Schönborn versöhnt sich mit den Darwinisten

von grenzfragen

Christoph Kardinal Schönborn Foto von BambooBeast, CC-BY-SA 3.0

Christoph Kardinal SchönbornFoto von BambooBeast, CC-BY-SA 3.0

“Schönborn versöhnt sich mit den Darwinisten” titelt die grazer “Kleine Zeitung” vom 4.3.2009 und versichert gleichzeitig im Untertitel, dass sich der Kardinal von den US-Kreationisten distanziere. Die eigentlich entscheidende Klarstellung Schönborns taucht erst im weiteren Textverlauf auf: Unmissverständlich distanziert sich Schönborn auch von der Intelligent-Design-Bewegung (ID), in deren Nähe man ihn seit seinem Artikel in der New-York-Times allein aufgrund der Wortwahl (“Finding Design in Nature“) vermuten konnte. Es lohnt also, im Originaltext dieser wohltuenden und lesenswerten Rede, gehalten an der Österreichischen Akademie der Wissenschaft, der Argumentation nachzuspüren.

“Kardinals Fehler: Streit um Darwin in der New York Times” – “Ritt den Kardinal der Teufel?” – “Offener Brief eines ‘unvernünftigen’ Biologen an Kardinal Christoph Schönborn” – “Himmelschreiende Arroganz”: Die Schlagzeilen der Presse sind ein Indikator für die Irritation, die der unter dem Titel “Finding Design in Nature” veröffentlichte Kommentar zum Darwinismus von Christoph Kardinal Schönborn verursachte. Der Kommentar erschien am 7. Juli 2005 in der “New York Times” und in der “International Herald Tribune”. Über Monate folgte eine heftige internationale Diskussion, an der sich Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen gleichermaßen beteiligten. Heute, in der genannten Rede, schätzt Schönborn selbst den damaligen Artikel kritisch ein: “Ich gebe zu, er war etwas holzschnittartig und hätte noch einiger Differenzierungen bedurft”.

An Differenzierung und Deutlichkeit mangelt es der jetzigen Akademierede indes nicht. Zunächst teilt Schönborn den Optimismus eines Charles Darwin, dass sich Einwände gegen die Evolutionstheorie und Erklärungslücken durch weitere Forschung auflösen werden. Darwins Verzicht auf eine “Schöpfungshypothese” erinnert Schönborn an Laplace’ berühmt gewordenen Abweis göttlichen Eingreifens in die Planetenbahnen: “Diese Hypothese brauche ich nicht, Sir!”, soll dieser auf die Frage Napoleons nach dem Platz Gottes geantwortet haben. Laut Schönborn kritisierte Laplace damit “zu Recht die Newton’sche Idee, dass es ‘Lücken’ in der Natur gäbe, in denen Gott eingreifen müsste, um das Werk der Natur zu ergänzen, zu korrigieren”.

Damit räumt Schönborn mit Missverständnissen von “Schöpfung” auf. Dass Gott fälschlicherweise immer wieder als Lückenbüßer verstanden wird, liege u. a. daran, dass die Lehre von den vier Ursachen verkürzt worden sei und sich heute alles nur noch um Material- und Kausalursachen drehe:
“In diesem reduktionistischen Wirklichkeitsverständnis gibt es nur extrinsezistisch, ‘von außen’ wirkende Ursachen. Es ist auffallend, dass in Darwins Kritik an den einzelnen Schöpfungsakten diese ganz wie materielle Ursachen verstanden (und daher zu Recht abgelehnt) werden. Gott erscheint alseine Ursache neben anderen, ‘innerweltlichen’, materiellen Ursachen. Das kann aber nicht der Sinn von ‘Schöpfung’ sein. Wenn der Begriff der Schöpfung einen Sinn haben soll, dann nicht als eineUrsache unter anderen in der Kette der Wirkursachen.”
Dieses Missverständnis liege auch ID zugrunde: “Genau hier liegt m.E. der Fehler der ‘Intelligent Design’-Schule (mit der ich zu Unrecht immer noch in Verbindung gebracht werde). Der Versuch dieser Schule, hohe Komplexität in der Natur als Aufweis oder Beweis für ein ‘intelligent design’ zu bewerten, krankt an dem fundamentalen Denkfehler, dass ‘design’, Plan, Zielgerichtetheit nicht auf der Ebene der Kausalität gefunden werden kann, mit der sich die naturwissenschaftliche Methode befasst.”

