchenden, leidenden Menschheit“ [Küng, S. 264], auch ein Ausdruck der Hoffnung , und nicht zuletzt auch einer der Sehnsucht nach einer umfassenden Weltsicht, einem befreienden Ausblick in das Unsichtbare, Verborgene, uns Menschen Unerreichbare – in all das, was uns unser Wissen eben nicht vermitteln, nicht eröffnen kann. Religionen haben seit Urzeiten bei allen Humanpopulationen eine überragende Rolle gespielt, auch wenn man von allen unguten weltlichen und politischen Verknotungen einmal absieht. Immer und überall wurden Gottheiten verehrt, es wurde versucht, sie durch Opfer gnädig zu stimmen. Auch heute: Robert Lemke konnte wohl mit einigem Recht behaupten, dass es kaum wo so viel ungeheuchelte Frömmigkeit gäbe wie in einem Flugzeug, das in schwere Turbulenzen geraten ist. Selbst in areligiösen, sog. ‚aufgeklärten‘ modernen Gesellschaften ist (oft gerade wieder) Wunderglaube verbreitet bis hin zum lächerlichsten Aberglauben. Und wir selbst kennen Bittgebete, Nothelfer, Schutzengel und Schutzpatrone, einen manchmal geradezu abstrusen Reliquienkult, Wunderglauben, Wallfahrtskirchen und Votivtafeln. Selbst Friedrich Nietzsche – Nihilist und Atheist – war sich nach seiner ‚Gott-ist-tot‘-These darüber im Klaren, dass der Mensch dann eine andere, irgendwie ‚jenseitige‘ Macht benötigt, um wirklich leben zu können, und empfahl als solche die Kunst. Goethe lässt am Ende des Faust II den Pater profundus über die Fesseln der Ungläubigkeit klagen, von denen er erlöst sein möchte. Ich brauche über diesen Bereich hier wohl nicht weiter zu sprechen; wir alle kennen ja diese Problematik aus je eigener Lebenserfahrung.

Aber wie immer – wenn aus einer naturwissenschaftlichen Theorie abgeleitet wird, dass es Gott gar nicht gibt, dann ist das nicht nur ein naturalisticher Fehlschluss übelster Sorte, sondern auch eine Beleidigung für jeden gläubigen Menschen. Man darf sich nicht wundern, wenn sich manche veranlasst sehen, die entsprechende Theorie dann in Bausch und Bogen abzulehnen; womit solche Menschen dann freilich ihrerseits in den umgekehrten Fehlschluss verfallen, den normatistischen Fehlschluss vom Sollen auf das Sein, den Christian Morgenstern in seinem Gedicht ‚Die unmögliche Tatsache‘ so charakterisiert hat:

Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.

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Grenzüberschreitung: Creationismus und Intelligent Design

Konkret: Die sog. Creationisten (engeren Sinnes) bestehen geradezu fanatisch darauf, dass der biblische Genesis-Text wörtlich genommen werden muss. Dann ist die Evolutionstheorie mit ihm tatsächlich nicht vereinbar, sie wird entsprechend vehement angegriffen. Was dabei an Argumenten vorgebracht wird, kann der Kundige kaum ernst nehmen. Aber nach Umfragen glaubt in den USA (zumindest im mittleren Westen, dem sogenannten ‚Bible Belt‘) mehr als die Hälfte der Bevölkerung, dass die Creationisten Recht haben, dass also die Welt wirklich in 6 Tagen erschaffen wurde, vor wenigen tausend Jahren nur zwei Menschen lebten und der Löwe noch ein Vegetarier war. Auch bei uns wurden die Creationisten jahrelang von den Medien gehätschelt. In einer großen deutschen Zeitschrift erschien 1984 ein langer Artikel über die Evolutionstheorie unter dem Titel „Der Irrtum des Jahrhunderts“. Unseren Studikern mussten wir damals geduldig klarmachen, wie sehr die Creationisten die Biologie als Naturwissenschaft mißverstehen. Peinlicher ist, dass offenbar auch die Bibel mißverstanden wird, die man nach Carl Friedrich v. Weizsäcker entweder ernst nehmen kann oder wörtlich. Kann man es wirklich ignorieren, dass die Erschaffung des Menschen im Buche Genesis zweimal knapp nacheinander dargestellt wird, wobei sich diese Darstellungen glatt widersprechen, wenn man sie nicht metaphorisch nimmt, sondern wörtlich? Der angesehene Freiburger Exeget Alfons Deißler sagte mir einmal, es sei geradezu eine Kulturkatastrophe, dass die biblischen Texte im Orient geschrieben worden sind, wo eine Vorliebe für bildhafte, metaphorische Formulierungen dominiert, dann aber vor allem im Okzident mit seinem Streben nach rationaler Eindeutigkeit interpretiert wurden. Ulf von Rauchhaupt spricht in diesem Zusammenhang von einer „Karikatur der Theologie“, „für die das Buch Genesis ein Sachkundetext ist“. Vor nicht allzulangem hat schließlich auch der Vatikan klargestellt, dass ein auf Zufallsprinzipien beruhender Selektionsprozess als möglicher Weg der Weltentwicklung theologisch unbedenklich sei, da der Glaube an einen Schöpfer durch naturwissenschaftliche Theorien nicht berührt werde und die Schöpfung sich über welche Kausalketten auch immer vollzogen haben könne. So werfen also heute auch Theologen den Creationisten vor, die Bibel zu mißdeuten und damit in den Fundamentalfehler aller Fundamentalisten zu verfallen, Religionen zu Ideologien herabzuwürdigen. (Durchaus entsprechend übrigens den Ultradarwinisten, die mit umgekehrtem Vorzeichen das gleiche mit der Evolutionslehre tun und sie zu einem ‚Evolutionismus‘ pervertieren.)

