Kardinal Meisner vergleicht Dawkins mit Nazis

von Heinz-Hermann Peitz

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Meisner trifft Honecker: "Als ehemaliger DDR-Bürger habe ich das Allerheiligenfest immer als das große Siegesfest über den so genannten wissenschaftlichen Atheismus erfahren." (Kardinal Meisner am 1.11.09)Foto: Bundesarchiv/Wikipedia

Meisner trifft Honecker: “Als ehemaliger DDR-Bürger habe ich das Allerheiligenfest immer als das große Siegesfest über den so genannten wissenschaftlichen Atheismus erfahren.” (Kardinal Meisner am 1.11.09)
Foto: Bundesarchiv/Wikipedia

Wieder einmal ist Richard Dawkins Thema – allerdings nicht allein: Das Medieninteresse konzentriert sich primär auf Kardinal Meisner.

In seiner Predigt zum Hochfest Allerheiligen am 1. November 2009 warnt Joachim Kardinal Meisner vor einem szientistischen Atheismus, der Mensch und Welt “auf das quantitativ Messbare reduziert”. Dabei greift er den Evolutionsbiologen und bekennenden Atheisten Richard Dawkins mit folgenden Worten an:

“Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als ‘Verpackung der allein wichtigen Gene’, deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei.” (Kard. Meisner)

O-Ton Kardinal Meisner

Kritik am Nazi-Vergleich

Die Reaktion der Presse lässt nur einige Stunden auf sich warten: “Meisner vergleicht Biologen Dawkins mit Nazis” titelt Spiegel-online um 20:24 Uhr. Die Printausgaben vermelden den Vorfall am 2. November mehr oder weniger ausführlich. Dabei berichtet z. B. die Frankfurter Rundschau auch von der Kritik des Stammzellforschers Jürgen Hescheler an Meisner. Ausführlicher unter Spiegel-online zu lesen weist Hescheler den Nazi-Vergleich zurück: “Wir versuchen alle, dass Wissenschaft und Kirche wieder näher zusammenkommen. Die Aussagen von Kardinal Joachim Meisner vertiefen die Gräben nun wieder”. Nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als “praktizierender Katholik” würde Hescheler es sich wünschen, “wenn der Kardinal die Seite der Wissenschaft wieder stärker zu verstehen versucht”.
Solche Kritik aus den eigenen Reihen sollte mindestens so nachdenklich stimmen wie die Kritik, die man von der gescholtenen naturalistischen Gegenseite erwarten konnte. So wundert es nicht, wenn der Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, am 2.11. von “Propaganda der übleren Sorte” spricht. Der Nazi-Vergleich sei “demagogisch” und “erschreckend uninformiert”. Schmidt-Salomons Worte aufgreifend dreht der Humanistische Pressedienst den Spieß um: “Wenn man unbedingt einen Vergleich mit dem Nationalsozialismus ziehen wolle, müsse man festhalten, dass es weit größere Parallelen zwischen Meisners Glauben und der Naziideologie gebe als zwischen den „neuen Gottlosen“ und dem Nationalsozialismus”. Da es zu befürchten sei, dass der Kardinal “alles leugnet, was im Widerspruch zu seinem Glauben steht”, müsse er “gegen die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie und der Hirnforschung zu Felde ziehen”. Da ist sie wieder, die gern vorgebrachte Behauptung der Unvereinbarkeit von Glaube und Naturwissenschaft, die – scheinbar paradox – die hier erwähnten Naturalisten mit den Kreationisten verbindet. Eine solche Predigt bietet freilich einen trefflichen Anlass, diese Unvereinbarkeitsbehauptung zu wiederholen.