Es darf als überaus erfreulich angesehen werden, dass sich der Kardinal so ausdrücklich von ID distanziert – implizit auch von der Variante, wie sie beim evolutionskritischen Lehrbuch von Reinhard Junker und Siegfried Scherer vorliegt. Den Schluss von “irreduzibler Komplexität” auf Design konkretisierend sehen Junker/Scherer den Designer in Ermangelung makroevolutiver Kausalerklärungen beim direkten Erschaffen von Grundtypen am Werk. Schönborn würde darauf einwenden können, was er gegen Darwins Schöpfungsverständnis ins Feld führt: “Nein, die Idee der Erschaffung fertiger einzelner Wesen oder Arten ist absurd. Sie ist so unhaltbar wie die kreationistischen Thesen von einer Erschaffung der Welt in sechs 24-Stunden-Tagen, wie die pseudowissenschaftlichen Spekulationen über eine ‘junge’ Erde, über eine historische Deutung der Sintflut, etc.”

Schönborn verwahrt sich aber auch dagegen, “den bibel-fundamentalistischen Kreationismus mit einem fundierten Schöpfungsglauben ‘in einen Topf zu werfen’, was häufig geschieht.” Als beste Beispiele dafür hätte Schönborn Neo-Atheisten wie Dawkins oder Schmidt-Salomon anführen können, denen das Erstarken kreationistischer Tendenzen gerade recht zu kommen scheint, um den Schöpfungsglauben insgesamt zu diskreditieren (siehe die Besprechung von „Susi Neunmalklug erklärt die Evolution“).

Was also ist diesen kreationistischen wie neoatheistischen Fehlformen gegenüber ein „fundierter Schöpfungsglaube“? Schönborn kann und will an dieser Stelle keine Schöpfungslehre entfalten, aber seine Antwort weist die Richtung: „Schöpfung im theologischen Sinn heißt … jenes göttliche Geschehen, durch das überhaupt etwas ist, die Welt ins Sein kommt.“ Die angemessenen Fragen, mit denen man sich dem Verständnis von Schöpfung annähert, lauten: „Warum gibt es die Welt? Warum gibt es uns, mich? Hat es einen Sinn gehabt, dass wir zum Dasein kamen?“ Die Fragen liegen auf einer anderen Ebene als die naturwissenschaftlichen Fragen: „Die Evolutionsforschung kann nur fragen, wiedie Formen des Lebens sich entwickelt haben. Aber warum wir da sind, was das Ziel unseres Daseins ist, das kann keine Naturwissenschaft beantworten.“

Schönborn mahnt an, hier „sauber zu unterscheiden“. Diese Unterscheidung allerdings im einfachen Nebeneinander eines NOMA-Prinzips (Non-Overlapping-Magisteria nach Stephen Jay Gould) enden zu lassen hält er für unpraktikabel. Der Naturwissenschaftler ist ja nicht nur der an seine strenge Methode gebundene Forscher, es existiert ja auch „der Naturwissenschaftler als Mensch, der über die Natur nachdenkt, sich die Fragen nach Woher, Wohin und Wozu der Welt und seines Lebens stellt“. Darwin selbst sei mit seinem inneren Ringen um Vereinbarkeit und Konflikt von Forschung und Weltanschauung „der Paradezeuge dafür, dass das NOMA-Prinzip nicht funktioniert“.

Ein solches NOMA-Prinzip könnte auch dazu führen, dass das empirische „Magisterium“ mit Objektivität und Rationalität assoziiert wird, das religiöse „Magisterium“ dagegen mit Subjektivität oder gar Irrationalität. Darum greift Schönborn abschließend die Forderung des Papstes nach einem erweiterten Vernunftbegriff auf, der Rationalität nicht auf Naturwissenschaft einengt, sondern auch beim religiösen Magisterium und den menschlichen Grundfragen zulässt. Auch wenn diese jenseits des methodischen Kanon der Naturwissenschaft liegen, sind es – mit den Worten Benedikts XVI. – dennoch „Fragen, die die Vernunft stellen muss und die nicht einfach dem religiösen Gefühl überlassen werden dürfen; man muss sie als vernünftige Fragen sehen und dafür auch vernünftige Weisen des Behandelns finden“.

“The magisterium of science covers the empirical realm: what the Universe is made of (fact) and why does it work in this way (theory). The magisterium of religion extends over questions of ultimate meaning and moral value. These two magisteria do not overlap, nor do they encompass all inquiry (consider, for example, the magisterium of art and the meaning of beauty).” Stephen Jay Gould über das NOMA-Prinzip. Quelle: “Stephen Jay Gould”, Wikipedia.

Heinz-Hermann Peitz

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