In unseren Tagen ist in den USA eine neue Form des Creationismus kreiert worden, die auf unhaltbare Aussagen über die kurze Existenzdauer der Welt verzichtet, aber mit einem auf den ersten Blick sehr einleuchtenden Argument operiert, dem sog. ‚Intelligent Design‘. Eine zentrale Eigenschaft aller Lebewesen sind ja die bei ihnen immer, andererseits nur bei ihnen beobachtbaren Zweckmäßigkeiten: sie reagieren ‚zweckmäßig‘, entwickeln sich ‚zielgerichtet‘, erscheinen ‚sinnvoll konstruiert‘. In der Biologie (und unter den Naturwissenschaften nur in der Biologie) tritt daher neben die Frage ‚warum?‘ gleichberechtigt die Frage ‚wozu?‘. Augen sind ‚zum‘ Sehen da, Ohren ‚zum‘ Hören, Flügel ‚zum‘ Fliegen usw. Das weiß schon jedes Kind; aber wie ist es zu verstehen? Für uns Menschen ist zielstrebiges, geplantes, zielintendiertes, sog. teleologes Handeln so selbstverständlich, dass wir zielgerichtete Vorgänge in der Natur dann ebenfalls für teleolog halten. So scheinen also die zahllosen Zweckmäßigkeiten aller Organismen einen intelligenten Schöpfer vorauszusetzen, so wie eben auch jede Maschine einen Erfinder und Konstrukteur, einen ‚Designer‘ voraussetzt. Aber Vorsicht! Unser Gehirn vermag für sich ein Bild der Welt zu entwickeln und zu speichern, das diesseits der von uns unabhängigen äußeren Realität unsere subjektive ‚Wirklichkeit‘ ausmacht, in der wir eigentlich leben. Da können wir nun rein geistig – ‚virtuell‘ – mögliche Szenarien durchspielen, gefahrlose Gedankenexperimente anstellen und dann zwischen bloß gedachten Optionen wählen, wir können konsequent planen und zielgerichtet handeln. Bitte beachten: Ein nur gedachtes, real überhaupt noch nicht existierendes künftiges Ziel wird zur Ursache für mein jetziges Handeln gemacht und verschafft mir so u.a. das subjektiv sichere Gefühl eines freien Willens. Das alles läuft eben unter dem Logo Teleologie (Zielgesteuertheit, causa finalis). Selbst die größten Denker hatten es lange Zeit für selbstverständlich gehalten, dass auch jeder zielgerichtete Ablauf in der Natur eine das Ziel ansteuernde geistige Kraft voraussetzt, eine besondere Lebenskraft, eine Entelechie, ein Pneuma, eine Seele, eine Gottheit. Allerdings hatten schon im 17. Jahrhundert Francis Bacon und nach ihm wieder Baruch deSpinoza darauf hingewiesen, dass damit Prinzipien auf die Natur übertragen werden, die wir eigentlich nur aus menschlichen Handlungen kennen. Tatsächlich sind durchaus auch zielgerichtete Vorgänge vorstellbar, die nicht dank einer Zielvorstellung so und nicht anders ablaufen, sondern infolge eines vorgegebenen Programms – etwa aufgrund einer evolutiv entstandenen genetischen Information. Vor 50 Jahren hat der Biologe Colin S. Pittendrigh dafür den Begriff Teleonomie geprägt. Im Ergebnis sind teleonome und teleologe Prozesse nicht unterscheidbar, aber sie sind wesensverschieden. ‚Teleolog‘ bedeutet eben nicht nur zielgerichtet, sondern zusätzlich zielintendiert, von einem angepeilten, in der Zukunft liegenden und im Moment nur vorgestellten Endziel her gelenkt. Teleonomie bedeutet dagegen programmgesteuerte Zweckmäßigkeit als Ergebnis evolutiver Anpassungsprozesse und nicht nachweislich als Werk eines planenden Wesens.