… aber auch Zustimmung

Der Kardinal bekommt jedoch nicht nur Gegenwind, sondern auch Rückendeckung. Der Kulturwissenschaftler Alexander Kissler zeigt im Interview mit dem Domradio am 2.11. zwar Verständnis für die Aufregung über den Nazi-Vergleich, fügt aber hinzu, dass “ein Vergleich ja keine Gleichsetzung ist”. Dass sich die Gräben zu den Naturwissenschaftlern vertiefen könnten, spielt Kissler herunter; es gehe ja nur um einen Teil der Naturwissenschaften, oft auch nur um einen “pseudowissenschaftliche(n) Atheismus, der eben vermeintlich naturwissenschaftlich daherkommt”. Und bei diesem Teil, für den eben Vertreter wie Richard Dawkins stehen, sei die Befürchtung des Kardinals, der Mensch werde auf Quantitatives reduziert, “in der Tat real”. Kissler erwartet von diesem Teil der grenzüberschreitenden Naturwissenschaftler “eine immer größere Polemik”. Und eine solche “neue Direktheit ist ein neuer Debattenzug, an den wir uns in Deutschland noch gewöhnen müssen”. Kissler räumt aber ein, dass “der Kulturkampf in der Tat ausgebrochen” ist.

Ähnlich wie Kissler verteidigt auch der Kölner Generalvikar Dominik Schwaderlapp die Kritik Meisners an Dawkins: “Der Kardinal hat weder Richard Dawkins zum Nazi erklärt, noch hat er die Naturwissenschaften pauschal verteufelt” (KNA vom 4.11.). Der Vergleichspunkt liege viel grundsätzlicher in der biologischen Verkürzung des Menschen, die ihn seiner Menschenwürde beraube.

Am 5.11. wird bekannt, dass Meisner zusätzliche Schützenhilfe erhält: “Piusbruderschaft lobt Meisner für NS-Vergleich” titelt Welt-online. Für den Distriktoberen der Bruderschaft in Deutschland, Franz Schmidberger, komme Meisners Weckruf gegen die “Verharmlosung Dawkins” gerade zur rechten Zeit: “Meisner hat Recht, weil Dawkins Thesen genau dem Gedankengut totalitärer Regime entsprechen”. In Deutschland aber sei es “leider … immer ein bischen gefährlich, wenn man Vergleiche mit KZs anstellt. Da handelt man sich gleich den Vorwurf ein, man sei Antisemit”. Da allerdings weiß Schmidberger aus der Erfahrung mit seinem Mitbruder und Holocaustleugner Williamson freilich genau, wovon er spricht. Und manche Zeitungen, wie die Stuttgarter Nachrichten vom 6.11. geben zu bedenken: “Beobachter bezweifeln, dass dem Erzbischof die Unterstützung der Ultras willkommen ist”. (S. 5)

Der inhaltliche Kern des Konflikts

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“Die Evolution ist ein Segen für die Theologie”

Das Interview mit dem Theologen und Biologen Christian Kummer vom 4.11. sei hier am Ende erwähnt, weil m. E. einzig dieser Beitrag zum inhaltlichen Kern des Konflikts vordringt. Wenn Meisner darauf ziele, dass manche Naturwissenschaftler den Glauben für überflüssig erklären, empfiehlt Kummer eine differenziertere Argumentation.

Zunächst stellt Kummer klar: “Dass der Naturwissenschaftler Gott methodisch nicht ‘braucht’, ist völlig legitim”. Dawkins über das Methodische hinausgehende Gottesleugnung hänge mit dessen unzureichenden Gottesbild zusammen: “Hätte Kardinal Meisner diese krude, obskure Sicht angegriffen, wäre er wenigstens in seinem Metier gewesen. Ihn aber ausgerechnet als Biologen anzugreifen, zeigt, dass Meisner den Clou bei Dawkins schlicht nicht verstanden hat.” Der Clou aber ist die legitime methodische Beschränkung auf das Biologische. Sofern sich Dawkins darauf beschränkt, hat er Recht: “So gesehen, aber auch nur so, wird der Organismus zum Vehikel für die Verbreitung von Gen-Kombinationen.” Noch einmal: Sofern sich Dawkins tatsächlich darauf beschränkt, hat auch Kummer mit seiner abschließenden Bewertung Recht:

Meisner macht den Fehler, von einem biologischen Modell – dem ‘egoistischen Gen’ – auf eine anthropologische Deutung des Menschseins zu schließen, so als ob der Mensch letztinstanzlich durch seine Gene ‘erklärt’ würde, Egoismus die tiefste Triebkraft des Menschen sei und es deshalb eine Nähe zum Rassenwahn der Nazis gebe – das ist Unsinn.” (Kummer)

Was aber, so die Rückfrage an Christian Kummer, wenn nicht Meisner, sondern Dawkins selbst “von einem biologischen Modell … auf die anthropologische Deutung des Menschseins” schließt – hat dann nicht doch Meisner Recht?

