Das Leid in der Welt: Argument FÜR Naturalismus und GEGEN Theismus?

von grenzfragen

Die Theodizeefrage (Wo ist Gott bei Übel und Leid?) ist die größte Herausforderung des Glaubens. Aber auch die zunehmende Erklärungskraft der Naturwissenschaften scheinen ein theologisches Rückzugsgefecht herbeizuführen. Herbert Rommel und Hans-Dieter Mutschler stellen sich den Herausforderungen bei der Begegnungstagung für Schülerinnen und Schüler 2013 im Tagungshaus Weingarten.

    Leid und Gott: Unlösbare Problematik?

    Bei beiden Referenten bestand Einigkeit darüber, dass die Frage nach den Übeln angesichts eines allgütigen und allmächtigen Gottes zu den schwierigsten theologischen Problemen gehört. Für Mutschler war offenkundig, nicht „aus dem Theodizeeproblem herauszukommen, ohne irgendwelche Federn zu lassen“. Wer die Lösung des Theodizeeproblems darin erblicke, dass Gott gar nicht existiert, könne zunächst auf eine innerweltliche Erlösung hoffen, wie Ernst Bloch dies getan habe. Aber mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Utopie sei auch diese Hoffnung exemplarisch zusammengebrochen.

    Für die Materialisten entsteht laut Mutschler dadurch folgendes Problem: „Sie sind zwar das Theodizeeproblem los, weil sie den lieben Gott abgeschafft haben, aber das Problem des Leidens sind sie mitnichten los. Sie müssen damit rechnen, dass in Zukunft solche Katastrophen wie das Dritte Reich oder der Stalinismus sich wieder ereignen werden. Es wird kein Reich der Freiheit auf dieser Welt geben, sondern es wird gerade so weitergehen, wie es immer war.“ Das aber bedeutet, dass die Verlierer der Weltgeschichte niemals Gerechtigkeit erfahren würden. „Ich könnte es mir als Materialist sehr schwer vorstellen, wie ich humorvoll, liebevoll leben könnte, wie ich vermeiden könnte, Zyniker oder depressiv zu werden oder mit einem Riesenverdrängungsapparat zu arbeiten angesichts der unerlösten Welt, die auf die Dauer unerlöst sein wird.“

    Damit machte Mutschler deutlich, dass jede Weltanschauung ihre problematischen Seiten hat und dass in dieser Hinsicht das Christentum keineswegs schlechter dasteht als der Materialismus. Auch Rommel war trotz der Sperrigkeit des Themas und des Ausbleibens letzter Gewissheiten der Auffassung, dass es sich lohne, verschiedene argumentative Denkwege abzuschreiten. Am Ende könne man immerhin starke von schwachen Argumenten unterscheiden.

    Leid und „Natural Law Defense“

    Einer dieser Denkwege war die so genannte natural law defense, der Versuch also, die natürlichen Übel mit den Naturgesetzen in Verbindung zu bringen. Rommel zitierte dazu den Theologen Klaus von Stosch, der darauf hinwies, dass das natürliche Übel in der Welt durch dieselben Naturgesetze entsteht, die auch die Evolution zum Menschen hin ermöglichen. Solle der auf den Menschen hin zulaufende Evolutionsprozess auch weiter möglich bleiben, so können diese Naturgesetze nicht verändert werden. Von daher könne man „das natürliche Übel als Nebenfolge der Gesetzmäßigkeiten verstehen, die menschliches Leben ermöglichen“. Unabhängig von der nicht beantwortbaren Frage, ob sich eine bessere Welt als unsere Welt denken lässt, werde so „die Unlösbarkeit von Leben und Leid in dieser Welt deutlich, die eine Bejahung des Lebens ohne Akzeptanz des Leidens unmöglich macht“ (K. von Stosch, Theodizee, 2013, 56).

    Wie weit diese Argumentation wirklich trägt, war Gegenstand lebendiger und kontroverser Diskussionen (siehe unten). An der Stelle ebenfalls festgehalten ist ein Beitrag der Facebook-Diskussion im Anschluss an die Tagung.

    „Die Frage ist doch ganz banal: Warum braucht man dann überhaupt noch einen Gott? Wie unterscheidet sich eine Welt, in der eine naturalistische Evolution abläuft, von der, in der ein Gott nicht eingreift, sondern nur die persönliche Befindlichkeit verändert? Nett, falls Jesus für uns gelitten hat, aber, ehrlich gesagt, so wirklich als tröstend empfinde ich das nicht. Schon etwas provozierend, wenn die andere Instanz des Dreieinigen dann als allmächtig betrachtet wird.“ (Beitrag eines Agnostikers auf Facebook)

    Die Vorträge

    Die Vorträge in voller Länge können Sie hier abrufen.