Man kann die Intelligent-Design-Bewegung, wie sie in den neunziger Jahren in den USA durch Phillip Johnson in Seattle in Gang gebracht wurde, als Neocreationismus bezeichnen. So „Neo-“, so neu wie jetzt stets behauptet, ist dieses Konzept allerdings nicht. Es geht eigentlich auf den englischen Theologen William Paley zurück, der es schon vor 1800 in seiner ‚Natural Theology‘ ausführlich begründet hatte. Zu dieser Zeit konnten die bei Lebewesen immer nachweisbaren, oft phantastischen funktionalen und strukturellen Zweckmäßigkeiten – man denke nur etwa an die Hundenase, das Raubvogelauge oder das menschliche Gehirn – als überzeugende Gottesbeweise angesehen werden. Und Darwin, der für sein Bacchelor-Examen auch Paleys Theologie studieren musste, hat viel später, nach der Publikation seines Hauptwerkes bekannt: „Wenn ich an das menschliche Auge denke, bekomme ich Fieber.“

Nun – wenn dieses alles eine Diskussion unter Wissenschaftlern oder auch zwischen Biologen und Theologen bliebe, wäre es gut und entspräche jedenfalls dem Bemühen eines Kardinal König, sowie des jüngst verstorbenen und auch des jetzigen Papstes um einen klärenden Dialog. Aber leider kippt dergleichen fast immer in weltanschauliche Grabenkämpfe um. Der Direktor der vatikanischen Sternwarte, der Jesuit George Coyne, beklagte kürzlich in der FAZ, dass sich „die trüben Wasser des Verhältnisses zwischen Kirche und Naturwissenschaft … niemals zu klären scheinen.“ Erst vor gut 5 Jahren hatte die Schulbehörde von Kansas die Behandlung der Evolutionstheorie aus dem Lehrplan streichen lassen. Immer wieder hatte es Prozesse gegen Vertreter der Evolutionstheorie an amerikanischen Schulen gegeben. Das ‚Faith-based Movement‘ in den USA möchte Forschungsverbote im Evolutionsbereich durchsetzen. Demnächst läuft ein Prozess in Dover an, der gemäß der Klage einer Mutter zu einem Verbot führen soll, an der Dover Area High Scool überhaupt noch die ‚teuflische‘ Evolutionstheorie zu erwähnen. Ja gut, kann man sagen, Amerika – wo halt auch der jetzige Präsident, George W., offen mit solchen Bewegungen sympathisiert.

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Zum Kommentar Kardinal Schönborns

Aber: nicht nur Amerika! Am 7. Juli dieses Jahres erschien (immerhin!) in der New York Times ein Gastkommentar des Wiener Kardinals Christoph Schönborn (Nachfolger von Kardinal König), der die von Coyne apostrophierten „trüben Wasser“ erneut kräftig getrübt hat und – wie wir hier alle wissen – einen regelrechten Tsunami in den Medien auslöste. Schönborn sieht in dem von ihm so getauften ‚Neodarwinismus‘ (er meint damit den vorhin erwähnten atheistischen Ultradarwinismus) mit Recht eine Ideologie. Aber jetzt sieht er die Aufgabe der Kirche darin, der Vernunft gegenüber dieser Ideologie wieder zu ihrem Recht zu verhelfen gegen wissenschaftliche Aussagen, die den angeblich klar erkennbaren Schöpfungsplan Gottes – das Intelligent Design – ignorieren.