Bei Dawkins nachgelesen

Warum schauen wir nicht einfach mal bei Richard Dawkins selbst nach? An allen bisherigen Beiträgen stört mich, dass Dawkins nicht ein einziges Mal selbst zu Wort kommt; weder bei den Kritikern, noch bei seinen Befürwortern. Dabei hat Dawkins das hier zum Konflikt gewordene Problem in dem Buch “Das egoistische Gen” (ich zitiere aus der deutschen Ausgabe, Berlin u. a. 1978) in aller Deutlichkeit entfaltet.

Schon die erste Seite scheint die Anschuldigung an Dawkins zu klären. Auf die Frage “Was ist der Mensch?” antwortet Dawkins zustimmend mit einem Zitat von G. G. Simpson: “Die Feststellung, die ich jetzt treffen möchte, ist die, dass alle Versuche, diese Frage vor dem Jahre 1859 zu beantworten, wertlos sind, und dass es für uns besser ist, sie völlig zu ignorieren”. Für die Frage nach dem Menschen wird hier doch wörtlich die gesamte jahrtausende währende Philosophie- und Theologiegeschichte als “wertlos” bezeichnet und als Antwort nur Darwins Werk “Über den Ursprung der Arten” zugelassen, dessen erste Auflage am 24.11.1859 erschien und dessen Jubiläum wir dieses Jahr feiern. Kann es ein klareres Bekenntnis zu dem umfassenden und exklusiven Allerklärungsanspruch der Evolutionsbiologie geben? Scheint hier nicht tatsächlich das Gebot zu regieren: “Du sollst keine Götter neben der Wissenschaft haben!”, und scheint hier nicht tatsächlich der Mensch auf das “quantitativ Messbare”, hier besser: das Biologische, reduziert zu sein? Die Gefahr liegt an der zitierten Stelle und erst Recht heutzutage nahe, und es ist nicht nur richtig, sondern ein Gebot der Stunde, wenn Kardinal Meisner darauf hinweist und Gegengewichte setzt.

John F. Haught

Theologe John F. Haught: “Nothing in theology (!) makes sense except in the light of evolution”

Aber selbst auf dieser ersten Seite des „egoistischen Gens“ ist Differenzierung gefordert. Der Einschnitt “1859” impliziert für Dawkins nicht notwendig einen darwinistischen Exklusivanspruch, der keine andere Disziplin gelten lässt. Vielmehr kann man sich mit Dawkins wundern: “Die Philosophie und die als ‘Geisteswissenschaften’ bezeichneten Fächer werden immer noch so gelehrt, als habe Darwin niemals gelebt”. Für das Jahr 1978 ist dies sicher richtig, und bis heute gilt die Einbeziehung Darwins für die Theologie als produktives, aber immer noch uneingelöstes Programm.

Darum kann Kummer sagen “Die Evolution ist ein Segen für die Theologie”, und der katholische Theologe John F. Haught hat das berühmte Zitat des Biologen Dobzhansky für die Theologie abgewandelt: “Nothing in theology (!) makes sense except in the light of evolution”. Sicher etwas überspitzt, aber in diesem Sinne kann man dem Simpson-Zitat und dem Einschnitt 1859 sogar als Theologe etwas Positives abgewinnen.

Nazi-Vergleich ist unberechtigt!

Dennoch bleibt es dabei: Man wird sich immer gegen Dawkins Atheismus zur Wehr setzten müssen, und man kann dies auch mit guten Gründen. Bekanntestes Beispiel dafür ist die sachliche Gegenposition von Alister McGrath (siehe dessen Buch „Der Atheismus-Wahn“), insbesondere die Argumente gegen Dawkins schiefes Gottesbild, worauf Kummer oben hinweist. Kann man aber auch den Vorwurf aufrecht erhalten, Dawkins verstehe den Menschen ähnlich wie seinerzeit die Nationalsozialisten? Ein solcher Vorwurf lässt sich aus den Äußerungen Dawkins auch mit geschicktester Hermeneutik nicht herauslesen, wie genauerer Blick eindeutig zeigt. Dazu noch einmal die Formulierung Kardinal Meisners:

“Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als „Verpackung der allein wichtigen Gene“, deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei.” (Kard. Meisner)

Oberflächlich betrachtet scheint schon der Klappentext Meisner Recht zu geben. Dieser spricht davon, „dass alle Organismen Gehäuse für die Erhaltung, Fortpflanzung und Unsterblichkeit der Gene darstellen“. Die Lebewesen einschließlich des Menschen sind damit „’Überlebensmaschinen’ für die ‚egoistischen Gene’“. Auch die Worte Dawkins im Vorwort scheinen eine eindeutige Sprache zu sprechen: „Wir sind Überlebensmaschinen – Roboter, blind programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden.“ (VIII). Ganz zu Beginn des Hauptteils grenzt sich Dawkins jedoch ausführlich gegen Missverständnisse ab, damit nicht der Fehler passiert, den Kummer bei Meisner realisiert sieht, der Fehler nämlich „von einem biologischen Modell – dem ‘egoistischen Gen’ – auf eine anthropologische Deutung des Menschseins zu schließen, so als ob der Mensch letztinstanzlich durch seine Gene ‘erklärt’ würde, Egoismus die tiefste Triebkraft des Menschen sei“. Dawkins hat derartige Fehler befürchtet: „Ich betone dies, weil ich weiß, dass die Gefahr besteht, dass ich von jenen – allzu zahlreichen – Leuten falsch verstanden werde, die nicht unterscheiden können zwischen einer Darstellung dessen, was nach Überzeugung des Sprechenden oder Schreibenden der Fall ist, und einem Plädoyer für das, was der Fall sein sollte“ (3; Hervorhebung von HHP). Ausführlich liest sich diese Unterscheidung bei Dawkins wie folgt:

egoistisches_gen„Dies bringt mich zu der ersten Feststellung, die ich darüber treffen möchte, was dieses Buch nicht ist. Ich trete nicht für eine Ethik auf der Grundlage der Evolution ein. Ich berichte lediglich, wie die Dinge sich entwickelt haben. Ich sage nicht, wie wir Menschen uns in moralischer Hinsicht verhalten sollten. … Ich selbst bin der Meinung, dass eine menschliche Gesellschaft, die lediglich auf dem Gesetz des universellen rücksichtslosen Gen-Egoismus beruhte, eine Gesellschaft wäre, in der es sich sehr unangenehm leben würde. … [Der Leser] möge gewarnt sein: wenn er – wie ich – eine Gesellschaft aufbauen möchte, in der die Einzelnen großzügig und selbstlos zugunsten eines gemeinsamen Wohlergehens zusammenarbeiten, so kann er wenig Hilfe von der biologischen Natur erwarten. Lasst uns versuchen, Großzügigkeit und Selbstlosigkeit zu lehren, denn wir sind egoistisch geboren. Lasst uns verstehen lernen, was unsere eigenen egoistischen Gene vorhaben, und wir haben dann vielleicht die Chance, ihre Pläne zu durchkreuzen“ (3). (Dawkins)

Dawkins unterscheidet also im Sinne Kummers Natur und Kultur und setzt darauf, dass in der Kultur – anders als in der Natur – der Egoismus nicht die letzte Triebkraft des Menschen ist. Der „vorrangige Zweck unseres Daseins“ ist eben nicht die „Erhaltung“ unserer Gene, sondern die „Durchkreuzung ihrer Pläne“! Der Gegensatz zu Meisners Unterstellung kann also nicht krasser formuliert sein. hhp

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