Die Kritik selbst durchaus religiös-gläubiger Biologen ließ nicht auf sich warten. Abgesehen einmal davon, dass in der Wissenschaftsgeschichte unter ‚Neodarwinismus‘ ganz anderes verstanden wird als Schönborn mit diesem Begriff apostrophieren möchte; es wird auch die grundsätzlich verschiedene Weltsicht des Wissens und des Glaubens glatt ignoriert. In einer sachlichen Diskussion dürfte der Unterschied von Teleologie und Teleonomie nicht unerwähnt bleiben. Und auf gar keinen Fall dürfte der seriösen Evolutionslehre unterstellt werden, sie wolle die ganze Welt als bloßes Zufallsprodukt erklären. Simon Morris schreibt dazu: „Solche versimpelnden Beschreibungen der Evolutionslehre sind genau der Stil kreationistischer Attacken. .. Kardinal Schönborns tragischer Fehler war es, in genau dieselbe Falle zu tappen wie die Ultradarwinisten, wenn sie eine simplifizierte Evolutionstheorie zu einer materialistischen Agenda umfunktionieren.“ Nein, Schönborn hat dem religiösen Glauben und der Autorität der Kirche nach meinem Dafürhalten und dem vieler anderer keinen guten Dienst erwiesen. Man braucht sich schon wirklich nicht zu wundern, wenn seriöse Biologen von einer Kirche immer weiter abrücken, die sie gegen gut begründete Einsichten etwa wieder auf einen biederen Katechismusglauben zurückzwingen möchte. Die Naturwissenschaft kann nun einmal, gerade wenn sie sich ihrer selbstgesetzten Grenzen bewusst bleibt, keine Gottesbeweise liefern, so wenig, wie sie eine Schöpfergottheit und ihr mögliches Wirken ausschließen kann, das womöglich über nicht durchschaubare Zufälligkeiten in der Lebensentstehung und -entwicklung erfolgte. Und überhaupt: Kürzlich hat der Freiburger Theologe Eberhard Schockenhoff zum abertausendstenmal klargestellt, dass es in der Schöpfungslehre der Bibel „nicht [wie in den Wissenschaften] um eine Beschreibung des Wie geht, sondern um ein grundlegendes Verständnis für das Daß des Seins“, das beim Staunen darüber seinen Anfang nehme, „daß überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts“. Das wäre wirklich der Punkt: Welche Macht hat den Urknall ausgelöst, wer hat die Naturgesetze erlassen, die uns die Welt überhaupt erst erkennen, sie erforschen und geistig durchdringen lassen, wer ließ über unentwirrbare Kausalverknüpfungen Leben entstehen, wer ließ es sich nach seinen Regeln so überreich entwickeln?

Vielleicht sollte ich nun, so wie ich diesen Vortrag mit einem persönlichen Bekenntnis begonnen hatte, wieder mit einem solchen schließen. Ich bin überzeugt, dass sich eine nicht ideologisch überhöhte Evolutionsvorstellung einerseits und der richtig verstandene biblische Schöpfungshymnus andererseits nicht widersprechen. Wer nicht an göttliche Mächte glauben will, den werde ich nicht überzeugen können. Aber umgekehrt möchte ich den unendlichen Reichtum, den die religiöse Weltsicht mir eröffnet, nicht aussperren. Überall spüre ich in der mich umgebenden Natur Gottes unendliche Schöpferkraft, die auch in der biologischen Evolution so viel Wunderbares geschaffen hat und weiter schafft, die mir erlaubt, daran teilzuhaben, mich mit zu freuen, jenseits meines Horizonts nicht ein schwarzes Loch, sondern einen leuchtenden Himmel zu sehen. Für mich bleibt, unberührt von der Evolutionstheorie, die ich für eine der großartigsten Einsichten der Wissenschaft halte, das gültig, was Paul Claudel einmal gesagt hat: „Gott – Ursprung, in dem alles beginnt; Ziel, in das alles mündet; Gegenwart, die alles trägt.“

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Dieser Beitrag ist Teil der Tagung “Christen gegen Darwin“.

Die Beiträge der Tagung in voller Länge: